Haus und Maus sind also Morpheme. Doch nicht jedes Morphem ist ein eigenständiges Wort. Beispielsweise ist auch das -en in Frauen eine bedeutungstragende Einheit: Es bringt die grammatische Information ‚Plural‘ zum Ausdruck. Dieses Beispiel zeigt auch, dass Wörter oft aus mehr als einem Morphem bestehen. Frauen besteht aus zweien, dem Stamm Frau und dem Pluralmarker -en. Während Haus frei vorkommen kann, ist dies beim Pluralmarker nicht der Fall: *Heute habe ich viele -en gesammelt.
Den Bereich der Morphologie kann man unterteilen in WortbildungWortbildung und FlexionFlexion. Mit Flexionsmustern, die grammatische Informationen wie Tempus (Zeit) oder Numerus (Anzahl) kodieren, werden unterschiedliche Formen desselben Wortes gebildet, z.B. ich lache (Präsens) – ich lachte (Präteritum), die Frau (Singular) – die Frauen (Plural). Durch Wortbildung indes entstehen neue Wörter, etwa durch Komposition (Donau + Dampf + Schiff → Donaudampfschiff) oder durch Derivation, z.B. mit Suffixen wie -ung: befragen – Befragung.
Die SyntaxSyntax (Kap. 6) schließlich befasst sich mit der Frage, nach welchen Prinzipien Wörter zu Phrasen und Sätzen kombiniert werden. Die Wortstellung ist dabei keineswegs willkürlich.1 Vielmehr erfüllt auch sie oft genug eine ganz konkrete Funktion. So unterscheidet sich die Wortstellung im Deutschen zwischen Aussage- und Fragesatz:
(1) | IchSUBJ treffe meine TanteOBJ. |
(2) | TriffstV duSUBJ auch deinen OnkelOBJ? |
Damit kommen wir zu jenen Untersuchungsebenen, die zwar oft nicht der „Kernlinguistik“ zugerechnet werden, aber nicht minder bedeutsam sind: Lexik, Semantik und Pragmatik. Die LexikLexik (Kap. 7) bezeichnet den Wortschatz einer Sprache, der ebenfalls einer diachronen Dynamik unterliegt – so kann er etwa durch EntlehnungEntlehnung erweitert werden, während andere Wörter außer Gebrauch kommen. Beispielsweise gehört saelde, im Mittelhochdeutschen noch ein geläufiger Begriff, dessen Bedeutung sich mit ‚Güte, Segen, Glück‘ umschreiben lässt, nicht mehr zum neuhochdeutschen Wortschatz, während wir im Mittelhochdeutschen ein Wort wie W-LAN-Router vergeblich suchen. SemantikSemantik (ebenfalls Kap. 7) befasst sich mit der Bedeutung von Wörtern und Konstruktionen. Dabei ist, wie Kap. 7.1 zeigen wird, sehr umstritten, was genau unter Bedeutung zu verstehen ist und wie weit der Bedeutungsbegriff gefasst werden kann: Können wir beispielsweise sagen, dass ein Suffix wie -heit in Freiheit eine Bedeutung hat? Manche neueren Ansätze gerade in der Konstruktionsgrammatik (vgl. z.B. Kap. 6.2.3 und 8.2.2) vertreten dabei einen sehr weiten Bedeutungsbegriff, nach dem beispielsweise auch syntaktische Muster Bedeutung tragen können.
Die Pragmatik (Kap. 8) schließlich befasst sich mit sprachlichem Handeln. Dazu gehören z.B. Aspekte, die über die wörtliche Bedeutung einer Äußerung hinausgehen. Beispielsweise kann mit einer Aussage wie Es zieht eine indirekte Aufforderung vermittelt werden: ‚Bitte schließe das Fenster!‘ Es handelt sich um einen sog. indirekten Sprechakt. Auch andere Aspekte der konkreten Sprachverwendung, etwa die Verknüpfung von Äußerungen mit positiven oder negativen Einstellungen (vgl. das Zeitliche segnen vs. abnippeln) oder auch mit Kontextfaktoren (vgl. Sehr geehrte Frau Prof. Meier vs. Yo bro!), gehören in den Bereich der Pragmatik. Die Grenzen zwischen Semantik und Pragmatik sind dabei oft fließend. So lässt sich darüber streiten, ob das Wort Pferd und sein pejoratives (abwertendes) Pendant Gaul die gleiche Bedeutung haben, weil sie beide auf ein Tier der biologisch Equus genannten Gattung referieren und sich nur pragmatisch unterscheiden, oder ob der pejorative Gehalt als Teil der Semantik des Wortes gesehen werden muss.
Die GraphematikGraphematik (Kap. 9) befasst sich mit der Verschriftung von Sprache. Dabei gilt es im Blick zu behalten, dass Schrift gegenüber der Sprache sekundär ist – Sprache(n) gibt es schon viel länger als Schrift, und bis heute können viele Menschen nicht lesen und schreiben, aber alle normal entwickelten Menschen beherrschen eine Sprache. Das hat dazu geführt, dass die Graphematik in der Linguistik lange Zeit ein Schattendasein geführt hat und teilweise immer noch führt. In der germanistischen Linguistik hat sich jedoch ein ausgeprägtes Interesse am Verhältnis von Sprache und Schrift entwickelt. Die Graphematik ist auch insofern ein sehr vielversprechender Forschungszweig, als man davon ausgehen kann, dass in einer alphabetisierten Gesellschaft, in der zudem Schrift quasi omnipräsent ist, unser sprachliches Wissen auch sehr stark durch die Verschriftung von Sprache geprägt ist.
2.1.2 Wie verändern wir Sprache? Zur Theorie des Sprachwandels
Holistische und modularistische Ansätze
Dass Sprache sich wandelt, ist eine Tatsache, die kaum ernsthaft in Frage gestellt werden kann. Wie Sprache sich wandelt und warum, ist jedoch umstritten. An dieser Stelle kann nur ein sehr knapper Überblick über verschiedene Ansätze gegeben werden, auch weil sich dieses Buch nur indirekt mit Sprachwandeltheorie beschäftigt – im Mittelpunkt stehen vielmehr Methoden, mit deren Hilfe sich Sprachwandel empirisch untersuchen lässt. Die empirischen Ergebnisse können dann wiederum theoretische Erklärungsansätze untermauern oder in Frage stellen.
Die Antwort auf die Frage, wie und warum Sprachen sich verändern, hängt stark von der Konzeption ab, die man von Sprache hat. Stark vereinfachend kann man zwei sehr unterschiedliche Auffassungen von Sprache unterscheiden, auch wenn es in beiden „Lagern“ sehr viel Variation gibt und die Grenzen zwischen den unterschiedlichen Richtungen sehr viel unschärfer sind, als ich sie hier darstelle. Eine modularistischeModularismus Sprachauffassung, wie sie insbesondere die generative Grammatik vertritt1, sieht Sprache als eigenständige Komponente der Kognition. Sie nimmt an, dass es bestimmte Gehirnareale gibt, die spezifisch für Sprachverarbeitung zuständig sind. Das „Sprachmodul“ ist dabei zwar in einigen Varianten der Theorie über Schnittstellen mit anderen kognitiven Modulen verbunden, aber prinzipiell von diesen unabhängig. Die Sprachfähigkeit gilt in diesem Ansatz als angeborene Fähigkeit: Eine Sprache muss zwar erworben werden, doch die kognitiven Voraussetzungen dafür sind biologisch verankert. Ein (umstrittenes) Hauptargument dafür lautet, dass Kinder eigentlich gar nicht genug Input bekämen, um eine Sprache vollständig erwerben zu können (poverty of stimulus). Insbesondere erhielten sie kaum negatives Feedback z.B. durch Fehlerkorrektur. Daher müsse es angeborene Grundlagen der Sprachfähigkeit geben. Zu diesen kognitiven Grundlagen zählt eine Universalgrammatik, also ein Regelinventar, das allen Sprachen zugrundeliegt. Folgerichtig ist das eigentliche Erkenntnisinteresse der Sprachwissenschaft aus generativer Sicht auch nicht die Beschreibung sprachlicher Oberflächenstrukturen, sondern vielmehr eben dieser Universalgrammatik. Das heißt aber nicht, dass die generative Linguistik per se nicht an sprachlicher Diversität und Variation interessiert wäre (auch wenn man ihr das manchmal vorwirft). Im Fokus steht jedoch die Frage, wie sich die Heterogenität menschlicher Sprachen aus einem als homogen angenommenen Regelinventar ergibt.
Der Fokus auf die angeborene Sprachfähigkeit im allgemeinen und auf die Universalgrammatik im besonderen bringt für die generative Linguistik Herausforderungen mit sich, wenn es um die Erklärung von Sprachwandel geht, da die Universalgrammatik ja eine relativ statische Größe sein muss. Aus diesem Grund wird in solchen Ansätzen gerade dem Spracherwerb eine zentrale Rolle zugeschrieben. Im Principles-and-Parameters-Ansatz der generativen Grammatik geht man davon aus, dass die Universalgrammatik aus invariablen Prinzipien besteht, die allerdings unterschiedlich realisiert werden können. Diese unterschiedliche Realisierung geschieht über Parametersetzung. Im Spracherwerb setzt das Kind die Parameter