6. Gesetz und Evangelium: Evangelium und Gesetz unterscheiden sich eigentlich so, dass das Gesetz das predigt, was zu tun und zu unterlassen ist, ja sogar dass das Geschuldete und das zu Unterlassende oder Unmögliche geschehen und unterlassen werden soll (also dient es allein der Erkenntnis der Sünde), das Evangelium aber predigt die Vergebung der Sünden und die Erfüllung aller Gebote. Das Gesetz sagt: Tu, was von dir gefordert wird, das Evangelium aber: Deine Sünden sind dir vergeben (2, 466, 3–7). Das Evangelium ist real und formal Gericht und Gerechtigkeit, wenn es so durch die Tat gelebt wird, wie es uns lehrt. Es ist aber lehrhaft Gericht und Gerechtigkeit, wenn es so zu leben lehrt. Die aber das Evangelium erfüllen, sind nicht unter dem Gesetz. Denn nichts ist über ihnen, da sie es erfüllt haben und ihm schon entsprechen. Das Gesetz herrscht nicht mehr und ist nicht über ihnen, die es erfüllen (3, 463, 21–36). Das Gesetz wurde auf Tafeln geschrieben und war tote Schrift, eingeschlossen in die Grenzen der Tafel, also wenig wirksam. Aber das Evangelium wird der lebendigen und freien Stimme, die die Ohren erreicht, anvertraut, also hat es mehr Kraft zur Bekehrung. Daher hat Christus nichts geschrieben, sondern alles mündlich ausgesprochen (7, 526, 13–16). Es ist nicht möglich, dass der das Evangelium höre und sich lasse durch die Gnaden des Geistes lebendig machen, wer nicht will zuvor das Gesetz hören und sich durch den Buchstaben töten lassen, denn die Gnade wird |70|nicht gegeben als allein denen, welche nach ihr dürsten: das Leben hilft nur den Toten, die Gnade nur den Sünden, der Geist nur dem Buchstaben, und eines ohne das andere mag niemand haben (7, 656, 27–31). Wer richtig das Evangelium vom Gesetz zu unterscheiden weiß, der möge Gott danken und sich als Theologen wissen. Sie sind so zu unterscheiden, dass du das Evangelium in den Himmel setzt, das Gesetz auf die Erde, dass du die Gerechtigkeit des Evangeliums himmlisch und göttlich nennst, die des Gesetzes irdisch und menschlich, wie du umso sorgfältiger die Gerechtigkeit des Evangeliums von der Gerechtigkeit des Gesetzes unterscheidest, je sorgfältiger Gott den Himmel von der Erde unterscheidet (40I, 207, 17–23). Deshalb muss man wohl zu unterscheiden wissen, damit man nicht im Evangelium das Gesetz suchte, sondern dieses von jenem so sehr unterscheide, wie der Himmel von der Erde entfernt ist. Leicht könnte man sagen, dass das Evangelium nichts anderes sei als die Offenbarung des Sohnes Gottes, als die Erkenntnis Jesu Christi, dass es nicht die Offenbarung und Erkenntnis des Gesetzes sei, aber im Kampf des Gewissens und in der Praxis dies gewiss festzuhalten, ist auch für die Erfahrensten schwierig (40I, 141, 12–18).
7. Verderbnis/Missbrauch: Wenn man jetzt unseren Geistlichen das Evangelium vorhält, so leugnen sie nicht, dass es das Evangelium sei. Aber sie sagen, sie müssten es auslegen. Damit leugnen sie nicht das Evangelium, sondern nehmen ihm nur alle seine Kraft, und unter des Evangeliums Namen und Schein geben sie ihre eigenen Träume vor (10I.1, 668, 6–12). Es sind zweierlei Ärgernisse, die des Evangeliums Lehre zuschanden machen. Eine, die die Heiden ärgert damit, dass dadurch etliche wollen frei sein und sich wider weltliche Obrigkeit setzen, machen aus geistlicher Freiheit eine weltliche, darüber muss das Evangelium die Schmach leiden, als lehre es solches. Das andere Ärgernis ärgert die Christen unter sich selbst, da durch unzeitigen Gebrauch christlicher Freiheit die Schwachen im Glauben geärgert werden (17II, 181, 24–33).
📖 Albrecht Beutel, Hg., Luther Handbuch, 3. Aufl. 2017, passim. Bernhard Lohse, Evanglium in der Geschichte, 1988. Ders., Martin Luther, 3. Aufl. 1997, 164f.
Ewigkeit
1. Ist das Wort vor allen Kreaturen gewesen und alle Kreatur durch dasselbe geworden und geschaffen (Joh 1,3), so muss es ein anderes Wesen sein als Kreatur, und ist es nicht geworden oder geschaffen wie die Kreatur, so muss es ewig sein und keinen Anfang haben; denn als alle Dinge anfingen, da war es schon zuvor da und lässt sich nicht in der Zeit begreifen, sondern schwebt über Zeit und Kreatur, ja Zeit und Kreatur werden und fangen dadurch an. Was nicht zeitlich ist, das muss ewig sein, und was keinen Anfang hat, kann nicht zeitlich sein, und was nicht Kreatur ist, muss Gott sein; denn außer Kreatur und Gott ist nichts (10I.1, 183, 1–12). Gott hat nicht angefangen zu sein, sondern er ist ewig. So folgt, dass das Wort auch ewig ist, weil es nicht angefangen hat am Anfang, sondern es war schon am Anfang (10I.1, 189, 4–7).
2. Der Glaube hängt außerhalb dieser Welt an Gott, Gottes Wort und seiner Barmherzigkeit und rechtfertigt den Menschen weder durch Werke noch irgendein weltliches Ding, sondern durch die ewige, unsichtbare Gnade Gottes. Darum ist er nicht Element dieser Welt, sondern die Fülle der ewigen Güter. Obwohl er auch zeitlich, |71|äußerlich wirkt, so weiß er doch von keinem weltlichen Ding. Denn er wirkt frei darin (10I.1, 350, 2–11).
3. Sollte nun Christus ein Herr sein, sollte seine Herrschaft nicht zeitlich noch leiblich sein, sondern er musste über das ganze Volk regieren, das vergangen, gegenwärtig und zukünftig war; darum musste er ein ewiger Herr sein, das kann gewiss nur geistlich zugehen (10I.1, 600, 3–6). Christus musste durch den Tod dieses sterbliche Leben lassen und durch Auferstehen ein unsterbliches annehmen und er ist ein wahrhaftiger lebendiger Mensch und doch unsterblich, ewig unsichtbar und regiert also geistlich im Glauben (11, 328, 15–19).
4. Nach der Auferstehung wird ein ewiges Leben der Heiligen und ewiges Sterben der Sünder sein (7, 220, 1f.). Auf dem V. Laterankonzil wurde zurecht beschlossen, dass die Seele des Menschen unsterblich sei, womit erinnert wird an das Bekenntnis: ‚ich glaube ein ewiges Leben‘ (7, 425, 22–25), ja auch der Leib muss wiederkommen, wie wir im Glauben bekennen: ‚Ich glaube eine Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben‘ (10I.1, 56, 19–23).
5. Christus will im Abendmahl nicht zeitlich, sondern geistlich und ewiglich geholfen haben durch seine Worte und Werke (7, 695, 24f.). Das Abendmahlsbrot speist zu einem unsterblichem ewigen Wesen, wie Christus sagt: Wer dies Brot isst, wird ewig leben (2, 109, 20–24).
📖 Heinrich Heimler, Aspekte der Zeit und Ewigkeit bei Luther, in: LuJ 40 (1973) 9–45.
Exempel
→ Geschichte
1. Exempel und Historien geben und lehren allzeit mehr, als die Gesetze und das Recht: dort lehrt die gewisse Erfahrung, hier lehren unerfahrene, ungewisse Worte (6, 261, 20–22; vgl. 50,