Konstruktive Rhetorik in Seminar, Hörsaal und online. Jürg Häusermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jürg Häusermann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783846355503
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abgelenkt würde. Denn die Perspektive ist so gewählt, dass keine auffälligen Einzelheiten Fragen aufwerfen.56

      Die Umgebung gestalten

      Sobald man sich entschieden hat, in einem Raum zu präsentieren, muss man sich auch der Tatsache stellen, dass dieser Raum etwas ausdrückt. Er zeigt Dinge von mir oder von meinem Büro, die meinen Vortrag begleiten. Es ist durchaus in Ordnung, wenn an der Wand hinter mir die Familienbilder aus den letzten Jahrzehnten hängen. Aber sinnvoll ist es nur so lange, als die Familie auch mit dem Vortrag zu tun hat – als Thema oder als Teil der Crew. In allen anderen Fällen wirkt es ebenso ablenkend wie das Poster vom Hamburger Fischmarkt oder die Aussicht auf die sich drehende Waschmaschine. Und auch für Einzelheiten im Bild gilt die Regel: Was irritieren könnte und nicht entfernt werden kann, soll angesprochen werden.

      Tiefe erzeugen: Drei Dimensionen zeigen

      Ein Raum ist dreidimensional. Wer nur als „Talking head“ vor einem flachen Hintergrund zu sehen ist, kann niemanden zu sich einladen. Die Distanz wird betont; das Publikum beobachtet, es kommuniziert nicht mit der Rednerin. Ähnlich wie in der klassischen Tagesschau im Fernsehen wird man Zeuge einer Verkündung, nicht eines Dialogs.

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      9 | Präsentation zweidimensional.

      Deshalb ist alles besser, als vor einer platten Wand zu sitzen. Schon eine reine Drehung der Kamera um 20 Grad verleiht dem Raum Tiefe: Eine fliehende Wand reicht aus, um Perspektive zu ermöglichen. Wenn noch eine Ecke und eine angeschnittene zweite Wand zu erkennen ist, umso besser. Das ist keine große Veränderung; aber die sprechende Figur wird zu einem Menschen in einem Raum mit Luft zum Atmen.

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      10 | Präsentation dreidimensional.

      Eine andere Möglichkeit ergibt sich, wenn im Hintergrund eine Tür zum nächsten Zimmer offensteht. Und auszuprobieren lohnt sich immer auch die Präsentation im Freien – an einem kleinen Tisch vor einem grünen Hintergrund, der nicht ablenkt, aber dich in einem Raum mit Perspektive platziert und nicht vor einer Kulissenwand.

      Gesprächspartner beleben den Raum

      Ein Raum entsteht fast von selbst, wenn man eine Präsentation zu zweit erstellt. Viele Themen lassen sich ohnehin leichter im Gespräch erörtern. Und zwei Menschen, die im Gespräch sind, sprechen nicht nur, sondern verhalten sich auch körperlich zueinander: Sie müssen sich so setzen oder stehen, dass sie einander ansprechen können und von der Kamera erfasst werden. Damit wird auch ihre Gestik sichtbar. Und meistens fühlen sie sich zu zweit vor der Kamera wohler als allein. Sie sind damit als Nutzer eines angenehmen Biotops zu sehen und haben die Chance, menschlicher rüberzukommen.

      Akustik überprüfen

      Der Raum vermittelt sich auch durch seine Akustik. Diese wird zu oft vernachlässigt. Typisch sind die Präsentationen aus großen Räumen mit viel Nachhall. Schon ein Zimmer mit nackten Wänden kann ausreichen, dass die gesprochene Sprache zu sehr hallt. Problematisch sind immer Live-Übertragungen oder Aufzeichnungen aus hohen Räumen, etwa Kirchen, Konzerthallen oder Eingangshallen zu großen Gebäuden. Da muss dafür gesorgt werden, dass ein Mikrofon aus der Nähe auf den Mund gerichtet ist oder mit einem Ansteck-(Richt-)Mikrofon dafür gesorgt wird, dass der Hall nicht stört.

      Die Übertragung von Gottesdiensten durch öffentliche Fernsehanstalten kann demonstrieren, dass es möglich ist, den Raumeindruck zu wahren und die Sprache dennoch verständlich zu übertragen. Unter Corona-Bedingungen konnten viele Kirchengemeinden ihre Gottesdienste nur online mit der Gemeinde zusammen feiern. Nebst der Pfarrerin nahmen in der Kirche nur noch einige wenige Personen teil, die den Raum nicht füllen konnten. Das bedeutete schon deshalb einen stärkeren Hall als gewohnt, weil normalerweise die Kirchgänger die Töne zum Teil absorbieren. Erschwert wurde die Prozedur noch dadurch, dass die Verstärkeranlage der Kirche selbst während der Übertragung oder Aufzeichnung ausgeschaltet bleiben musste. Ansonsten hätte das (notwendige) separate Mikrofon noch weitere Schallquellen – die Lautsprecher – aufgenommen. (Zu einem Vergleich laden die Aufnahmen aus der Stiftskirche Tübingen57 und der Stiftskirche Beutelsbach58 und von Heilig Abend 2020 ein. Den Tübinger Wortbeiträgen ist schwer zu folgen, weil offensichtlich keine Anstrengung gemacht wurde, die Akustik zu überprüfen; die Beutelsbacher sind sehr gut zu verstehen, sie arbeiten mit 14 Mikrofonen für Prediger, Lektorin und Musizierende.)

      Generell ist die Investition in ein separates Redner-Mikrofon in jedem Fall zu empfehlen – auch dann, wenn keine weitere Technik als ein Notebook oder Tablet mit eingebauter Kamera verwendet wird. Das Mikrofon ist damit nicht Teil des Computers und übernimmt keine Erschütterungen, die sich ergeben, wenn auf diesem getippt wird.

      Den Bildausschnitt wählen

      Wer nur mit dem Laptop arbeitet, sitzt in der Regel etwa 50 cm von der eingebauten Kamera entfernt und präsentiert sich dem Zuschauer in einer Nahaufnahme, die vom Kopf bis knapp unterhalb der Schultern reicht. Wie schon aus bisherigen Beispielen deutlich wurde, bringt es viele Vorteile, wenn die Kamera etwas weiter entfernt ist. Sie zeigt dann zumindest den gesamten Oberkörper und die Arme. Damit werden Gesten und andere Aktionen sichtbar. Zudem fällt es dann leichter, eine bedeutsame Umgebung zu schaffen: Man sieht die Rednerin an ihrem Arbeitsplatz oder im Gebäude eines Kunden usw. Es erleichtert überdies den Blick in die Kamera: Der Blickkontakt braucht nicht so präzise zu sein wie aus unmittelbarer Nähe.

      Auch der Kopf braucht Raum. Wenn der obere Bildrand zu nah am Kopf verläuft, kann der Rahmen beengend wirken. Als beste Position für die Augen gilt eine waagerechte Linie, die den Bildschirm im Verhältnis 2:1 teilt („Drittel-Regel“).

      Licht setzen

      Gutes Licht setzen zu können, ist eine Kunst. Allzu schlechtes Licht zu verhindern, ist jedoch nicht schwer. Zu viele Präsentationen werden im Gegenlicht aufgenommen – vor dem Fenster oder vor einer Stehlampe –, so dass die Gesichtszüge in einem flauen Schatten verschwinden. Ein Licht von vorne – und wenn es das Fenster ist – zeigt das Gesicht auf jeden Fall deutlicher. Plastischer wird die Darstellung durch eine weitere Lichtquelle im Hintergrund. – Das alles kann hier nur angedeutet werden. Viele Tipps zum Thema Porträt finden sich im Internet auf Blogs von Foto- und Film-Profis.

      Die Perspektive überprüfen

      In der Regel befindet sich die Kamera ungefähr auf Augenhöhe. In einzelnen Ratgebern heißt es, dass sie etwas tiefer positioniert sein müsse, andere empfehlen einen etwas höheren Standpunkt. Wer nach einem sicheren Tipp googelt, wird garantiert beide Meinungen finden. Die einzige gangbare Lösung ist: ausprobieren. Auf jeden Fall sollte man es nicht dabei bewenden lassen, das Laptop aufzuklappen, wo es sich gerade befindet, und ohne vorherige Kontrolle loszulegen.

      Vorsicht bei der Präsentation aus zu großer Nähe! Dies gilt besonders für improvisierte Auftritte mit dem Handy. Man hält das Smartphone in der Hand und übernimmt den Ausschnitt, der bei einer Armlänge Abstand entsteht. Das Resultat im schlimmsten Fall: Eine Aufnahme aus größter Nähe von unten, auf der weder die Schultern noch der ganze Kopf Platz haben.

      Damit entsteht leicht ein zu nahes, zu persönliches, zu intimes Porträt. Die Erfahrung zeigt, dass dies auch dann nicht automatisch behoben ist, wenn man das Smartphone in ein Regal stellt; denn das übliche Format (hochkant) verleitet auch zu einem stark beengenden Ausschnitt.

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      11 | Präsentation mit Smartphone aus größerer Entfernung.

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