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hier wiederum die Werke von Äschylus und Sophokles – deshalb so wichtig, weil er darin eine Vereinigung der beiden Prinzipien des Apollinischen und des Dionysischen sah, d. h. eine Vereinigung des Bildens, des Gestaltens und der Ordnung des Individuierten mit seiner Herkunft.
Wir müssen dazu nicht eine andere Welt des Ungeordneten, Ungestalteten oder ‚Ur-Einen‘ annehmen, welche in der Tragödie zur Sprache kommen könnte. Zur Sprache könnte diese Welt schon deshalb nicht kommen, weil die Sprache die Artikulation in Sätze und Wörter erfordert, also eben jenes individuierende Bilden und Gestalten, das gerade dem Apollinischen zugehört. Wir dürfen uns also das Dionysische nicht als eine Welt vorstellen, die es irgendwo ‚gibt‘ und die dann in die apollinische Welt eingeht, wie das flüssige Glas in der Fabrik in die Form von Champagnerflaschen gebracht wird. Solche Bilder sind für ein philosophisches Verständnis von Nietzsches Schriften in der Regel nur schädlich, obwohl sie auch von ihm selbst bisweilen nahegelegt zu werden scheinen.
Es ist weit angemessener, die Bedeutung der Tragödie für Nietzsche darin zu sehen, dass er in dieser Kunstform das Geschehen der Individuierung, des Gestaltens und Bildens selbst dargestellt und deshalb erscheinend sah. Das entscheidende Element dabei ist eine Besonderheit der griechischen Tragödie, nämlich die Bedeutung des Chores und damit des Lyrischen in der Einheit mit der Musik. Die Bedeutung der Tragödie liegt also vor allem darin, dass in ihr die Musik zu Sprache und Ausdruck wurde, so dass sie etwas zu sagen begann, allerdings nicht so, dass ein sprachlicher Inhalt eine musikalische Untermalung oder Illustration suchte, sondern in dem Sinne, dass die Musik darin aus sich selbst zur Sprache und zum Ausdruck wurde. Zentral für Nietzsches Auffassung ist also, „dass die Tragödie aus dem tragischen Chore entstanden ist und ursprünglich nur Chor und nichts als Chor war: woher wir die Verpflichtung nehmen, diesem tragischen Chore als dem eigentlichen Urdrama ins Herz zu sehen.“ (GT III-1, 48) Die griechische Tragödie ist also der dionysische Chor, aber nicht in einer isolierten dionysischen Welt, sondern in einer artikulierten Form, indem er „sich immer von neuem wieder in einer apollinischen Bilderwelt entladet.“ (GT III-1, 58)
Auch der Chor ist demnach keineswegs eine Darstellung oder Erscheinung des Dionysischen – das Dionysische kann nicht erscheinen, weil es nicht artikuliert und gestaltet sein kann ohne die apollinische Individuierung. Aber dieses Verhältnis ist im Chor der griechischen Tragödie dargestellt, während es – so Nietzsches daran anschließende Kritik – in späteren Kunstformen und vor allem in der Form des Wissens, das wir als Wissenschaft kennen, nicht mehr dargestellt werden kann. Damit, so wird die Kritik weiter lauten, handelt es sich um eine abstrakte Form des Wissens und zuvor schon der Kunst, in der das apollinische Ergebnis (die individuierte Gestalt) allein
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dargestellt werden kann, aber nicht mehr der Prozess, in dem und aus dem diese Gestalt entsteht. Nietzsches Theorie der Tragödie zeigt sich schon hier als Ansatz zu einer ‚grenzbestimmenden‘ Kritik einer bestimmten Form des Wissens, das seinen Ursprung zwar aus der Kunst nahm, aber schon innerhalb der Kunst eine Tendenz zu einem Verdecken dieses Ursprungs selbst enthält. Das Wissen der Wissenschaft und das Vorherrschen der apollinischen Seite in der Kunst hängen demnach eng zusammen.
Die Tragödie ist also keineswegs eine Darstellung des Dionysischen, Rauschhaften, ‚Ungebildeten‘ und Formlosen. Sie erscheint Nietzsche vielmehr als eine „apollinische Versinnlichung dionysischer Erkenntnisse und Wirkungen.“ (GT III-1, 58) Apollinisch ist in der Tragödie eigentlich nur der Dialog und davon abgeleitet die Handlung. Der Chor dagegen erzeugt die „Vision“ (GT III-1, 59) und stellt sie dar – während das Bild, das in dieser Vision entsteht, als individuierte Gestalt im Dialog erscheint. Erst damit wird die Vision deutlich, verständlich und schön. Entscheidend für die Bedeutung der Tragödie in Nietzsches Denken ist also nicht, dass in ihr Mythen bzw. mythologische Begebenheiten dargestellt werden, sondern dass durch die Musik und damit durch den Chor der Mythos mit einer neuen Bedeutung interpretiert wird (GT III-1, 69 –70). Die Interpretation geschieht jedoch nicht durch einen sprachlichen Vorgang, sondern nur durch die Musik, und gerade deshalb kann die Tragödie jenen Bezug zu der Darstellung des Gestaltens und Bildens selbst herstellen, welchen Nietzsche mit der „in einander gewobenen“ (GT III-1, 78) Dualität des Apollinischen und des Dionysischen beschreibt. Die Tragödie interpretiert also nicht, indem sie in die Sprache übersetzt, sondern indem sie das Sprachliche aus dem Geiste der Musik entstehen lässt.
Dass es gerade die Tragödie ist, in der eine solche Darstellung des dionysisch-apollinischen Grundes der Artikulation in der Kunst entstehen musste, hat jedoch auch einen Grund, der sich auf den Inhalt bezieht. Allerdings weist Nietzsche darauf hin, dass dieser Inhalt in der griechischen Tragödie gerade nicht isoliert von der musikalischen Form verstanden werden kann. Das Tragische ist die Vernichtung des Individuums durch ein Geschehen, das jenseits des Individuums waltet, und das es selbst nur in Gang bringt, nicht aber verursacht. Das Tragische ist deshalb eine Manifestation des Prinzips der Musik im Inhalt der Tragödie:
„erst aus dem Geiste der Musik heraus verstehen wir eine Freude an der Vernichtung des Individuums. Denn an den einzelnen Beispielen einer solchen Vernichtung wird uns nur das ewige Phänomen der dionysischen Kunst deutlich gemacht, die den Willen in seiner Allmacht gleichsam hinter dem principio individuationis, das ewige Leben jenseits aller Erscheinung und trotz aller Vernichtung zum Ausdruck bringt. Die metaphysische Freude am Tragischen ist eine
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Übersetzung der instinktiv unbewussten dionysischen Weisheit in die Sprache des Bildes: der Held, die höchste Willenserscheinung, wird zu unserer Lust verneint, weil er doch nur Erscheinung ist, und das ewige Leben des Willens durch seine Vernichtung nicht berührt wird.“ (GT III-1, 104)
Der musikalische Grund der Tragödie setzt sich also durch die Vernichtung des Individuums in der Tragödie durch. Aber er könnte natürlich nicht erscheinen, würde die Tragödie nicht ebenso das Prinzip des Individuellen enthalten, das Nietzsche ‚apollinisch‘ nennt. Dass an dieser Stelle mit dem Thema des ‚Willens‘ wieder die Schopenhauersche Philosophie durchscheint, sollte angemerkt werden. Für das Verständnis der Nietzscheschen Theorie der Tragödie als Fundament, in dem wesentliche Züge seiner ganzen Philosophie zum Ausdruck kommen, ist dieser Anklang an eine ‚Willensmetaphysik‘ im Schopenhauerschen Sinn jedoch nicht wesentlich.
Nietzsche stellt der Tragödie in diesem Zusammenhang die Plastik als die eigentlich apollinische Kunst entgegen. Hier „überwindet Apollo das Leiden des Individuums durch die leuchtende Verherrlichung der Ewigkeit der Erscheinung.“ (GT III-1, 104) Merkwürdigerweise spricht Nietzsche jedoch auch davon, dass auch die dionysische Kunst „uns von der ewigen Lust des Daseins überzeugen“ will – allerdings soll es sich dabei um eine Lust „hinter den Erscheinungen“ handeln. Wiederum sollte man beachten, dass etwas nicht schon deshalb ‚wahrer‘ oder ‚eigentlicher‘ ist, weil es sich ‚hinter den Erscheinungen‘ befindet. Es wird sich noch deutlicher zeigen, dass die Fluchtlinie von Nietzsches Denken auch dazu führt, eine solche allzu oft grundlos nahegelegte Wertunterscheidung zu kritisieren. Es ist auch nicht gemeint, dass damit eine Lust an der ‚wirklichen Wirklichkeit‘ oder an der ‚wahren Wahrheit‘ gefunden werden könnte. ‚Erscheinung‘ ist auch hier nicht als ‚Schein‘ zu verstehen, den man so schnell wie möglich abbauen müsste, um der wirklichen Sache näherzukommen. Gemeint ist vielmehr eine Perspektive auf das Individuierte, das Gebildete bzw. Gestaltete in der Abstraktion vom Individuieren, Bilden und Gestalten, so dass jenes in seinem nicht selbstverständlichen und nicht natürlichen Ursprung deutlich werden kann.
Dies wird allerdings etwas verdeckt, wenn Nietzsche etwa schreibt: „Wir sollen erkennen, wie alles, was entsteht, zum