TODESANGST – DIE ANGST ALLER ÄNGSTE
HELDEN UND HELDINNEN WIDER DEN TOD
DIE „TERROR-MANAGEMENT-THEORIE“
MARTIN PREIN UND DER TOD
„Der Tod muss abgeschafft werden, diese verdammte Schweinerei muss aufhören. Wer ein Wort des Trostes spricht, ist ein Verräter.“
Bazon Brock
Als ich das Zitat des mir sehr verehrten Bazon Brock zum ersten Mal gelesen habe, hat es mich regelrecht elektrisiert, zum einen musste ich herzhaft lachen, angesichts dieser enthusiastischen Forderung des Unmöglichen, zum anderen sprach er mir damit geradezu aus der Seele. Und wenn ich von Seele spreche, dann meine ich mein tiefstes Inneres, jene Quelle, die all meine Erfahrungen, Prägungen sowie bewussten und unbewussten Komponenten meines Seins beinhaltet. Ich betone das deshalb, weil uns die Begrifflichkeit „Seele“ in diesem Buch noch des Öfteren unterkommen wird, spätestens im Kapitel „DIE ERFINDUNG DER SEELE“.
Aber zurück zu Bazon Brock und seinem Aufbegehren gegen den Tod. Wenn wir könnten, würden wir ihn alle sofort und umgehend abschaffen, ihn und seine auslöschende und nichts wie Schmerz und Trauer nach sich ziehende Zerstörungsgewalt. Gängige Tröstungsversuche, wie dass der Tod nun mal zum Leben gehöre, ein ewiges Leben ohnehin nicht erstrebenswert sei und dergleichen, sind klägliche und zum Scheitern verurteilte Versuche, dem Unausweichlichen das Grauen zu nehmen. Das Grauen ist und bleibt aber, immer und unaufhörlich, es treibt uns an und legt uns lahm, es macht uns verführbar und zum Spielball von Machtinteressen, es greift ein in unsere Entscheidungsprozesse und durchwirkt unsere Gefühlswelt weit mehr, als wir für möglich halten. Somit stimme ich in Brocks Empörung ein und halte Worte des vermeintlichen Trostes ebenso für Verrat. Für einen Verrat an unserem Recht auf Angst vor dem Tod, für einen Verrat an unserem Wunsch, nicht jeden Augenblick unserer Existenz oder unseren Liebsten entrissen werden zu können.
„Herr Prein, Sie und der Tod!“, sagte einmal eine Vortrags-Besucherin zu mir, begleitet von einem Kopfschütteln, wenn auch wohlwollend, das ich nicht richtig deuten konnte, irgendwas zwischen „ja, ja, ich habe Sie durchschaut“ und „meine Güte, warum tun Sie sich das an“, auf jeden Fall aber schwang in ihrem Ton etwas mit, das mir im Laufe meiner vielen Jahre, in denen ich Vorträge und Seminare zu diesem Thema halte, immer wieder begegnet ist. Nämlich die Annahme, ich hätte mich irgendwie mit dem Tod verbündet, mich mit ihm auf ein Packerl gehauen oder zumindest arrangiert. Anders, so die Annahme, könne es ja nicht sein, wenn man freiwillig so viel Zeit und Energie mit diesem doch sehr schweren Thema verbringt.
Mir scheint, es ist Zeit für ein paar Bekenntnisse, Bekenntnisse eines ehemaligen Bestatters, der ich fünfzehn Jahre lang war, Bekenntnisse eines Notfallpsychologen, als der ich an vielen Unfallorten mit Todesopfern im Einsatz war, aber auch Bekenntnisse und Erkenntnisse, die ich im Laufe der Jahre gesammelt habe, seit ich Trauernde psychologisch begleite, und seit ich mit meinem „Letzte-Hilfe-Kurs“ für Seminare und Vorträge unterwegs bin, aber auch solche, die ich als Martin Prein, ganz privat, für mich gehoben habe. Vielleicht kennen Sie ja mein Buch „Letzte-Hilfe-Kurs“, dann wissen Sie, dass wir uns darin, neben der Begegnung mit dem toten Körper, vor allem mit dem Umgang trauernder Hinterbliebener beschäftigt haben. In diesem Buch möchte ich mich jetzt dem Umgang mit unserem eigenen Tod widmen.
Ich möchte versuchen, Ihnen meine ganz persönliche Betrachtungsweise, aber auch einen reflektierten und fachlich-praktischen Blick auf dieses komplexe Thema zu vermitteln. Ich nehme Sie mit auf eine Reise durch Begebenheiten, Geschichten und Erfahrungen, aber vor allem auch in viele Schichten meiner und mit Sicherheit auch Ihrer Gedanken- und Gefühlswelt. Ich werde mich und uns fragen, wie sehr wir uns der eigenen Endlichkeit bewusst sind und was wir während und angesichts unserer ablaufenden Zeit alles anstellen, um trotzdem im Hier und Jetzt gut leben zu können. In den Kapiteln „GEGENSÄTZE ZIEHEN SICH AN“ und „TABUZONE LEICHE“ lasse ich mich unter anderem ein auf die eigentümliche Widersprüchlichkeit, die uns im Umgang mit unserem eigenen Sterben immer wieder begegnet, aber auch oder sogar im Besonderen im Umgang mit den bereits gestorbenen Körpern anderer.
Apropos widersprüchlich: Egal ob als Sanitäter, als Psychologiestudent oder als Bestatter; egal ob in den Jahren in der Krisenintervention oder in meinen aktuellen Tätigkeiten wie der Seminararbeit oder den Trauer begleitenden Prozessen – es gibt für mich nach wie vor kein Thema, das auf mich gleichzeitig so anziehend und abschreckend wirkt wie der Tod und der Umstand, dass wir alle, so wie wir hier schreiben oder lesen, der Vergänglichkeit unumkehrbar ausgeliefert sind. In diesem Spannungsfeld lebend, suche und finde ich für mich Antworten – oder auch keine – in und aus den unterschiedlichsten Bereichen. Tauche ein in philosophische und spirituelle Ansichten, versuche biologische und psychologische Zusammenhänge zu verstehen, nehme Platz an der Seite sogenannter Todesprofessionisten, wie zum Beispiel Pathologen, bzw. habe ich mich auch selbst in diese – sagen wir mal – dem Tod sehr verbundenen Berufswelten begeben. Die eine und andere Erkenntnis, die eine und andere Antwort auf große Fragen möchte ich hier mit Ihnen teilen.
An dieser Stelle möchte ich Ihnen auch gleich ein Geheimnis verraten, ein erstes Bekenntnis, wenn Sie so wollen: Ich kann die ewig gleiche Rede zum Thema Tod und Sterben nicht mehr hören! Dieser Widerwille ist wohl auch eine wesentliche Triebfeder für dieses Buch. Kein Zeitungsartikel, keine Gesprächsrunde, die nicht die ewig gleichen Phrasen und Standarddiagnosen zum Inhalt haben, die wie eine Monstranz bei einer Prozession vor sich hergetragen werden. Vor allem, wenn sich die Medien zu Allerheiligen dem kulturell verordneten Memento mori hingeben, hört und liest man – ähnlich wie bei so manchem Weihnachtshit – immer wieder dieselben Rezepte, Diagnosen, Kritiken oder Forderungen. Und den Klassiker schlechthin, das „Last Christmas“ unter den Lösungsansätzen, den Ausruf „die Gesellschaft müsse sich einfach wieder mehr mit dem Tod befassen!“, dicht gefolgt von „die Menschen verdrängen den Tod“, „der Tod ist ein Tabu“ oder „früher war sowieso alles anders und vor allem viel natürlicher und besser“ … und als wäre es der Fadesse nicht genug, kommt allenthalben noch der grauenerregende Appell: „Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter!“
Ganz ehrlich, das ist der Grund, warum ich in dieser Zeit kaum noch Zeitung lese oder fernsehe. Ich ertrage es schlichtweg nicht. Über die oft sehr doppelmoralische und bevormundende Rolle der Medien im Zusammenhang mit der Rede über den Tod werden wir wohl an anderer