»Ja, das waren wir«, antwortete die Witwe ohne lange Überlegung.
Bitte erspare mir das gleiche Spiel wie in der Gerichtsmedizin, dachte Hella. Den Gedanken hatte Désirée Jelinski offenbar von ihrem Gesicht abgelesen. Sie schluckte, und ihr Teint verfärbte sich rosa. »Am Anfang hatten wir wunderbare Jahre«, begann sie, und dass sie die Erinnerung nicht kaltließ, bewies das leise Zittern in ihrer Stimme. »Wir lernten uns auf einer Museumstagung kennen und verhielten uns anfangs wie Hund und Katze. Er hatte bei Diskussionen eine arrogante Art an sich, die mich abstieß, andererseits auch wieder anzog. Ein auftrumpfend selbstbewusster, fesselnder Redner, der nicht nur hohles Geschwätz von sich gab, sondern die Tiefe mancher Kunstwerke in Worte fassen konnte wie kein Zweiter …«
»Sie haben ihn bewundert?«
»Ja, das kann man sagen. Wir zogen uns gegenseitig an und wohnten in derselben Stadt …«
»Worauf Sie sich näherkamen und schließlich heirateten und beide Karriere machten?«
»Wie Sie sagen. Bernhard war nicht nur fachlich hervorragend, er war auch ein unvergleichlicher Kommunikator und knüpfte Kontakte in alle Kreise. Das hat ihm schließlich seine erste Assistentenstelle in München beschert, und er schaffte es, sich immer weiter nach vorn zu arbeiten. Dadurch half er auch mir.«
»Und wie stand es um Ihre privaten Pläne, Familie und so weiter?«
»Wir hatten damals kaum Zeit, darüber nachzudenken, denn auch ich machte meinen Doktor und war als Hilfswissenschaftlerin voll eingespannt …«
»Dachten Sie nie an Kinder?« Hier zögerte die Professorin mit ihrer Antwort.
»Doch, doch … aber dann wechselte Bernhard die Stelle und musste sich einarbeiten, und ich kämpfte um meine erste Professur.«
»Blieb neben den ehrgeizigen Plänen überhaupt noch genug Zeit für Ihre Ehe?«
»Ich gebe zu, darüber hätten wir früher nachdenken sollen …« In ihren Gesichtsausdruck mischte sich Bedauern, vielleicht sogar Schuldgefühle.
»Und das hatte Folgen …«
»Wie meinen Sie das?«, schnappte Désirée Jelinski plötzlich. Offenbar hatte es wehgetan. Hella ignorierte die Reaktion und sprach weiter in dem beruhigenden Tonfall: »Wenn man sich selten sieht, kann es zur Entfremdung kommen, das ist nicht ungewöhnlich.« Die Witwe musste selbst abwägen, ob sie mehr Details, vielleicht auch demütigende, preisgab, niemand konnte sie dazu zwingen.
»Sie werden es ohnehin herausfinden«, gab sie schließlich nach. »Ja, er nahm hin und wieder mit, was sich ihm anbot. Die Frauen himmelten ihn an. Er konnte sie sich aussuchen. Beim ersten Mal kam er noch reumütig mit einem Blumenstrauß und schwor mir, dass es ein Ausrutscher gewesen sei …«
»Aber Ihrer Ehe hat das offenbar keinen Abbruch getan. Haben Sie nicht darunter gelitten?«
»Damals schon, aber ich wollte nur ihn, er war mein Mann, meine große Liebe. Irgendwo verstand ich ihn sogar. Wenn man einem Hund immer wieder eine Wurst vor die Schnauze hält, schnappt er früher oder später zu, auch wenn er nicht soll. Außerdem waren wir ein gut eingespieltes Team, und als Museumsdirektor brauchte er mich als Partnerin, die ihre Rolle kannte.«
Irma, die Haushälterin, erschien mit einem Tablett in der Hand und brachte Kaffee und Gebäck, wobei das Geschirr so merkwürdig klapperte, als sie es vor Hella auf den Tisch stellte. Offenbar war Irma nachtragend. Das machte sie in Hellas Augen eher sympathisch. Sie mochte Menschen mit Charakter.
»Doch irgendwann verliert eine solche Ehe ihren Sinn, oder?«, fragte sie, nachdem die Haushälterin sich zurückgezogen hatte.
»Zwischendurch gab es immer wieder schöne Momente. Zugegeben, mit der Zeit wurden sie immer seltener, aber wir hatten viele gemeinsame Interessen und ergänzten uns. Seine Affären dauerten selten länger als ein, zwei Monate. Ich lernte, damit umzugehen.«
Auf einmal klang ihre Stimme kalt, selbstbeherrscht. Anscheinend war sie aus der Erinnerung wieder aufgetaucht. »Es tut mir leid, Frau … Budde, aber ich habe noch einiges zu tun. Wenn Sie für heute keine Fragen mehr haben …«
Hella erhob sich, sie hatte mehr erfahren als erwartet. »Ich danke Ihnen für die Offenheit, aber bitte halten Sie sich weiter zu unserer Verfügung.«
Auf dem Weg in die Altstadt spulte Hella die Befragung in ihrem Kopf noch einmal ab. Désirée Jelinski hatte unter den wechselnden Liebschaften ihres Mannes gelitten, war aber bei ihm geblieben. Angeblich hatte sie gelernt, damit umzugehen, das hieß auch, die Eifersucht zu kontrollieren. Trotzdem fragte sie sich, wie die attraktive Frau es über so viele Jahre ertragen konnte, ständig zurückgesetzt und gedemütigt zu werden von dem Mann, den sie über alles liebte und für den sie immer da war. Ihr Verhalten erklärte sich jedenfalls aus dem, was sie sagte. Désirée Jelinski war gewohnt, dass ihr Mann fremdging, und wollte gar nicht genau wissen, was er mit seiner Freizeit anstellte, um sich selbst nicht mehr als nötig zu verletzen. Selbst dass sie angeblich nichts von der zweiten Identität ihres Mannes als Straßenherz wusste, war nachvollziehbar. Im Nachhinein musste es sie tief getroffen haben zu erfahren, dass sie auch als Vertrauensperson keine Rolle mehr gespielt hatte. Deshalb ihr verstocktes Verhalten in der Gerichtsmedizin.
»Wenn er bei Frauen so viel Erfolg hatte wie in seinem Beruf, dann gab es nicht nur für Désirée Jelinski Gründe zur Eifersucht«, folgerte Kai Fischbach, der wieder an seinem Platz vor dem Bistro am Kohlmarkt saß und den Tauben gelegentlich kleine Stücke seines Thunfisch-Baguettes gönnte.
»Ganz recht, Kai. Was könnte das für uns bedeuten?« Hella schenkte ihm ein aufforderndes Lächeln, während sie überlegte, was sie von der Speisekarte bestellen sollte.
»Und ich dachte, ich könnte heute einmal früher Schluss machen«, erwiderte er, worauf sich Hellas Lächeln augenblicklich in eine strafende Miene verwandelte. »Nur ein Scherz«, beschwichtigte er. »Stehe natürlich uneingeschränkt zur Verfügung, wenn ich von meiner Chefin gebraucht werde.«
»Einen mittleren Salat und ein Mineralwasser medium, bitte«, gab Hella dem Kellner in Auftrag.
»Das muss dir doch nicht gleich den Appetit verschlagen«, erwiderte darauf Kai.
»Wie meinst du das?«
»Ich meine, was ist schon ein Salat? Mittags braucht der Mensch etwas Vernünftiges …«
»Ein Salat ist also unvernünftig?« Sie war gespannt, wie er sich herausreden würde.
»In deinem Fall ja«, überraschte er sie. Der Mann hatte Mut.
»Und welcher Fall ist mein Fall?«
Er schluckte. Jetzt musste er bereits das drohende Damoklesschwert über seinem Haupt spüren. Er zögerte, wollte zurückrudern. »Ich meine … ein mittlerer Salat … Wo doch jeder sieht …«
Jetzt hatte er sich verplappert. »Was sieht jeder?«
Er senkte den Kopf wie vor seinem Scharfrichter – »Dass du Hunger hast …«
Hella sah ihm fest in die Augen. Aber sein schuldbewusster Hundeblick war unwiderstehlich. Sie mussten beide lachen.
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