Bercone hatte als Baseball-Star gut verdient, und das tat er auch bei »Balaban TV«. Er war ein bekanntes und beliebtes Zugpferd des Senders.
Wir suchten ihn im Studio auf. Obwohl seine Tochter erst vor 24 Stunden auf so tragische Weise ums Leben gekommen war, arbeitete er mit Vollgas weiter. Um nicht zu viel an Yvonnes Tod denken zu müssen, wie wir vermuteten. Er betäubte sich gewissermaßen mit Arbeit.
Bercone war groß und schlaksig. Sein schwarzes Haupthaar war stark gelichtet. Die Kopfhaut schimmerte von vom bis hinten durch.
Wir störten ihn bei der Vorbereitung auf ein Interview mit einem Baseball-Coach, das in einer Stunde aufgezeichnet werden sollte.
Bercone legte mit seinem Regisseur die Einspielungen fest, die das Gespräch auflockern sollten. Er hatte ein Klemmbrett in der Hand und machte sich laufend Notizen.
Sobald er mit dem Regisseur fertig war, ging er mit uns in sein Büro, und jetzt sah ich ihm an, dass er litt. Er bot uns Platz an und setzte sich ebenfalls.
An den Wänden hingen Fotos, die ihn mit vielen Sportgrößen zeigten.
Wir sprachen ihm unser Beileid aus. Er nahm es nickend zur Kenntnis. Ein Mann, vom Schicksal grausam geschlagen.
»Wenn Yvonne nicht für Andrew Holden gearbeitet hätte, wären Sie mit Sicherheit nicht hier«, stellte er nüchtern fest.
»Davon können Sie ausgehen«, antwortete Milo.
»Mr. Holden hat sich sowohl als Politiker als auch als Buch-Autor ziemlich unbeliebt gemacht«, sagte ich.
»Und Ihre Tochter hat das Manuskript für ihn geschrieben«, fügte mein Partner hinzu. »Vielleicht findet jemand, dass sie das nicht hätte tun dürfen. Sie hat an der Entstehung eines großen Aufregers mitgearbeitet.«
Blake Bercone schwieg.
»Hat Ihre Tochter während der Entstehungsphase mit Ihnen über den Inhalt des Buches gesprochen?«, fragte ich.
»Nur ganz allgemein«, antwortete Bercone. »Sie hat keine Geheimnisse ausgeplaudert, wenn Sie das meinen.«
»Dann wissen Sie wohl auch nicht, ob alle Passagen veröffentlicht wurden oder ob einiges vor dem Erscheinen einer Selbstzensur des Autors zum Opfer fiel«, sagte Milo.
»Nein, das weiß ich nicht«, bestätigte Bercone.
»War Ihre Tochter krank, Mr. Bercone?«, fragte ich.
Yvonnes Vater sah mich befremdet an. »Sie war kerngesund«, behauptete er.
»Dann ist sie Ihrer Ansicht nach also nicht plötzlich ohnmächtig geworden und vor den Zug gestürzt?«
»Diese Möglichkeit möchte ich mit Sicherheit ausschließen«, erklärte Bercone überzeugt.
»Was glauben Sie, warum Yvonne auf die Gleise gefallen ist?«, fragte mein Partner.
Blake Bercone atmete schwer aus. »Ich wollte, ich wüsste es.« Er sehaute finster auf seine Hände. »Wenn Yvonne doch nur auf mich gehört hätte.«
»Auf Sie gehört?«, fragte Milo aufhorchend.
»Ich wollte nicht, dass sie für Andrew Holden arbeitet.«
»Warum nicht?«
Bercone rümpfte die Nase. »Der Mann war mir von Anfang an unsympathisch. Ich hätte Yvonne jederzeit hier bei ›Balaban TV‹ unterbringen können. Ein kurzes Gespräch mit Simon Balaban - ich stehe sehr gut mit ihm - hätte genügt. Schon hätte sie einen Super-Job gehabt. Aber sie wollte nicht protegiert werden. Und sie wollte nicht da arbeiten, wo ihr Vater arbeitet. Sie wollte auf eigenen Füßen stehen. Das musste ich akzeptieren.«
»Hatte Ihre Tochter Feinde?«, wollte mein Partner wissen.
»Yvonne?«, fragte Bercone zurück. Es hörte sich an wie: »Machen Sie Witze?«
Milo zuckte entschuldigend mit den Achseln. »Eine reine Routinefrage.«
»Yvonne hatte in ihrem ganzen Leben noch nie einen Feind«, stellte Blake Bercone mit erhobener Stimme klar. Es schien ihm sehr wichtig zu sein, dass wir das zur Kenntnis nahmen. »Sie war stets bemüht, mit allen gut auszukommen, und das gelang ihr auch in so gut wie allen Fällen.«
»Und wenn es ihr mal nicht gelang?«, hakte Milo nach.
»Dann ging sie dieser Person einfach aus dem Weg«, sagte Bercone.
Es entstand eine kurze Pause.
Dann bemerkte mein Partner: »Sie haben sich bestimmt schon ungezählte Male gefragt, warum das gestern passiert ist, Mr. Bercone.«
Der Sport-Moderator nickte mit finsterer Miene. »O ja, das habe ich.«
»Und was für eine Antwort haben Sie sich darauf gegeben?«
»Keine Antwort, Agent Tucker«, antwortete Bercone. »Ich kann mir einfach nicht erklären, wieso das meiner Tochter zugestoßen ist.«
4
Tags darauf kam Andrew Holden von seiner Autogramm-Tour zurück. Er war in Begleitung seiner schönen - weil zweimal gelifteten - Frau Laura. Und Blackfeather und Steve Tardelli passten auf die beiden auf.
Sie trafen auf dem La Guardia Airport ein und wurden von einer großen Reporter-Traube empfangen. Blitzlichtgewitter. Fragen prasselten auf den prominenten Neo-Autor nieder. Er beantwortete nur die, die ihm genehm waren. Alle ändern überhörte er geflissentlich.
Holden hatte Ähnlichkeit mit George Clooney, war 52 Jahre alt und ein begehrter Womanizer.
Wir brachten ihn vor den Reportern in »Sicherheit«. Dem publicitysüchtigen Ex-Politiker war das gar nicht recht, denn je größer das Medien-Interesse, desto besser verkaufte sich sein Buch. Das war eine unbezahlbare Gratis-Werbung, auf die er nicht verzichten wollte.
In einem der VIP-Räume informierten wir ihn sodann über den Tod seiner Sekretärin. Er wusste bereits davon. Ich suchte vergeblich in seinem Gesicht nach einem Ausdruck von Trauer.
Seine Härte gefiel mir nicht. Dieser Mann hatte ein kaltes Herz. In seinen Augen war wohl jeder Mensch austauschbar. Yvonne ist tot? Dann muss eben eine andere Sekretärin her. Das war wohl das Einzige, was ihm im Moment durch den Kopf ging.
Jetzt kann ich noch besser verstehen, wieso ihn so wenige Menschen mögen, dachte ich. Er hat ja selbst in der eigenen Partei keine Freunde.
Dass Yvonne Bercone einem Mordanschlag zum Opfer gefallen war, hielt er für ausgeschlossen. »Aus welchem Grund hätte man sie umbringen sollen?«, fragte er. »Sie war völlig unbedeutend!«, schwang still in seinen Worten mit.
»Vielleicht wollte jemand Sie damit treffen«, bemerkte Milo.
Blackfeather, Steve Tardelli und Mrs. Holden waren zwar anwesend, beteiligten sich aber