Hohlwangige, bleiche Gestalten blickten uns ungläubig und voller Angst an. Einige lagen zusammengekauert auf dem Boden.
Sie wirkten apathisch.
Es waren zweifellos Mole People.
"Wir tun Ihnen nichts", versuchte ich sie zu beruhigen.
Sie wichen scheu zurück.
"Sieht nach einer Art Gefängnis aus", stellte Milo düster fest.
"Hier wären wir auch beinahe gelandet", erinnerte ich ihn.
Das war es, was Dr. Jameson als Depot bezeichnet hatte.
Ein lebendiges Organ-Depot.
Man hielt die Opfer so lange gefangen, bis die Operation tatsächlich durchgeführt wurde. Zumindest, sofern das betreffende Organ schon nach kurzer Zeit nachdem der Tod eingetreten war, nicht mehr verwendungsfähig sein würde.
Orry griff zum Funkgerät.
"Wir brauchen hier ein paar Ärzte", murmelte er.
"Dringend..."
32
In unserem Job wird man leider des öfteren Zeuge der menschlichen Grausamkeit.
Aber das, was in diesem Fall an Menschenverachtung und Zynismus zu Tage trat, war selbst für hartgesottene G-men schwer zu verdauen.
Insgesamt 16 Personen retteten wir aus dem Gefängnis der Organjäger, das diese zynischerweise als ihr Depot bezeichneten.
Die Geretteten standen allesamt unter Schock.
Psychologen und Streetworker würden sich um sie kümmern müssen.
Im Laufe des folgenden Tages ergab sich aus den Aussagen der Festgenommenen ein Bild der Organisation, die hinter der Mordserie unter den Tunnelmenschen stand. In Dr. Jamesons Praxis waren die Organe entnommen worden. In diesem Zusammenhang fahndeten wir inzwischen nach einem Narkosearzt und einem weiteren Chirurgen, die angeblich bei den Operationen assistiert hatten.
Lopez und seine Leute waren für die Beschaffung der Opfer zuständig gewesen. Inzwischen waren sie alle verhaftet worden und vermutlich würde die Arbeit der Spurensicherung, der Labors und unserer Verhörspezialisten dafür sorgen, dass man den meisten von ihnen eine Tatbeteiligung auch nachweisen konnte.
Kenneth Ross' Zugriff auf die FBI-Computer hatte dafür gesorgt, dass die Killer bis ins letzte Detail über unsere Operationen informiert gewesen waren.
Daher hatten sie auch von unserer Untergrund-Mission gewusst.
Vermutlich hatte Kenneth Ross sich sogar Bilder von mir und Milo downloaden lassen.
Ob der Computer-Freak das alles nur getan hatte, um seinem Bruder einen Gefallen zu tun, würde sich im Laufe des Gerichtsverfahrens wohl herausstellen.
Bei der Durchsuchung seiner Wohnung - vor allem seines Hausmülls - stellte sich heraus, dass Kenneth Ross sehr wahrscheinlich der Urheber jener Drohbriefe war, die Mister McKee in letzter Zeit erhalten hatte.
Unter anderem war ein angefangener Brief sichergestellt worden. Die Buchstaben stammten aus dem New Yorker, Papier und Klebstoff waren mit dem identisch, was bei den bisherigen Briefen verwendet worden war.
Es gab nur einen Haken.
Das fehlende Motiv.
Das Motiv für den Anschlag auf das Hauptquartier des Tunnel King hingegen lag auf der Hand.
Lopez' maskierte Killer hatten damit verhindern wollen, dass wir uns mit dem Tunnel King trafen, der die grausame Jagd in den Tunneln gedeckt hatte.
In dem Moment, als Lopez und seinen Leuten durch Ross' Computerangriff klarwurde, dass uns der Tunnel King in die Hände fallen würde, musste dieser ausgeschaltet werden.
In Dr. Jamesons Praxis wurden die Operationen durchgeführt und die Organe entnommen, die dann an Interessenten in ganz Amerika gingen.
Das zu organisieren war die Aufgabe eines gewissen Sanders, der ein Unternehmen zum Versand medizinischer Präparate betrieb. Sanders' Name tauchte immer wieder in den Befragungen auf. Außerdem besaß Lopez ein Schließfach, dessen Inhalt inzwischen aufgewertet worden war. Der Inhalt bestand aus Tonbändern, auf denen Dutzende von Telefongesprächen aufgezeichnet waren. Anrufe von Sanders, in denen zum Teil genaue Angaben über die jeweiligen 'Kundenwünsche' gemacht wurden.
Offenbar hatte Lopez gedacht, sich auf diese Weise absichern zu können.
Und das nicht nur gegenüber Sanders, sondern auch, was andere Gesprächsteilnehmer betraf.
Bei den Kassetten befanden sich genaue Aufzeichnungen darüber, welcher Anruf von wem stammte.
Es gab zwar Dutzende von Menschen mit dem Namen Sanders in New York, aber nur einen, zu dem eine der Telefonnummern aus Lopez' Register passte. Der Name war dort nur mit S. abgekürzt worden.
Er schien die treibende Kraft im Hintergrund zu sein.
Ein Organ-Dealer im großen Stil.
Wir ließen ihn durch eine Computerabfrage überprüfen.
Er war vor zehn Jahren Rausschmeißer in der Discothek eines Unterwelt-Paten gewesen. Im Zusammenhang mit einigen Schießereien war er als Zeuge vernommen worden. Eine eigene Tatbeteiligung hatte ihm nie nachgewiesen werden können.
Wir riefen Sanders in seinem Büro an, dass er in der 67. Straße betrieb. Die Beweise, die wir gegen ihn hatten, waren in unseren Augen zwar stichhaltig. Schließlich hatten wir Lopez' Aufzeichnungen und die Aussagen mehrerer Verhafteter, dass es sich bei der Stimme auf den Bändern tatsächlich um Sanders' Stimme handelte. Letzteres konnte man mit einer Stimmanalyse hieb- und stichfest machen. Daher nahmen wir das Gespräch mit ihm auf. Schließlich brauchten wir für die Analyse eine Vergleichsprobe.
"Mister Sanders?", fragte ich.
"Am Apparat."
"Ich möchte mich mit Ihnen treffen."
"Wer sind Sie?"
"Das tut nichts zur Sache. Nur so viel: Lopez ist tot. Und ich möchte gerne in seine Geschäfte einsteigen."
Auf der anderen Seite der Leitung herrschte Schweigen.
Von Lopez Tod konnte er kaum etwas wissen - und auch von den Verhaftungen nicht. Denn inzwischen gab es eine totale Nachrichtensperre in dem Fall. Außerdem war der Kontakt zu Sanders anscheinend ausschließlich über Lopez gelaufen. Zwar waren immer wieder einige seiner Leute bei verschiedenen Treffen dabei gewesen, aber niemand sonst hatte gewusst, wie man mit ihm in Kontakt treten konnte.
Auf der anderen Seite der Leitung hörte ich nur noch ein Atmen.
Sanders schien nachzudenken.
"Kommen Sie heute gegen 18.00 in die Lockwood-Bar, 23. Straße", schlug ich vor und legte auf.
"Glaubst du, er wird kommen?" fragte Milo.
"Ich hoffe es", erwiderte ich.
"Jedenfalls kann er uns in keinem Fall durch die Lappen gehen. Die Beschattung hat bereits begonnen..."
"Gut."
Um