28
Roy Anselmo nahm das Handy ans Ohr. „Mister Norinsky? Hier spricht Anselmo.“
„Woher haben Sie diese Nummer?“
„Ein gemeinsamer Bekannter hat sie mir gegeben und sie sollten ihm deswegen nicht böse sein. Er hatte gute Gründe dafür. Er heißt Gregory Sumner und ich nehme an, dass er meine Kontaktaufnahme bereits angekündigt hat.“
Anselmo stand von seinem Bett auf. Er ging ans Fenster. Es hatte zu nieseln begonnen. Neben einer Straßenlaterne sah Anselmo eine junge Frau. Zuerst nur den Körper von den Zehen bis zu den Schultern. Der Rest wurde durch einen Regenschirm verdeckt. Dann drehte sie sich zur Seite. Es war die Rothaarige. Sie rauchte. Sieh an, dachte Anselmo. Du hättest dir eben kein Nichtraucherhotel suchen sollen, um deinem Job nachzugehen... Aber vielleicht konntest du es dir ja auch nicht aussuchen. Wer kann das schon...
„Sind Sie noch dran, Mister Norinsky?“, fragte Anselmo.
„Was wollen Sie?“
„Da wissen Sie doch. Sumner wird es Ihnen gesagt haben.“
Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen auf der anderen Seite der Leitung. Anselmo hörte nur das Atmen seines Gegenübers.
„Wenn Sie glauben, dass Sie Forderungen stellen können...“
„Ich weiß alles über Sie, Mister Norinsky. Über die Fässer mit Säure, von denen man ein paar auf der JAMAICA BAY in New York gefunden hat und von denen noch so viele an mehreren Stellen in Buffalo und Umgebung deponiert sind. Ich gebe zu, dass ich diese Fässer für einen Zweck benutzt habe, der vielleicht nicht ganz gesetzeskonform ist. Seit sieben Jahren sammle ich Informationen über sie und den Müll, den Sie möglichst preiswert loszuwerden versuchen. Es hat sich einfach so ergeben und ich denke, wir haben beide dasselbe Interesse.“
„So?“
„Dass vom Inhalt dieser Fässer nie wieder etwas auftaucht. Mögen sie in der Versenkung verschwinden.“
„Sie haben eine seltsame Art, sich auszudrücken.“
„Es wird Sie freuen, dass ich dasselbe will – in der Versenkung verschwinden. Ich weiß, dass Sie die Möglichkeit haben, mir eine neue, perfekte Identität zu verschaffen. Strengen Sie sich an. Sie haben gar keine andere Wahl, als mir zu helfen.“
Eine quälend lange Pause folgte.
„Wir werden uns treffen müssen“, sagte Norinsky.
Ein mattes, kaltes Lächeln spielte um Anselmos Lippen. „Nichts dagegen, Mister Norinsky!“
29
Wir verließen MacConroy. Josephson war ziemlich schweigsam. Aber er war nicht der Einzige, der mit dieser Wendung ebenfalls nicht gerechnet hatte.
„Unser Mann ist gebürtiger Kanadier“, stellte ich fest. „Und da er sich scheinbar nicht traut, über die Grenze zu gehen, müsste man ihn in den dort geführten Dateien über Kriminelle finden.“
„Ich werde mal gleich mit Mr McKee deswegen telefonieren“, sagte Milo. „Das wird wohl auf höherer Ebene geklärt werden müssen.“
Milo hatte sein Handy noch nicht am Ohr, das klingelte der Apparat von Josephson. Der Captain der Homicide Squad sagte zweimal kurz hintereinander „Ja!“ und einmal „In Ordnung.“ Nachdem er dann noch einmal „Ist das sicher?“ gefragt hatte, beendete er die Verbindung.
„Das waren die Kollegen vom Erkennungsdienst, die gerade Anselmos Apartment untersuchen.“
„Wir sollten uns an diesen Namen nicht allzu sehr gewöhnen“, sagte ich. „Er ist mit Sicherheit falsch.“
„Die Kollegen haben Reste von Blut gefunden. Da muss etwas bis zur Decke gespritzt sein. Und selbst dort, wo Anselmo sorgfältig sauber gemacht hat, lassen sich noch mit Luminol Reste nachweisen.“
„Ich denke, das reicht für einen Haftbefehl, oder?“, fragte ich.
Josephson nickte. „Ganz sicher!“
Wir kehrten zum Headquarter des Police Department zurück.
Mit Hilfe der Handynummer, die uns MacConroy gegeben hatte, versuchten die dortigen Innendienst-Kollegen, den Aufenthaltsort zu bestimmen. Aber das Gerät war offensichtlich nicht eingeschaltet. Und so lange das nicht der Fall war, liefen unsere diesbezüglichen Bemühungen zwangsläufig ins Leere.
Ein Anruf des Field Office New York erreichte mich. Eigentlich hatte ich gehofft, dass es bereits grünes Licht für den Datenaustausch mit den kanadischen Behörden gab, aber unser Kollege Max Carter rief wegen einer anderen Sache an.
Offenbar hatten die Ermittlungen unserer Spezialisten für Betriebswirtschaft Erfolg gehabt. Nat Norton war es gelungen, die Geldströme zumindest ein Stückweit zurückzuverfolgen, die von Brian Mondales Konten ausgingen, über verschlungene Pfade nach Liechtenstein via Cayman Islands führten, um schließlich irgendwann ihr Ziel in Nordamerika oder auf einem Schweizer Nummernkonto zu finden.
Ein Name tauchte dabei immer wieder auf. So oft, dass es kein Zufall sein konnte.
„Brad Norinsky“, sagte Max Carter. „Über ein paar Umwege ist er genau an denselben Briefkastenfirmen beteiligt wie Mondale und dieser Gregory Sumner – auch wenn da immer irgendeine windige Limited nach britischem Recht dazwischen geschaltet ist, um die Wirtschaftskonzerne zu verschleiern.“
„Was wissen wir über diesen Norinsky?“, fragte ich.
„Jemand, den wir schon seit langem mit Geldwäschegeschäfte in Verbindung bringen, ohne es ihm beweisen zu können. Außerdem soll er die Prostitution im südlichen Ontario unter Kontrolle haben. Der Mann nimmt die nordamerikanische Freihandelszone NAFTA wirklich ernst! Dass er allerdings auch im Müll-Geschäft dick drinsteckt, ist uns neu.“
„Das ist also der Mann hinter Sumner!“, murmelte ich.
„Allerdings wird es schwierig, ihm etwas zu beweisen. Leute, die in der Vergangenheit gegen ihn aussagen wollten, sind kurzerhand umgebracht worden.“
„Was ist mit Kanada?“
„Ein bisschen Geduld noch, Jesse. Mr McKee telefoniert schon seit einer halben Stunde mit Toronto.“