Inhalt
Teil 1 Entstehung und Entwicklung
Herauswachsen aus mittelalterlichen Strukturen
Souveränität, Mächtegleichgewicht, Kolonisierung
Seitenblick: Alte Eidgenossenschaft
19. Jahrhundert und Erster Weltkrieg
Stabilisierung durch Völkerrecht
Wachstum und internationale Organisationen
Seitenblick: Schweiz im 19. Jahrhundert
Völkerbundära und Zweiter Weltkrieg
Kollektivierung der Friedensfrage
Konfliktvermeidung und Kriegsächtung
Seitenblick: Schweiz in der Völkerbundära
Kalter Krieg und Entkolonisierung
Globalisierung und neue Gewaltformen
Seitenblick: Schweiz in der UNO-Ära
Teil 2 Völkerrecht als Rechtsordnung
Unschärfen und Völkerrechtsquellen
Völkerrechtstheorie: Suche nach Halt
Subjektivität einzelner internationaler Akteure
Schweiz als Heimat von Völkerrechtsteilnehmern
Zentralisierung und Selbsthilfe
Gegenmassnahmen und Repressalienverbote
Völkerrecht und innerstaatliches Recht
Anspruchsvolle «Verzahnungsfrage»
Unbehagen
Was bedeutet es für das Völkerrecht, dass Russland im März 2014 die Krim annektiert hat? Wie ist es mit unseren Vorstellungen einer Rechtsordnung zu vereinbaren, dass die USA nach der Bombardierung Belgrads im Kosovokrieg 1999 zwar an China Schadenersatz für die Beschädigung seiner Botschaft zahlten, nicht aber an andere Länder? Was sagt ein solcher Sachverhalt darüber aus, wie das Völkerrecht «funktioniert»? Was bedeutet es für dieses weiter, dass in Syrien seit 2011 ein Bürgerkrieg in Gang ist, dessen Opferzahl die halbe Million erreicht hat? Wie ist damit zu vereinbaren, dass die UNO sich am Weltgipfel der Staats- und Regierungschefs 2005 zu einem Konzept bekannt hat, das sich «Responsibility to Protect» nennt und den besseren Schutz des Einzelnen zum Zweck hat?
Wenn Völkerrechtlerinnen und Völkerrechtlern solche Fragen gestellt werden, gehen sie selten darauf ein. Manchmal wird auf den Ausnahmecharakter der Situation verwiesen und immer wieder pauschal auf den besonderen Charakter des Völkerrechts. Sehr oft werden im Gegenzug dessen Leistungen aufgezählt: die Fortschritte im Bereich Menschenrechte seit dem Zweiten Weltkrieg auf völkerrechtlicher Ebene; die Mechanismen der Konfliktentschärfung und -prävention, die auf globaler und regionaler Ebene entwickelt wurden, etwa im Rahmen des UNO-Peacekeeping; die Schaffung weltweiter und regionaler Regelwerke der Handelsderegulierung, insbesondere die WTO und die EU, die Freihandel ermöglichen und durch ökonomische Verflechtung indirekt ebenfalls zum Frieden beitragen. All dies ist richtig. Trotzdem befriedigen solche Antworten nicht. Ein Unbehagen bleibt.
Das Prekäre des Völkerrechts wird zwar nicht geleugnet, doch es berührt das Selbstverständnis der Disziplin kaum mehr. Dass Laien manchmal den Eindruck gewinnen, das Völkerrecht sei eine Farce, etwa wenn Russland die Annexion der Krim mit dem Argument der Selbstverteidigung rechtfertigt, ficht die Disziplin nicht an. Lieber spricht man über die Erfolge und das, was einigermassen funktioniert. Dabei ist gerade der Blick von aussen besonders sensibel für das Prekäre. Wir wissen das aus unserem persönlichen Leben: Wer kennt sie etwa nicht, die Paare, die ihre Zweisamkeit zelebrieren, während der Dazugekommene sofort merkt, dass hier etwas brüchig ist?
Dieses Buch will das Unbehagen ernst nehmen. Es will dabei helfen, das Völkerrecht in seinen Besonderheiten besser zu verstehen, und