Horst Riemenschneider
Verdorbene Jugend
Februar 1940 bis November 1949
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Herausgeber: Edeltraud Radochla, geb. Riemenschneider
radochla verlag ruben 2016
Alle Rechte vorbehalten
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017
ISBN 978-3-938555-44-6
Noch eine Geschichte, Vati
So begannen die Sonntagmorgen, als wir noch in Ronneburg wohnten, Mutti bereits aufgestanden war, um das Frühstück zu bereiten, das Feuer in der Stube und in der Küche anzuheizen, den Tisch zu decken und dann zu rufen: Aufstehen, es wird Zeit!
An eine Kindheit mit so vielen Geschichten erinnere ich mich, so vielen Sonntagmorgengeschichten. Es war der Tag, an dem Vati ausschlafen konnte, und es war der Tag der Geschichten für mich. Es muss um 1958/1959 gewesen sein. Für mich mit meinen sechs oder sieben Jahren waren das Abenteuer aus einer fernen Zeit, die Geschichten von den langen Bahnfahrten und dem vielen Kohldampf, von der Arbeit im Schacht und vom Mausen. Doch was anderes sollte der Vater der Tochter aus seiner Jugend erzählen, die der Krieg verdorben hatte? Erst im Laufe der Jahre konnte ich manches richtig verstehen. Dann gab es anderes zu tun.
Später, viel später besann sich Vati darauf, seine Geschichte aufzuschreiben. In den 1990er Jahren, schon von einem Schlaganfall und von Krankheit gezeichnet, nahm er diese große Bürde auf sich. Eine elektronische Schreibmaschine hat er sich angeschafft, von der wir dann per Diskette die Texte übernehmen und bearbeiten konnten. Seine letzte Überarbeitung erfolgte 2001, ein Jahr später erlag er seinem Leiden.
Seit 2002 liegen die Manuskripte nun als Nachlass bei mir. Zeit, um Abstand zu gewinnen und Nachsicht, Verständnis, Begreifen für die eine oder andere Sichtweise. Es bleiben Fragen: Hat diese verdorbene Jugend nachgewirkt? Haben sich Wertungen und Lebenseinstellungen aus dieser Zeit verfestigt? Sind Alternativen vielleicht ebenso extrem gesucht worden? Was macht das aus einem Menschen, wenn er in seiner Erinnerung an die Jugend beständig schreibt: „Wir mussten … “? Auch die Frage, ob ich den Text veröffentlichen soll, musste ich mir beantworten. Doch ich denke, dass angesichts zunehmender Interpretation von Geschichte das Wort von Zeitzeugen immer wichtiger wird.
Ich habe versucht, vorsichtig stilistische Straffungen vorzunehmen, ohne in die Intensionen des Autors einzugreifen. Namen und Orte erscheinen so, wie in der Erinnerung des Autors.
Edeltraud Radochla
Inhalt
Teil 1 Lehrjahre
Die Appelle und die Arbeitszeit