Impressum
© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-450-0
Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]
Inhalt
1.
Captain Stan Ellen und der Young-Bootsmann Blake starrten mit trüben Augen über das Wasser, das sich endlos vor der Insel dehnte, am Horizont flimmerte und übergangslos mit dem Himmel verschmolz.
Es war wieder einmal ein besonders heißer Tag, ein Tag voller Hoffnungslosigkeit, Hunger und Durst.
Vor ein paar Tagen waren sie hier gestrandet, Verdammte der Meere, und von da an war es immer schlimmer geworden.
Die Mannschaft war gestorben, krepiert an Skorbut, verreckt an verseuchtem Bilgewasser, elend eingegangen an Krankheiten, die sie nicht zu bekämpfen vermochten.
Der vorletzte, der starb, war der Erste Offizier Wintham gewesen, der letzte der Rudergänger Hentrop.
Mit letzten Kräften hatten sie eine Grube auf der Insel ausgehoben und den Mann, der an einem Rattenbiß gestorben war, in dem Sand beerdigt.
Ellen und Blake waren allein, irgendwo im Indischen Ozean, irgendwo auf einer winzigen Insel, auf der es kein Wasser gab. Nur ein paar Früchte hatten sie gefunden, und die zehrten sich jetzt auch langsam auf.
Vor ihnen lag das Schiff, die „Black Pearl“, das Totenschiff, wie sie es nannten, denn es hatte ihnen nur Unglück gebracht.
Der Captain ließ sich neben Hentrops Grab schwer in den Sand fallen. Er dachte an Selbstmord, an ein schnelles Ende. Er wollte nicht den höllischen Tod der anderen sterben, das war viel zu schmerzhaft und dauerte zu lange.
Eine Kugel durch den Kopf schießen, dachte er, dann war es gleich vorbei, dann hatte er Ruhe.
Aber er fand den Mut nicht dazu, denn irgendwo in seinem Innern war da eine Stimme, die ihn bewog, weiter auszuharren. Vielleicht kreuzte doch noch ein Schiff diese Route am Ende der Welt, vielleicht regnete es einmal kräftig, und dann hätte er sein Leben vorzeitig weggeworfen.
Sein Gesicht glich einer Totenmaske. Unter dem verfilzten Bart schimmerte die Haut gelblich und ledern. Seine Augen lagen tief in den Höhlen. Stan Ellen war abgemagert bis auf die Knochen, und wenn er hustete, spuckte er Blut.
Young-Blake, der Bootsmann, sah auch nicht besser aus. Aber er verfügte über eine unwahrscheinlich harte Kondition. Den Jungen bringt so schnell nichts um, dachte Ellen.
Mitunter hockten sie stundenlang schweigend am Strand und blickten auf das ruhige Wasser.
Nur selten mal stand einer von ihnen auf, holte sich eine Nuß, zerschlug sie, trank die Milch und aß das Fleisch.
Dann kehrte er wieder zu derselben Stelle zurück, legte sich in den Sand und döste vor sich hin.
So geht es nicht weiter, dachte auch Blake, so auf keinen Fall. Immer nur dösen, immer auf etwas warten. Verdammt, sie waren zwei Kerle, und sie lebten noch. Sollten sie vielleicht deshalb resignieren und sich selbst aufgeben?
Sie konnten angeln, Fische braten, die Insel noch genauer nach Früchten absuchen und sich beschäftigen. Sie durften nicht einfach untätig herumhokken und den Tod erwarten.
Ihre Stimmungen und Launen wechselten jäh. Einmal war Stan Ellen wieder der Größte, dann wieder schlaffte er ab, und wenn Blake über sich selbst hinauswuchs, resignierte der andere. Ein Zustand zum Kotzen, fanden sie.
Diesmal war Ellens Stimmung auf dem Nullpunkt. Er glich einem lebenden Toten, der im Sand hockte, und der nur deshalb noch nicht umgefallen war, weil kein Windhauch wehte, der ihn umwarf.
„So geht das nicht weiter, Cap“, sagte Blake leise. „Auf was warten wir denn? Auf das große Glück oder darauf, daß hier aus dem Boden eine Quelle sprudelt? Wir sollten etwas unternehmen, fischen, jagen, oder, zum Teufel, das lausige Segel setzen und nach einer anderen Insel Umschau halten.“
Ellen lachte hohl.
„Sieh mal an“, sagte er, „auf einmal will der Bootsmann weitersegeln. Vorher hast du genau das Gegenteil behauptet. Du änderst deine Meinung ziemlich rasch.“
„Vorher war auch alles anders, Cap.“
Er sprang auf und sah Ellen finster an.
„Ich will nicht verrecken, Sir, hörst du! Ich glaube, du hast dich bloß mit den Roteiros geirrt, es gibt einen Kurs, der zum Land führt.“
„Ich glaube“, erwiderte Ellen müde, „die Spanier haben diese Karten absichtlich verfälscht, ich komme mit den Dingern nicht so richtig zurecht. Außerdem müßte dir dein Verstand sagen, daß zwei abgezehrte Kerle wie wir das Schiff nicht mehr segeln können. Soll etwa einer am Ruder stehen und der andere die Segel trimmen?“
„Wir haben nur noch ein Segel, da gibt es nicht viel zu trimmen, und das Ruder können wir festlaschen.“
Ellen winkte matt mit der Hand ab und verzog das Gesicht.
„Wir verrecken draußen auf See“, prophezeite er. „Hier können wir wenigstens noch Gras fressen, aber draußen gibt es nichts mehr, gar nichts.“
Blake bewegte sich mit müden Schritten auf und ab. Immer wieder sah er in den Himmel oder blickte zum Horizont, ob da nicht mal eine Wolke auftauchte, die Regen versprach.
Es gab keine Wolken, nur der Sonnenglast lag flirrend über dem Wasser. Das einzige Geräusch verursachten die kleinen Wellen, die flüsternd an den Strand liefen, noch einmal murmelten und sich dann zurückzogen.
Bis zum Mittag taten sie nichts anderes als im Schatten zu hocken, zu dösen und zu warten. Und dabei beneideten sie ihre Kameraden, die neben ihnen ruhten — für immer, die es nicht mehr interessierte, ob man die Insel verließ oder nicht.
Am Nachmittag fing Blake einen handtellergroßen Fisch, den er mit einer winzigen Garnele geködert hatte.
„Die beißen hier unheimlich schnell, wenn man die kleinen Krebse an den Haken hängt, Cap. Los, wir angeln zu zweit.“
Es dauerte eine Weile, bis er Ellen überredet hatte. Das Angeln war schon einmal erfolglos verlaufen, aber da hatten sie es auch mit Rattenfleisch versucht, an das die Fische nicht herangingen.
Jetzt wateten sie ein Stück ins flache Wasser hinaus, tasteten den Grund ab und fanden Garnelen, die meisten halb so groß wie ein kleiner Finger.
Ellen wurde zusehens munterer, und nach einer Weile war er mit Feuereifer dabei.
Dann verfielen sie auf die Idee, Muscheln zu suchen. Wenn man sie roh aß, stillten sie vorübergehend den Durst, und bevor sie