Impressum
© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-677-1
Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]
Inhalt
1.
Man schrieb den Monat Juli im Jahre des Herrn 1592. Über England hatte sich seit Wochen der Sommer ausgebreitet.
Das erste Grau des beginnenden Tages tauchte langsam hinter dem Horizont auf und warf trübe Schatten über den Hafen von Plymouth.
Das Wasser schwappte in fast gleichbleibendem Rhythmus gegen die Kaimauern und bewegte die Karacken, Karavellen und zahlreichen Zweimaster, die im Hafen lagen, wie dunkle Ungeheuer hin und her.
Alles deutete auf den Beginn eines ganz gewöhnlichen Tages hin.
Doch für die zehn Männer, die erst spät in der Nacht aus der „Bloody Mary“, der Kneipe des dicken Nathaniel Plymson, an Bord ihrer namenlosen Karavelle zurückgekehrt waren, sollte dieser neue Tag – außer einigen erfreulichen Ereignissen – eine ganze Menge Ärger bringen.
Und dieser Ärger begann schon jetzt, im ersten zarten Morgengrauen.
Stenmark, der blonde Schwede, der seine Wache noch nicht ganz hinter sich gebracht hatte, purrte die übrigen sieben Seewölfe sowie Jack Finnegan und Paddy Rogers, die sich ihnen angeschlossen hatten, aus den Kojen. Seine Laune war nicht die beste, denn er hatte sich einen Großteil seiner Wache erfolglos damit abgemüht, das Wasser zu lenzen, das sich trotz der Reparaturmaßnahmen Ferris Tuckers immer wieder in das Schiff drückte. Die Musketenschüsse, die das französische Piratengesindel während der Überfahrt von Brest nach Plymouth bei der Ile D’Quessant auf sie abgefeuert hatte, waren die Ursache. Sie hatten große Löcher in den morschen Rumpf der kleinen Karavelle gefetzt, mit der man die Seewölfe in einen Hinterhalt locken wollte. Doch die Arwenacks hatten es mit Ach und Weh geschafft, die Heimat zu erreichen.
„Raus aus den Kojen!“ rief Stenmark. „Sonst sinkt uns der Mistkahn unter dem Achtersteven weg.“
„Was, wie?“ brummte Edwin Carberry, der bullige Mann mit dem Narbengesicht und dem gewaltigen Rammkinn. „Wer, zum Teufel, singt hier?“ Schlaftrunken fuhr er hoch.
„Niemand singt hier, Mister Carberry“, berichtigte ihn Stenmark, „es sei denn, du hörst als Spätfolge deines frommen Pilgerausfluges in die ‚Bloody Mary‘ die Englein singen. Ich jedenfalls habe vom Sinken gesprochen – nicht vom Singen.“
Nun war auch Edwin Carberry, der Profos der ehemaligen „Isabella VIII.“ plötzlich hellwach.
„Das sagt das Rübenschwein erst jetzt!“ grollte er. „Wenn man nicht selber auf sich aufpaßt, wacht man glatt eines schönen Morgen auf und stellt fest, daß man mausetot ist – jämmerlich ersoffen im Hafenwasser von Plymouth.“
Trotz der gefährlichen Situation konnte sich Stenmark ein Grinsen nicht verkneifen.
„Damit würdest du den dicken Plymson zum glücklichsten Menschen von England machen“, sagte er. „Das Perückengespenst würde bestimmt einige Runden von seinem Selbstgebrannten spendieren.“
Augenblicke später waren auch die übrigen Männer auf den Beinen, die sich unter der Führung Ferris Tuckers auf der französischen Handelsgaleone „Mercure“ von Damiette bis Brest und von da aus mit der Piratenkaravelle bis an die Küste Cornwalls durchgeschlagen hatten. Außer Stenmark, Edwin Carberry, Ferris Tucker, Jack Finnegan und Paddy Rogers gehörten noch Jeff Bowie, Blacky, Luke Morgan, Bill und der Kutscher dazu.
Auch Sir John, der karmesinrote Aracanga- Papagei, war wohlbehalten mit den Seewölfen in Plymouth eingetroffen, nachdem er an Bord der „Mercure“ das sadistische „Zielschießen“ des spanischen Galeerenkapitäns Juan de Faleiro überstanden hatte. Offenbar fühlte sich der bunte Vogel durch die plötzlichen Aktivitäten der Mannschaft in seiner Nachtruhe gestört. Er flatterte laut schimpfend auf das offene Schott hinüber und trippelte dort aufgeregt hin und her.
Der Kahn suppte immer stärker, das Wasser stieg unaufhaltsam.
„Ach du heiliger Patrick!“ entfuhr es dem rothaarigen Ferris Tucker, während er sich die Bescherung ansah. „Mit Lenzen ist da nichts mehr auszurichten, zumal es sowieso keine Pumpe an Bord gibt. Und an Pützen fehlt es auch.“
„Verdammt blamabel ist das!“ fluchte Ed Carberry. „Da segeln wir dem Teufel beide Ohren weg und reiten die heimtückischsten Stürme ab – und dann säuft uns in der trauten Heimat diese Nußschale unter dem Hintern weg. Mein Busenfreund Plymson wird sich den dicken Bauch halten vor Lachen.“
„Zum Teufel mit dem fetten Plymson!“ mischte sich nun Luke Morgan ein. Die Messernarbe über seiner Stirn begann sich zu röten. „Können wir den Kahn nicht mit Tauen befestigen?“
Ferris Tucker wiegte nachdenklich den Kopf hin und her.
„Wir können unser Glück versuchen, aber viel mehr als ein Glücksspiel ist das nicht.“
Die Crew ging augenblicklich an die Arbeit. Aber auch dieser Rettungsversuch erwies sich als vergebliche Liebesmühe. Es war schon zuviel Wasser eingedrungen, und die Karavelle wies bereits einen beängstigenden Tiefgang auf – besonders an der Backbordseite, die nicht durch die Taue festgehalten wurde. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis das ungeheure Gewicht des Wassers die Taue zerfetzen, oder aber die Poller aus dem Holz reißen würde.
„Wir gehen auf Tiefe“, stellte Ferris Tucker fest, „da ist nichts mehr dran zu ändern. Los, holt rasch die notwendigsten Habseligkeiten und einige Waffen, und dann nichts wie runter von diesem morschen Eimer!“
Die Männer kamen seiner Aufforderung eilig nach. Sie schafften es gerade noch rechtzeitig, festen Boden unter die Füße zu kriegen, als sich das Schmatzen und Gurgeln des Wassers verstärkte. Dann plötzlich knirschten einige Planken, und die ehemalige Piratenkaravelle tauchte mit dem Vorschiff ins Hafenwasser. Das Heck reckte sie einen Moment in die Höhe und erinnerte damit an das Hinterteil einer tauchenden Ente. Ein häßliches Glucksen und Rauschen folgte, dann soff das Schiff vor den Augen der Seewölfe ab.
Sir John, der sich den nicht gerade vornehmen Wortschatz Edwin Carberrys angeeignet hatte, landete laut fluchend auf der Schulter seines Herrn und Meisters.
„Backbrassen!“ krächzte er. „Hafenratten! Nachttopfsegler!“ Und der Profos nickte zustimmend zu jedem weiteren Schimpfwort, das Sir John vom Stapel ließ, denn der Papagei nahm ihm gewissermaßen die Worte aus dem Mund.
So standen nun die Arwenacks am Kai und blickten grimmig auf die Masten, die hoch aus dem Wasser ragten und wie drohend erhobene Zeigefinger auf den heller werdenden