Widerstreit. Helmut Ortner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Helmut Ortner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Религия: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783939816812
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       Helmut Ortner

      WIDERSTREIT

       Über Macht, Wahn und Widerstand

       Politische Essays

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      1. Auflage 2021

      Copyright © Nomen Verlag, Frankfurt am Main 2021

      Alle Rechte vorbehalten

       www.nomen-verlag.de

      Umschlaggestaltung: Stefanie Kuttig, München

      Satz + Layout: BlazekGrafik, Frankfurt am Main

      ISBN 978-3-939816-80-5

      eISBN 978-3-939816-81-2

       »Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen«

       Hannah Arendt

      INHALT

       Gegen Demokratie-Verachtung

       WUT UND WAHN

       Verquerte Wutbürger, besorgte Demokraten

       Lufthoheit über Deutschlands Stammtischen

       Lob des Zorns

       VOLK UND WIDERSTAND

       Keine Stunde Null

       Auschwitz in Detmold

       Schuld, Schutt und Scham

       »Widerstandskämpfer« Filbinger

       Verkannte und »bequeme« Helden

       GOTT UND STAAT

       Glaube. Macht. Gott.

       Kniefall des Rechtsstaats

       Seid umschlungen, Milliarden

       Allah und die Linke

       LEBEN UND TOD

       Auge um Auge

       Ohne Gnade

       Präsident »Death«

       Wenn der Staat tötet

       Handwerker des Todes

       KRIEG UND FRIEDEN

       Waffen-Wahn und Kriegs-Gewinn

       Staatsdiener auf Wolke 7

       Alles wird schlimmer, oder …?

       Anmerkungen und Literatur

       Quellenhinweise

      GEGEN DEMOKRATIE-VERACHTUNG

      Warum eine offene Gesellschaft Gegenrede und Widerstreit braucht – und Demokratie vom ICH und vom WIR lebt. Kurzer Prolog.

      Denken »gehört zu den größten Vergnügungen der menschlichen Rasse«, sagt Galileo Galilei bei Brecht. Und vor dem Schreiben kommt das Denken. Aber wie bei vielen Vergnügungen: zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie lieber ihre besten Freunde, nicht unbedingt ihren Arzt oder Apotheker, die helfen ihnen in Sinnfragen nicht weiter. Denken bedeutet Risiko. Der Denkende ist der Suchende, der Zweifelnde mitunter auch der Selbstzweifelnde. Gegen die Macht, die Mehrheit – die eigene Bequemlichkeit.

      In unserer Konsensgesellschaft wird »eigenes« Denken zwar gerne propagiert, aber nicht immer geschätzt. In düsteren Zeiten wird freies, widerspenstiges Denken mitunter behindert, verleumdet, denunziert und verfolgt. Auch unsere Geschichte kennt diese dunklen Epochen. Das ist vorbei. Selbstständiges Denken ist hierzulande nicht gefährlich. Es eignet sich nicht als heroische Geste. Auch wer sich das Etikett eines »Quer-Denkers« anheftet, muss keinen Mut aufbringen.

      Einigen wir uns darauf: Denken hat viele Facetten. Es kann nützlich, erheiternd und schön sein – aber auch schlicht, anmaßend und dreist. Denken ist in einer freien, demokratischen Gesellschaft »systemrelevant« (um diesen abgenützten Begriff zu bemühen). Also: ein Lob auf das freie, unzensierte, anarchische Denken.

      Nach dem Denken kommt das Handeln. Es geht darum, die offene Gesellschaft gegen ihre falschen Freunde und richtigen Feinde zu verteidigen. Gleich ob von rechts oder links. Gegen politischen Fanatismus und religiösen Wahn. Gegen Geschichtsvergessenheit und Populismus.

      Ich plädiere für plausible, rationale Argumente statt Bauchgefühl. Ideal, wenn beides wohl dosiert zusammenkommt, dann stehen die Chancen gut, die Wirklichkeit zu bewältigen. Die wichtigste Voraussetzung, um Wirklichkeit zum Besseren zu verändern, besteht darin, diese ungeschönt zur Kenntnis zu nehmen. Schlichte Hoffnung und naiver Optimismus sind die Totengräber vieler guter Ideen gewesen. Das Ernüchternde: es gibt keine schnellen Lösungen in diesem Wirklichkeitsgeflecht.

      Nun gibt es Stimmen, die meinen, Politik müsse nicht nur Probleme lösen, sondern auch Sinn stiften. Ich bin da entschieden anderer Ansicht: dafür mag Religion zuständig sein (ich bin gottlos glücklich), nicht aber Politik. Am besten aber, man kümmert sich um die eigene Sinnstiftung. Wir müssen schon selbst mit uns zurechtkommen. Es braucht also eine gute Balance, einen moderaten inneren Dialog zwischen Selbst-Zweifel und Selbst-Bewusstsein. Ein Pakt zwischen dem ICH und dem WIR.

      Eine offene Gesellschaft lebt von Veränderung. Es braucht immer wieder eine neue Aufklärung. Aber Aufklärung ist kein Selbstzweck, kein Dogma, sondern eine Haltung, ein »Ethos«, wie Michel Foucault es formulierte. Es braucht Menschen, die sich trauen, gegen tradierte Denkmuster und Polit-Schablonen anzudenken und neue Möglichkeiten und Perspektiven zu entwerfen. So sehr unsere Demokratie auf Konsens angelegt ist, es braucht Gegenrede und Widerstreit. Sie sind der Sauerstoff für die Demokratie.

      WIDERSTREIT