Ich war damals so maßlos enttäuscht und verletzt, aber das stärkste Gefühl war, versagt zu haben und nicht gut genug zu sein. Ich war in einer Gedankenspirale gefangen: Jemand anderem wäre das ganz sicher so nicht passiert, das könne doch nur mir geschehen.
Als schließlich ganz heftig auf meinem Selbstbewusstsein herumgetrampelt wurde, so als wäre es eine Orange, welche bis auf den letzten Tropfen ausgepresst wird, obwohl sich das ausgewrungene Fruchtfleisch bereits von der Schale löste, drohte auch der Glaube an mich selbst sich aufzulösen.
Der Tod meines geliebten Vaters, der unerwartete Suizid meines einzigen Bruders und der Verlust meiner ungeborenen Kinder, welche nur wenige Wochen in mir sein durften und starben, bevor ich um sie kämpfen konnte, gehören ebenfalls auf meine Liste, genauso wie der Moment, an dem ich meine Arbeitsstelle verlor.
An diesen «Ungerechtigkeiten», welche sich wie eine hohe Mauer vor mir türmten, konnte ich weder rechts noch links vorbei. Also entschied ich mich dafür, mich ihnen zu stellen und diese Wand zu überwinden.
In dem Moment, als ich realisierte, dass es nichts bringt, wenn ich diese Mauer noch stundenlang anstarre, begann dieser Wall verschiedene Gesichter zu bekommen: Selbstvorwürfe, Selbstverurteilung und da war auch ein Antlitz mit Wut, tiefer Wut und einer Prise Trauer. Die Miene, welche mich am meisten vereinnahmte, war jedoch die unendliche Hilflosigkeit. Ich fühlte sie vor allem in den Beinen. Sie wussten zwar, dass sie gehen können, aber sie waren steif und starr – komplett blockiert. Da war nur diese einzige quälende Frage, welche mich durchlöcherte, die ich vor mir sah, wohin immer mein Blick schweifte: «Warum?»
Während diese «Warums» mich fast erdrückten, fühlte ich mich einfach nur allein und schwer. Ich war wie umhüllt von einer undurchdringbaren Dunkelheit. Was hätte ich darum gegeben, abzutauchen und irgendwo an einem helleren, besseren Ort dann wieder aufzutauchen …
Ja, in solchen Momenten wurde meine Stehaufmännchenqualität getestet. An ein Ereignis erinnere ich mich ganz genau, weil sich danach alles änderte.
Es war ein sehr warmer Tag im Juni, vier Tage vor meinem Geburtstag, als ich erneut in der vierzehnten Woche ein Kind verloren habe. Ich hatte so sehr gehofft, gewünscht und dafür gebetet, dass es dieses Mal sein durfte. Als die ersten kritischen zwölf Wochen vorbei waren, erlaubte ich mir, die Hoffnung wachsen zu lassen.
Ich war mit meinem Sohn in der ländlichen, familiären Badeanstalt in Maschwanden. Gerade packten wir unsere Tupperwarebox mit den wundervollen Erdbeeren, welche wir am Vormittag bei unserem «Bauern», gleich um die Ecke, geholt haben, aus – und dann geschah es. Ich konnte es fühlen, wollte es aber nicht wahrhaben, nicht daran denken, doch auf dem überdimensionalen hellgrauen Badetuch, auf dem wir so glücklich saßen, zeichnete sich plötzlich ein handgroßer roter Fleck direkt unter mir ab. Mein Sohn war so sehr mit den Erdbeeren beschäftigt, dass er gar nicht bemerkte, dass ich einfach nur noch wie versteinert dasaß. Nicht einmal eine Träne rollte über meine Wangen. Ich fühlte einfach diese Leere, starrte ein Loch in das Badetuch. Und dann geschah etwas Unglaubliches.
Während ein Teil in mir drohte, in dieser innerlichen Dunkelheit unterzugehen, fand ein anderer Teil gleichzeitig aus den vielen «Warums» meiner Mauer Antworten, die mich aufrichteten und mich wieder an das Gute glauben ließen.
Die Antworten sind eigentlich Doppel-Gedanken, ja, ich kann das nicht anders beschreiben. Ich saß da und betrachtete meinen Sohn. Was für ein Geschenk er doch war! Ich darf dieses Kind haben, durfte es zur Welt bringen, und es ist nicht nur gesund, sondern so geerdet, lebensglücklich und sehr aufgeweckt. Das, was ich schon alles haben darf, wurde mir vor Augen geführt, so als säße ich im Kino in der ersten Reihe. Da war ein Teil in mir, irgendwo, der das Schöne, das Gute sah, und das sehr glaubhaft. Es fühlte sich so warm an, und diese Wärme ließ es auch zu, dass ich in dem Moment an mich selbst glaubte. Das gab mir die Kraft, mich aufzurichten.
Wenn ich Dir jetzt erkläre, dass ich den Doppel-Gedanken so empfand, als wäre eine Hälfte auf der Außenseite und die andere auf der Innenseite meiner Haustür, dann kannst Du auch nachvollziehen, wie «verrückt» sich das anfühlte, beides gleichzeitig zu erleben. Und dabei passierte das Unglaubliche, denn ich verstand genau in dem Moment die Bedeutung, wie ich etwas betrachte und wie es sich, allein durch meine Vorstellung, durch meine Gedanken, plötzlich ganz anders anfühlt. Ich kann zur Tür raus- und ich kann reingehen – gutes Gefühl, schlechtes Gefühl … immer hin und her. Ich ganz allein kann bestimmen, ob ich drinnen oder draußen bin.
Diese Erkenntnis, dass ich allein die Macht über meine Gedanken habe, hat alles verändert.
So wurde ich zur Expertin schlechthin, denn nach jedem Verlust, nach jeder Niederlage, also immer dann, wenn ich für einen Moment glaubte, in einer Sackgasse zu stecken, waren sie plötzlich da, diese Doppel-Gedanken. Ich lernte sie zu rufen. Sie allein steuerten diesen Teil in mir, der fühlte, dass es sich lohnt dranzubleiben und dass es wohl eine besondere Bedeutung hat, dass ich das lernen oder erfahren durfte und musste. Mit jedem Mal fiel es mir leichter und gab mir die Sicherheit, dass ich die Chefin über meine Gedanken bin. Ich entscheide, ob ich das sehe, was ich alles habe, oder das, was ich nicht (mehr) habe.
Das Allergrößte und Wundervollste daran war, dass ich jedes Mal nicht nur stärker daraus hervorgegangen bin, sondern dass ich danach innerlich mehr bei mir war und noch ein Stück glücklicher und dankbarer werden durfte. Das Wort authentisch mag ich im Grunde genommen nicht so sehr, aber genau das bringt es auf den Punkt – ich wurde einfach immer mehr die, die ich bin: «echt»!
Schon in jungen Jahren orientierte ich mich ganz unbewusst an «echten», herzlichen Menschen. Allen voran an meinem Vater und meiner Großmutter, aber auch an meiner Kindergärtnerin, meiner Nachbarin und später an meinem Lehrmeister, der so etwas wie mein Mentor wurde. Sie alle hatten etwas gemeinsam: einen starken Glauben an eine Sache, an ihr Schaffen und an sich selbst.
Sie waren mehr da als andere, und dabei waren sie einfach sich selbst. Mich zogen diese Menschen förmlich wie Magnete an. Ich hatte nicht nur das Bedürfnis, von ihnen zu lernen, ich wollte auch unbedingt so sein wie sie. Meine Großmutter war eine außergewöhnliche Frau. Sie glaubte an so vieles und zeigte mir als erste diese magische Welt der Gedanken, den Glauben an etwas, und das – oder vielleicht gerade deshalb – obwohl ihr Leben sie mehrmals auf eine harte Weise geprüft hatte. Ihr Gesicht hatte so etwas Gütiges, Weises und sie strahlte auf eine besondere Art und Weise Kraft, Stärke, Mut, Liebe und Vertrauen aus.
Ich konnte es damals noch nicht so klar deuten, geschweige denn verstehen, weil meine Großmutter nicht so viele Worte um Dinge machte. Ich lernte von ihr durch Nachahmen und Beobachten.
Was Du erlebt hast, was man Dir genommen hat, weiß ich nicht, aber ich weiß, dass Du hundertprozentig die Wahl hast, entweder selber daran ein kleines Stück zu sterben oder aufzustehen. Dass Du es in der Hand hast, den Verlust, den Schmerz – unabhängig davon, wie groß er ist – anzunehmen und weiterzugehen, weiterzuleben und neu ankommen zu dürfen, indem Du lernst, die Tür, Deine Tür, von beiden Seiten zu betrachten. Manche Dinge wirst Du wohl nie verstehen, willst Du im Moment vielleicht auch gar nicht. Da ist lediglich dieser eine Wunsch – in ein Loch zu fallen, niemanden zu sehen und einfach nur Deine Ruhe zu haben. Doch Du kannst Dich mit der Situation, dass Du etwas nicht verstehst, versöhnen, ihr vergeben und Dir erlauben, neue Perspektiven einzunehmen, um aufzustehen, wieder zu leben, wieder zu sein – DU SELBST zu sein.
Darf mein Buch DEIN Stehaufmännchen sein?
Wenn Du aufblühst und DAS aus Deinem Leben machst, was Du Dir immer schon gewünscht hast, dann habe ich mein Ziel erreicht – genau dafür ist «aufblühen» da.
Es ist an der Zeit, dass wir für uns einstehen, unsere Liebe zulassen und für diese einzige Sache, die uns wichtig ist, kämpfen. Dass wir zu uns stehen, egal was andere darüber denken, und unseren Herzensweg gehen.