Die Großeltern, Oma Erna und Opa Wilhelm, wohnen im Nachbardorf. Sie sind die Eltern von Christians Mutter Marie. Christian verbringt viel Zeit bei den Großeltern in dem alten Bauernhaus mit dem großen Garten. Er hat dort sogar ein eigenes Zimmer. Es ist das ehemalige Kinderzimmer seiner Mutter, im zweiten Stock, gleich neben dem Schlafzimmer der Großeltern. Der Opa hatte es für ihn renoviert, als er auf die Welt kam, die Wände von rosarot auf Himmelblau umgestrichen, einen Sternenhimmel an die Zimmerdecke gemalt. Und die Oma hat himmelblaue Vorhänge und Bettwäsche genäht. Himmelblaue Deckchen im Zimmer verteilt.
Himmelblaue Blumentöpfe an die Fensterbank gestellt. Und eine himmelblaue Lampe an die Decke gehängt.
»Kleine Buben mögen himmelblau«, hatte sie dem Opa erklärt.
Mittlerweile hat Christian das Zimmer umgestaltet und die Wände sind mit Postern von Fußballspielern geschmückt. An der Decke hängt eine Fußballspieler- lampe, auf dem Nachtisch steht eine Fußballspielerleuchte und das Bett ziert Fußballbettwäsche. Die Großmutter hat auch diese Bettwäsche genäht, auf ihrer alten Tretnähmaschine, ebenso die Vorhänge mit den aufgestickten Fußbällen.
Christian hat ein riesiges Bücherregal aus Holz, von seinem Vater geschreinert, aber es ist fast voll von Opas Büchern. Christians Opa besitzt viele Bücher und Bildbände über Afrika, Arabien, Australien, Neuseeland, Island, Amerika und Spanien. Auch von der fremden Tierwelt dort. Ebenso Unmengen von Bildbänden über Wasserfälle, Flugzeuge, Schiffe und exotische Tiere. Ein riesiges Regal im Wohnzimmer ist voll davon. Auch das Regal im Flur und das Regal im Schlafzimmer. Der Opa hat seine Bücher überall untergebracht, im ganzen Haus. Aber die allerschönsten Bände stehen bei Christian im Zimmer.
Der Großvater findet es sehr schön, dass sein Enkel so viel Interesse an seinen Büchern zeigt. Oft sitzt er mit Christian auf dem Fußboden und sie blättern gemeinsam in den Bildbänden. So lange, bis der Opa nicht mehr sitzen kann und schimpft. »Das elende Kreuz aber auch.«
Christian schlendert oft mit seinem Großvater durch die Leihbibliothek der nächstgelegenen Stadt und auch durch die Buchhandlungen dort. Die Opa-Bücher-Ausflüge sind immer ganz besondere Tage für Christian. Oft gehen die beiden noch ein Eis essen. Oder eine Pizza. Manchmal auch zum Chinesen, zum Peking Ente essen.
Die Großmutter Erna liest nicht so gerne, nur in der Bibel. Sie sitzt am liebsten im Lehnstuhl unter dem Fenster, mit Blick in den Garten und strickt Socken. Christians Sockenschublade quillt schon über von den Oma-Socken-Geschenken. Es gibt sie immer: an Weihnachten, zu Ostern, zum Geburtstag. Und manchmal auch unter dem Jahr. Immer dann, wenn die Oma ein Sonderangebot an Wolle ergattern konnte. Oma Erna ist sparsam, sie schlägt immer gnadenlos zu bei Wolle- Sonderangeboten.
Christian planscht auch gerne in der Badewanne. Sehr gerne sogar. Er würde stundenlang im warmen Schaum- wasser bleiben, wenn er das dürfte, seine Papierschiffchen schwimmen lassen oder lesen. Am liebsten spannende Abenteuerbücher über Seeräuber und Piraten. Er liest aber auch gerne Bücher über Tiere und Geschichten, die in fremden Ländern spielen. Und er baut für sein Leben gerne Sandburgen. Im Garten in der Vogelsangstraße Nummer eins steht sogar noch sein Sandkasten. Direkt unter dem Walnussbaum hinter dem Haus. Obwohl er dafür eigentlich schon viel zu groß ist, wie seine Oma meint.
Christian liebt Tiere über alles. Am liebsten hätte er einen kleinen Zoo gehabt. Oder einen Bauernhof, so wie sein Opa einen gehabt hatte. Mit Kühen, Rindern, Pferden, Schweinen, Ziegen, Hühnern, Gänsen und Enten. Aber seine Mutter wollte Musikerin werden, keine Bäuerin. Und so hatten die Großeltern dann später beschlossen, den Bauernhofbetrieb einzustellen.
Christian hat drei Hasen: Puschel, Blümchen und Klara. Zwei Kanarienvögel, einen orangefarbenen und einen gelben. Sie heißen Lemon und Orange. Seine Katze, ein grau gestreiftes Tigerchen, hat er auf den Namen Kim getauft. Er wünscht sich einen Hund, einen großen, am liebsten einen Schäferhund. Und der Hund soll Lucky heißen. Aber für einen Hund wäre Christian noch zu klein, meint seine Oma.
»Der Bub ist doch noch nicht einmal zehn.«
»Mal bin ich zu klein und mal bin ich zu groß«, schimpft Christian. »Immer gerade so, wie es der Oma passt.«
4. Kapitel
Die kleine Familie wird mit dem Bus in das Land der Gewässer und der 1000 Inseln reisen. Christians Mutter liebt Busfahrten über alles. Sie genießt es sehr, die Natur zu betrachten, an Wäldern, Wiesen und Feldern vorbei- zufahren, in die Wolken zu schauen und vor sich hinzuträumen. Sie lächelt dann glücklich vor sich hin, vergisst die Welt um sich herum und bemerkt noch nicht einmal, wenn sie angesprochen wird.
Waldundwiesenwolkenguckerträume beschreibt Rainer Schneider diese Zustände. Und diese Waldundwiesen- wolkenguckerträume sind auch der Grund, warum er seiner Ehefrau den Kosenamen Träumerle gegeben hat. Auch Christian ruft seine Mama manchmal Träumerle. Immer dann, wenn er sie besonders gerne mag und mit ihr kuscheln will. Und das ist oft so, fast jeden Tag.
Marie Schneider ist eine zierliche Person, einen Kopf kleiner als ihr Ehemann Rainer. Sie hat lange weizen- blonde Haare, die in der Sonne glänzen wie Gold. Auf ihrer Stirn, den Wangen und der Nasenspitze haben sich ein paar lustige Sommersprossen niedergelassen.
Sie legt die Stirn in Falten, wenn ihr etwas nicht gefällt. Das kommt aber nicht allzu häufig vor, nur wenn Christian die Hausaufgaben nicht ordentlich macht und lieber Fußball gegen die Zimmerwände spielt. Oder er wieder einmal vergisst, die Spülmaschine auszuräumen, wenn er Küchendienst hat.
Das linke Ohr von Marie ist etwas größer als ihr rechtes Ohr. Aber das weiß außer der Familie niemand. Christian droht manchmal, das Geheimnis zu verraten, immer dann, wenn einer der seltenen Fälle eintritt und er von ihr ausgeschimpft wird. Christians Mutter ist eine Frohnatur, sie singt und trällert wie eine Lerche, vom frühen Morgen bis in den späten Abend. Sie ist auch eine begabte Tänzerin. In jungen Jahren hatte sie sogar eine Goldmedaille im Solotanz errungen. Christian ist sehr stolz auf seine schöne Mama.
Marie Schneider hatte sich die Busreise auf die Insel Krk zum 30. Geburtstag gewünscht. Sie mag gerne mit anderen Menschen reisen und die jugoslawische Landschaft hatte sie schon immer interessiert. Die Familie wird viele Ausflüge machen, an verschiedenen Stränden rasten, Bauwerke ansehen, Museen besichtigen, neue Freunde finden vielleicht. Marie Schneider ist eine aufgeschlossene Person. Sie hat Freunde in der ganzen Welt.
Das ganze Jahr über hat Marie Bildbände und Reiseführer von Kroatien studiert. Und auch Christian und sein Vater sind schon sehr gespannt auf das Land und die Menschen dort.
In den letzten Jahren war die Familie mit dem Zug in den Urlaub gefahren.
Die Zugreisen hatten Christian immer gut gefallen, sie waren sehr lustig. Es waren meist Kinder in den Abteilen, mit denen er sich die Zeit vertreiben konnte, einmal sogar zwei Jungs in seinem Alter. Gerne hätte Christian seinen Freund Davide dabei gehabt, aber das geht leider nicht. Seine Erdgeschossgroßmutter hat am Abreisetag Geburtstag. Den Siebzigsten.
5. Kapitel
Christian wäre viel lieber mit dem Auto gereist, weil Kroatien doch sehr weit weg ist und weil er dann mehr Gepäck hätte mitnehmen können. Sein eigenes Boot-Set zum Beispiel. Oder seinen Polizei-Überwachungs-Truck. Auch die Inliner und das Skateboard hätte er gerne mitgenommen. Die Federballschläger. Mehr Bücher.
»Man kann nicht alles haben, Chrissie«, meint sein Vater bei der Diskussion über das Urlaubsgepäck. »Das ist im Leben nun einmal so.«
Christian motzt ein bisschen herum, wie immer, wenn ihm etwas verboten wird, und bringt beleidigt das Skateboard und die Inliner in die Garage zurück. Den heiß ersehnten Polizei-Überwachungs-Truck, den er am Vorabend von den Eltern geschenkt bekommen hatte, schiebt er schweren Herzens wieder unter sein Bett und holt stattdessen seine verstaubten Schwimmflossen hervor.
Er entfernt die Wollmäuse und stopft die Flossen in seinen Rucksack: zu den Badeschlappen, seiner neuen schwarzen