Natürlich wieder für Zottel
Dr. Harald Kiwull, aufgewachsen in einem Dorf in Norddeutschland. Studium der Rechtswissenschaft in Hamburg und Freiburg im Breisgau. War nach Tätigkeit als Zivilrichter lange Jahre Vorsitzender Richter einer Strafkammer am Landgericht Karlsruhe, deutschlandweit bekannt geworden als Berufungsrichter im sogenannten „Autobahnraser-Prozess“. Über 20 Jahre stellte er in dem von ihm mitbegründeten Verein „Kunst im Landgericht“ in 40 Ausstellungen Werke von mehr als 100 Künstlern aus. Seit seiner Pensionierung lebt Kiwull in Deutschland und Spanien. Die „Die Trüffel-Connection“ (2016, inzwischen in der 3. Auflage) war in der Startauflage nach nur wenigen Wochen vergriffen. Mit „Knall 2“ legte er 2017 den zweiten amüsanten Kriminalroman vor.
Harald Kiwull
Eine spanische
Eröffnung
Der Richter-Krimi
Mit Illustrationen von
Wolfgang Blanke
Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen
wären rein zufällig und sind nicht beabsichtigt.
1
Das heisere Bellen des Hundes wurde lauter. Die Männer hinter mir hatten aufgehört, sich durch Zurufe zu verständigen. Es waren jedenfalls zwei, vielleicht drei. Ich hetzte den Berg hinauf. Das niedrige Gestrüpp am steilen Hang behinderte mich. Die trockenen Äste krallten sich in meine Hose, und ich merkte, dass Blut mein rechtes Bein hinunterlief. In der letzten Querrinne war ich gestürzt und hatte mir das Knie aufgeschlagen. Aber ich spürte keinen Schmerz. Den schmalen Weg parallel zum Abhang hatte ich schon lange verlassen. Auf ihm wäre ich den Kerlen ausgeliefert gewesen.
Ich zwängte mich durch einen schmalen Spalt zwischen zwei großen Felsblöcken hindurch und hastete eine steile Böschung hinauf. Einen Augenblick hielt ich an und klammerte mich an den tief hängenden Zweig einer Pinie. Ich blickte zurück, das Gefälle der Sierra d‘Irta hinunter. Aber von meinen Verfolgern konnte ich durch die Bäume und Sträucher hindurch nichts sehen. Der Schweiß brannte mir unerträglich in den Augen.
Rechts, tief unter mir, sah ich durch eine Reihe von alten, unwirklich windgebogenen, fast skulpturartigen Kiefern in der Nachmittagssonne das ruhige Meer glitzern und ganz klein am Horizont die Felsen der Columbretes.
Ich hatte inzwischen vollkommen mein Zeitgefühl verloren, aber weit entfernt erblickte ich die unregelmäßige Karawane der Fischerboote mit ihren weißen Gischtschnauzbärten und endlos langen Furchen im tiefblauen Wasser hinter sich in Richtung Norden, nach Peñíscola, ziehen. Sie kehrten, wie immer um vier, halb fünf, vom nächtlichen Fischfang zurück.
In einer Stunde würden die Männer in ihrer gelben Ölkleidung die großen, flachen, tischartigen Wagen mit der schlüpfrigen Fracht die Hafenmole entlang in die Versteigerungshalle schieben, belauert von mageren Katzen und neugierig beobachtet von den Touristen an ihren Tischen vor der kleinen Hafenbar. Und nicht lange danach würde das Meeresgetier auf den Tellern der Lokale im Ort landen.
Kaum einer der ihren kühlen Weißwein trinkenden, die „Gambas al Ajillo“ genießenden Beobachter machte sich wohl Gedanken über die Vergänglichkeit der Zeit und darüber, dass dieses abendliche Ritual seit vielen Jahrhunderten zur gleichen Zeit hier stattfand – wahrscheinlich eher darüber, dass hier Teile des Films „El Cid“ mit Charlton Heston gedreht worden waren.
Ein leichter Wind den Hang herauf, mit einem Duft von Rosmarin, Thymian und Lavendel, aber auch mit dem scharfen, kurzen Bellen des Hundes brachte mich in die Gegenwart zurück. Meine Verfolger waren mir jetzt nah auf den Fersen.
Den Hund musste ich irgendwie loswerden. Gegen die Männer allein hatte ich eher eine Chance. Durch mein regelmäßiges Lauftraining auf den Wanderwegen am Rande des Schwarzwaldes war ich ganz gut in Form, und oft war ich hier oben in den letzten Jahren auch unterwegs gewesen. Ich kannte mich aus.
Ich änderte meine Richtung und lief jetzt, auf gleicher Höhe bleibend, den Hang entlang, versuchte Hindernisse vorauszusehen und sie weiträumig zu umgehen. Irgendwo voraus musste er sein, dieser merkwürdige tiefe Einschnitt in den Berg, diese schmale, gezackte Schlucht, von oben den Berg herab, wie von überdimensionalen Axthieben in den Fels geschlagen.
Im letzten Herbst fand ich diese Kluft, und es hatte mich damals gereizt, hinunterzusteigen. Mit meiner Routine, die ich mir auf den zahlreichen Bergwanderungen und Klettertouren mit meinem Freund Henner in Südtirol angeeignet hatte, war mir das auch gelungen. Und mit Erstaunen stellte ich fest, dass sich in den Jahrhunderten am Boden des Einschnittes Erde angesammelt und eine überraschende Vegetation gebildet hatte. Auch einzelne Bäume bemühten sich, ihre Köpfe aus der Tiefe der Schlucht heraus zu erheben. Ich hatte es nicht geschafft, die glatte Wand auf der anderen Seite der Spalte wieder emporzusteigen.
Aber während ich auf die Schlucht zu rannte, formte sich in mir eine Idee.
Der Hund und mit ihm die Männer hatten meinen Richtungswechsel offenbar ohne Probleme nachvollzogen. Ich hörte ihre Geräusche im Unterholz hinter mir.
Ich stürzte fast über eine querliegende, dicke Wurzel und konnte mich gerade noch vor dem Sturz in die Tiefe abfangen. Atemlos blickte ich nach beiden Seiten und erkannte tatsächlich die Stelle.
Langsam ließ ich mich auf den kleinen Absatz schräg unter mir hinab, fand die ersten Tritte abwärts und konnte mich mit den Händen an kleinen, aus den Spalten wuchernden Zweigen festhalten. Vorsichtig stieg ich weiter. Plötzlich rutschte mein rechter Fuß ab und unter mir polterten kleine Steinbrocken den Abhang hinunter in die Tiefe. Mein Inneres krampfte sich zusammen. Ich klammerte mich an die kleinen Äste, hoffte, dass sie halten würden, bemühte mich, ruhig zu sein, mich zu konzentrieren. Langsam, Tritt für Tritt, kletterte ich weiter. Zur Talsohle hin wurde es leichter. Einen Augenblick horchte ich nach oben. Aber ich nahm jetzt kein Geräusch von den Männern wahr. Bevor sie die Kante erreichen würden, musste ich unten und um die Krümmung der Schlucht gelaufen sein. Sonst war ich ihnen ausgeliefert.
Aufatmend sprang ich den letzten Meter nach unten. Sah hoch. Es war immer noch nichts zu sehen und zu hören. Der Abstieg war mir ewig vorgekommen, aber tatsächlich war ich wohl ziemlich schnell gewesen.
Kurz orientierte ich mich, dann hastete ich nach links den schmalen, etwa zwei bis drei Meter breiten Grund entlang und nach wenigen Metern um eine Krümmung. Kaum um die Felsenecke herum, hörte ich oben, hinter mir ein wütendes Gebelle und lautes Schimpfen. Die Worte konnte ich nicht verstehen. Leise schlich ich weiter. Nach wenigen Metern war ich hinter einer Biegung. Jetzt atmete ich tief aus und merkte, dass ich total angespannt gewesen war.
Ich betrachtete den Felsen rechts von mir. Glatt, steil, unüberwindbar. Jetzt verbreiterte sich der Boden und ein stärkerer Bewuchs mit kleinen Fächerpalmen, kräftigen Ligusterbüschen, auch mit einzelnen Bäumen behinderte mich im Vorankommen.
Was würden die Kerle machen? Der Hund war keine Hilfe mehr. Ob sie versuchen würden, mit ihm hinunterzusteigen? Vielleicht eine bessere Stelle dafür finden? Natürlich würden sie versuchen, dem Verlauf der Schlucht zu folgen, um mich aufzuspüren.
So schnell wie möglich rannte ich weiter, zwängte mich durch die Büsche. Rechts und links die steilen Wände.
Als ich vor einem Jahr hier unten alles erkundete, kletterte ich anschließend an der gleichen Stelle wieder nach oben. Aber damals hatte es mich schon „in den Fingern gejuckt“, auch die andere Seite zu bezwingen. Und ich fand auch einen Platz, an dem es vielleicht möglich war.
Ich lief um die nächsten Krümmung – und wirklich, da war der Ort: Hier erweiterte sich der Grund, und in der Mitte wurzelte diese mächtige, abgestorbene Pinie, ragte schräg empor und lehnte sich oben gegen den Rand der Schlucht. Ein eindrucksvoller, uralter Baum. Seine Rinde hatte er fast vollständig verloren, das Holz war grau und glatt. Von den Zweigen und vom Geäst waren zumeist nur noch Stummel vorhanden.
Ich blickte am kahlen Stamm hinauf. Der erste Halt war hoch, auch für mich mit meinen 1 Meter 96 kaum zu erreichen. Ich sprang, berührte