Thomas C. Breuer, Jahrgang 1952, bereiste über vier Jahrzehnte als Kabarettist Bühnen in Deutschland, der Schweiz und Nordamerika. Nebenher arbeitete er fürs Radio, u. a. SWF3, SDR, SWR, Rias Berlin, HR, WDR und noch immer fürs Schweizer Radio SRF1. Den Salzburger Stier als bedeutendsten Radio-Kabarett-Preis im deutschsprachigen Raum erhielt er 2014. Die Zahl seiner Buchveröffentlichungen soll bei annähernd vierzig liegen, niemand hat mehr den Überblick. Seit 2003 lebt er in Rottweil, wenn er nicht mit der Deutschen Bahn oder den SBB unterwegs ist, seit 2019 als Verfasser und Vorleser eigener Texte und Gelegenheits-Privatier.
Thomas C. Breuer
Das kleine
Narrcoticum
Vorwiegend fasnachtliche Vergnügungsreisen
durch die reiche Freistadt Rottweil
und die Region Schwarzwald-Baar-Heuberg
LINDEMANNS
Für Beatrice, as always ...
Vorwort
Im September 2018 erschien mein doch sehr spezielles Buch über die – überwiegend Rottweiler – Fasnacht, des Titels „fas.net“. Selbst verlegt und über sog. Stubenlesungen in Rottweil und Umgebung vermarktet, d. h. wir haben die Lesungen angeboten und die Gastgeber Freunde, Bekannte, Römer, Mitbürger eingeladen, die ich dann in allen möglichen Haushalten mit Texten versorgt habe. Mitte 30 sind es dann geworden, sogar mit Außenterminen wie z. B. im Museum Narrenschopf in Bad Dürrheim, bei der Narrenzunft in Schramberg, selbst ein Yoga-Studio in Villingen durfte nicht fehlen. Über 500 Bücher konnte ich so direkt an den Leser bringen, einige ausgesuchte Geschäfte führten den Titel am Lager.
Wie ein Schmetterlingsjäger war ich Monate zuvor lang durch die Botanik gestreift, ohne Netz allerdings, aber mit gezücktem Notizbuch: Beinharte Recherche ist schließlich in diesem Geschäft das A und O, und auch die ganzen Lügen wollen sauber und schlüssig formuliert sein. Schon das Niederschreiben hat großen Spaß gemacht, die sog. „Marktdurchdringung“, wie man das heutzutage nennt, noch viel mehr, zumal dieses Buch eben ohne jedwede finanzielle Unterstützung entstanden war, also ohne Crowdfunding, Cloudfunding, Stipendien, Darlehen, Mäzene oder dgl. – ich konnte schreiben, was ich wollte und war von daher auch voll verantwortlich, nicht zuletzt dafür, das Buch unter die Leute zu bringen: Deshalb die Stubenlesungen. Früher kam der Mann mit der Brockhaus-Enzyklopädie ins Haus, der Vorwerk-Vertreter folgte auf dem Fuße (und mancherorts auch Johnny Walker), heute steht die Dame der Firma Thermo-Mix im Wohnzimmer, die auf den Spuren der Tupperware oder Avon-Repräsentantinnen wandelt. Und dann kam ich, umsonst und drinnen, und oft wurde sogar die „gute Stube“ bereitwillig geöffnet.
Lesungen als Matinee, zur Vesperzeit, zum abendlichen Umtrunk. In einem Fall im Neubauviertel eines Dorfes, wo der Haushaltsvorstand kleinlaut zugab, mit der Fasnet nichts am Hut zu haben, so dass wir alle mehr oder weniger unschlüssig herumsaßen, selbst ich während meiner Lesung. Dieser Abend zählte zu den weniger beglückenden Erlebnissen wie auch jener Nachmittag, an dem sich die Familienmitglieder riesig freuten, einander wiederzusehen – ich hoffe, ich habe nicht allzu sehr gestört. Komisch, dass einem die Ausnahmen eher im Gedächtnis haften bleiben als das Gros – also etwa neunzig Prozent – der Veranstaltungen. Allgemein erfreute ich mich lebhaften Interesses, aufmerksamer Zugewandtheit und überwältigender Großzügigkeit, und bald jeder hatte eine Geschichte zu erzählen wie z. B. der Redakteur des Schwarzwälder Boten, der sich um einen Kollegen des Kölner Stadt-Anzeigers kümmern sollte, weswegen man im oberen Teil der Rottweiler Hauptstraße den Narrensprung abnahm. Nach etwa einer Stunde Larven und Kleidle fragte der Rheinländer: „Wann kommen denn endlich die Wagen?“ (Meine Tochter hat im zarten Alter von zwei Jahren ihren ersten „Veedelszooch“ in Köln absolviert – und die „Kamelle“ zurückgeworfen.)
Mal eher großes Publikum, also für Lesungen, mal Stuhlkreis. Als Bonus die gesellschaftlich akzeptierte Möglichkeit, schon am frühen Vormittag Alkohol zu konsumieren. Für mich das Schönste: Dieses Projekt bewegte sich innerhalb eines überschaubaren Rahmens, vor allem geographisch, und der Aufwand war gering: Es gab ja kaum Gepäck außer dem Manuskript und den Büchern. Expeditionen führten mich in Teile der Stadt, von deren Existenz ich zuvor keine Ahnung gehabt hatte, und obendrein war es aufschlussreich, die Wohnstuben der Rottweiler Bürger kennenzulernen und herauszufinden, wer bei wem sitzt und warum. Das hat die Landkarte noch einmal neu sortiert. Natürlich könnte das kompromittierende Berichte über die örtliche Innenarchitektur zeitigen – ich werde mich hüten, denn ich will ja wiederkommen dürfen. Ich liebe diese Art von Unmittelbarkeit, das Improvisierte. Manche hatten sogar die Möbel umgeräumt oder ihre Werkstatt, wie der lokale Kult-Schuster. Bauliche Veränderungen wurden meines Wissens jedoch nicht vorgenommen.
Jetzt ist der Nachfolger fertig, und den Radius habe ich erweitert, auf die gesamte Region Schwarzwald-Baar-Heuberg (inklusive weniger Abstecher), den Schwerpunkt bilden weiterhin die bisweilen bizarren Rituale der Fasnet, allerdings werden auch andere Themen berücksichtigt, wie Events, Sitten und Gebräuche, lukullische Spezialitäten in dieser Region zwischen Tuttlingen und Villingen-Schwenningen sowie Balingen und Rottweil, die selten in den Fokus gerät und noch seltener in die Schlagzeilen.
Rottweil, im Sommer 2020
Fasnet in den Zeiten von Corona
Aus gegebenem Anlass gilt es, über das Schicksal der Fasnet in pandemischen, respektive pandämonischen Zeiten zu räsonieren, sozusagen visionär und visionärrisch. Wir erinnern uns nur ungern an jene grässlichen Tage, als das ARD-Extra gleich nach der Tagesschau eher schon ein ARD-Normal war. Aber machen wir uns nichts vor: Eine Krankheit wie Covid-19 kann jederzeit überall wieder aufflammen, sogar in Irslingen, bzw. mutieren (zu Covid-20 – komisch, irgendwie scheinen die immer ein Jahr hinterherzuhinken – gibt es vielleicht irgendwann mal ein Upgrade?) Wie haben wir uns eine Fasnet unter verschärften Sicherungsbedingungen vorzustellen? Immerhin, das sollte man nie vergessen, feiern die Narren ja ehrenamtlich.
Fasnetszeit ist immer auch Erkältungszeit – diese Doppelbelastung macht eine verlässliche Diagnose schwierig und bringt uns zur nächsten Frage. Wenn ich unentwegt in meine Armbeuge schnoddere, nimmt dann nicht das Kleidle Schaden, besonders bei Weißnarren?
Daher: Virtuelle Fasnet – keine ganz schlechte Idee an besonders frostigen Tagen. Das Narrenbuch im Tablet.
– Sind Schantle überhaupt systemrelevant?
– Können Narrenzünfte unter einen Rettungsschirm
schlupfen? Soforthilfe Corona für Maskenschnitzer?
Oder Reinigungen?
– Müssen Fanfarenzüge zu jeder vollen Stunde desinfiziert werden?
– Soll man Ordner serienmäßig mit Fieberthermometern ausstatten?
– Wären Drive-By-Umzüge nicht sinnvoller?
(Früher: Autokorso)
– Marshall-Plan für Unterhaltungskapellen – genügt hier
ein Tony-Marshall-Plan? Können professionelle Fasnachter mit Roberto-Blanco-Schecks bezahlt werden?
– Wie ist das mit dem Sicherheitsabstand bei Alleinunterhaltern?
– Bietet Überschminken schon einen probaten Schutz?
(Eher nicht.)
– Maske über die Larve oder genügt selbige an sich?
Maskenbälle – sind die sicher?
– Wie kann ich mich als Virologe verkleiden?
– Muss man den Mundschutz beim Trinken abnehmen?
(Bei griechischem Kaffee wäre das sogar ein Vorteil.)
– Polonaise mit Einmalhandschuhen?
– Wie passt Schunkeln ins Hygienekonzept –
und ist das überhaupt noch zeitgemäß?
– Schmotziger per Videokonferenz?
– Drive-In-Besen – eine Alternative?
– Wo kann man Herdenimmunität