68er Spätlese. Jost Baum. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jost Baum
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783944369327
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      Jost Baum

      68er Spätlese

      Der 1. Eddie-Jablonski-Krimi aus dem Ruhrgebiet

      © 2014 Oktober Verlag, Münster

       Der Oktober Verlag ist eine Unternehmung der

       Verlagshaus Monsenstein und Vannerdat OHG, Münster

       www.oktoberverlag.de Alle Rechte vorbehalten

      Satz: Roland Tauber

      Umschlag: Thorsten Hartmann unter Verwendung eines Fotos von simon2579/iStockphoto.

      Herstellung: Monsenstein und Vannerdat

      ISBN: 978-3-944369-32-7

      eBook-Herstellung und Auslieferung:

       readbox publishing, Dortmund

       www.readbox.net

       Statt eines Vorworts

      Wenn du zur Arbeit gehst

      am frühen Morgen,

      wenn du am Bahnhof stehst

      mit deinen Sorgen:

      da zeigt die Stadt

      dir asphaltglatt

      im Menschentrichter

      Millionen Gesichter:

      Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,

      die Braue, Pupillen, die Lider –

      Was war das? Vielleicht dein Lebensglück …

      vorbei, verweht, nie wieder.

      Kurt Tucholsky,

      Augen in der Großstadt, 1931

      Kurt Tucholsky, »Augen in der Großstadt« aus:

      Kurt Tucholsky, GESAMMELTE WERKE, Band III/Seite 379

      Copyright © 1960 Rowohlt Verlag GmbH, Reinbeck

       »Die Medien wollen, daß wir etwas falsch machen. Denn erst, wenn das geschieht, lohnt es sich, etwas Längeres zu schreiben.«

      Manfred Rommel, 61

      Stuttgarter Oberbürgermeister

      1.

      Pohlig empfing die Herren sehr zuvorkommend.

      Er war von seinem schweren Mahagonischreibtisch aufgestanden, der fast die Hälfte des Raumes einzunehmen schien, war auf sie zugekommen, hatte jedem von ihnen die Hand geschüttelt und auf die bereitstehenden Stühle gewiesen, die um einen Konferenztisch gruppiert waren.

      Eddie Jablonski ließ den Blick in die Runde schweifen.

      Hinter dem Mahagonischreibtisch hing ein Ölgemälde an der mit Seide bespannten Wand, von dem ein streng blickender älterer Herr mit Rauschebart und Nickelbrille auf die Runde starrte.

      Hubert Heisenberg, Patriarch und Verlagsgründer des Bochumer Stadtanzeiger war im hohen Alter von sechsundachtzig Lenzen gestorben.

      Ein Schicksal, was mich bestimmt eher ereilen wird, dachte Jablonski grimmig und faßte Pohlig ins Auge.

      Dr. Udo Pohlig, Mitte vierzig, klein, starker Bauchansatz, trug eine dezent gemusterte Krawatte über einem blütenweißen Hemd. Nur die Schuppen, die bei jeder Kopfbewegung von seinem schütteren schwarzen Haar, das in der Mitte gescheitelt war, auf den grauen Anzug rieselten, trübten den seriösen Eindruck, den Pohlig bei einem flüchtigen Betrachter hinterließ.

      Rechts neben Jablonski nahm Willi Rehnagel Platz. Der baumlange Mann mit den schlaksigen Bewegungen einer Marionette hatte seine dünnen Beine mit Mühe unter den ovalen Tisch bugsiert und die feingliedrigen Hände über seinen Bauch gefaltet, der aussah, als hätte er einen Fußball verschluckt. Rehnagel stieß Jablonski an, grinste gequält und flüsterte: »Junge, halt die Ohren steif, wird schon nicht so schlimm werden!«

      Dann legte er seine Kamera vorsichtig auf den Tisch und versuchte, seine knochige Gestalt auf dem Stahlrohrstuhl zurechtzurücken. Kampmann, der Kulturredakteur, war in einen ausgebeulten Leinenanzug gehüllt, der die zwei Jahre, die der Mann bis zur Pensionierung noch vor sich hatte, wahrscheinlich nicht ohne weitere Blessuren überstehen würde. Seine eisgrauen Augen fixierten Pohlig, und ein spöttisches Lächeln umspielte seinen schmalen Mund. Einzig Hüser schien sich in der Anwesenheit des Justitiars wohl zu fühlen. Hüser war mit federnden Schritten auf Pohlig zugeeilt, hatte ihm kräftig, fast kumpelhaft-vertraut, die Hand gedrückt, aber dabei einen ehrerbietigen Diener angedeutet.

      Der Sportredakteur trug ein Gewinnerlächeln in seinem Gesicht, das jeder Stuyvesantreklame alle Ehre gemacht hätte. In der Mitte des ovalen Konferenztisches stand das übliche Tablett mit kleinen grünen Mineralwasserflaschen und der entsprechenden Anzahl Gläser.

      »Jetzt könnte ich einen Cognac vertragen«, dachte Jablonski, fühlte seine Finger schweißnaß werden, spürte den beißenden, scharfen Geschmack des Alkohols auf der Zunge, und er verlangte nach der Wärme, die das Gesöff in seinem Magen zurücklassen würde.

      »Nun gut«, begann Pohlig und legte eine bedeutungsschwangere Pause ein, in der er mit hochgerecktem Kinn einen Punkt an der Decke des Raumes fixierte und fuhr fort:

      »Wie Sie sich bestimmt schon gedacht haben, sind wir hier nicht versammelt, um Lorbeerkränze zu verteilen. Im Gegenteil, die Verlagsleitung hat mich beauftragt, Ihnen einige Richtlinien und Anweisungen plausibel zu machen, an die Sie sich alle zu halten haben … ansonsten können Sie mit personellen Konsequenzen rechnen«, schloß Pohlig scharf, wobei er Jablonski anpeilte, der diese Drohung bereits erwartet hatte.

      »Sehen Sie, Jablonski«, sagte Pohlig und breitete dabei die Arme weit auseinander, »die Verlagsleitung und ich wissen beim besten Willen nicht, warum Sie ständig Themen für Ihre Titelstory aussuchen, die unsere Inserenten einfach vor den Kopf stoßen müssen. Nehmen wir einmal Ihre Geschichte über diese Penner, die sich in der Fußgängerpassage aufhalten, die Passanten belästigen, anpöbeln und dafür auch noch reichlich beschenkt werden wollen. Was meinen Sie, wie mich dieser Juwelier aus der Weststraße angeraunzt hat, vor dessen Ladentür sich diese Gestalten ständig aufhalten. Er hat damit gedroht, demnächst nur noch in der ›WAZ‹ zu inserieren statt bei uns. Wissen Sie, was das heißt?« erregte sich Pohlig und lockerte mit einer hastigen Handbewegung die Krawatte. »Der Mann lanciert jede Woche eine halbe Seite Werbung … und wir, … ach was … Sie Jablonski, beschreiben die Penner, die vor der Tür dieses Geschäfts in ihrer eigenen …«, Pohlig rang nach Worten, » … Kotze … liegen, als arme, ausgestoßene Wesen unserer Gesellschaft, die unser Mitgefühl verlangen.«

      »Wissen Sie was, Jablonski, wenn Sie so weitermachen, landen Sie eines Tages selbst in der Gosse, nicht zuletzt wegen Ihres Alkoholkonsums.«

      Willi, der Fotograf, hob zaghaft wie ein Schuljunge die Hand.

      »Moment!« stieß Pohlig hervor. »Ich bin noch nicht fertig. Mir ist zu Ohren gekommen Jablonski, daß Sie ihre Recherchen mehr als ernst genommen haben. Nicht nur, daß man Sie mit einer vollen Flasche Rotwein …«

      »Coteaux d’Aix-en-Provence«, warf Jablonski ein und grinste.

      »… gesehen hat«, fuhr Pohlig unbeirrt fort. »Nein, es schien, als hätten Sie sich einen Monat weder gewaschen noch Ihre Kleider gewechselt«, dröhnte Pohlig und ließ dabei seine Hand auf den Konferenztisch klatschen.

      »Das stimmt, Herr Pohlig«, warf der Sportredakteur diensteifrig ein … »ich habe den Kollegen Jablonski mehrfach darauf hingewiesen …«

      »Arschkriecher«, ließ sich Kampmann mit ruhiger, aber lauter Stimme vernehmen, holte ein zerknülltes, blau-weiß-gestreiftes Taschentuch aus der Anzugjacke und tupfte sich die Stirn ab.

      »Ich verbitte mir diesen Ton!« meldete sich Pohlig und blickte wie ein Löwenbändiger mit gefletschten Zähnen in die Runde. »Also, ich erwarte von Ihnen in Zukunft Themen, die in unser neues redaktionelles Konzept passen.«

      »Und