»Mondra!«, rief er. »Versuch Cog-Láar zu wecken. Und du, Ramoz, steh auf! Wir müssen in Bewegung bleiben.«
Mondra rollte sich auf die Seite. Als sie sich hochstützte, zitterten ihre Armmuskeln. Sie kroch auf allen vieren zu dem Báalol, rüttelte ihn.
Cog-Láar ächzte.
»Wach auf«, forderte sie. »Schnell!«
Danach drehte sie den Kopf, schaute Rhodan an. Er las ihn ihren Augen die Aufforderung, sich selbst um den Báalol zu kümmern. Sie kannten einander lange und intensiv genug, um in einer Situation wie dieser nicht viele Worte verlieren zu müssen.
Mondra erhob sich und wankte zu Ramoz, mit dem sie nach wie vor eine enge Beziehung verband – zumindest behauptete er das.
Zu sehen, wie sie ihm die Hand auf die Schulter legte und ihn leicht rüttelte, versetzte Rhodan einen Stich. Wie hat Nemo Partijan eben gesagt?, ging es ihm durch den Sinn. Als hätten wir sonst keine Probleme ...
Doch er vermochte das spontane Gefühl der Ablehung im ersten Moment nicht zu verdrängen. Er rief sich selbst zur Ordnung und setzte den Verstand über diesen verwirrenden, ablenkenden Impuls der Eifersucht, der alles andere als angebracht war. Weniger noch als Guckys müde Scherze.
Im selben Moment dröhnte die mentale Stimme wieder auf. Sie schnitt in seine Gedanken, als wolle sie sein Inneres zerreißen. Gucky ächzte; als starker Telepath empfand er sie womöglich als noch lauter und durchdringender.
»Ramoz! Ich warte auf deine Erklärung!«
Der Humanoide richtete sich aus seiner kauernden Haltung auf. Er blieb sitzen, allerdings streckte sich der Oberkörper. »Meine ... meine Flotte«, sagte er wieder, doch sein Gesicht, aus dem der bizarre Augendorn wie ein umgekehrter Pfeil ragte, blieb leer und ausdruckslos.
Rhodan bekam mehr und mehr den Eindruck, dass Ramoz mit dieser gesamten Situation nichts anzufangen wusste und völlig überfordert war. Also war es offenbar kein Schauspiel. Ramoz hatte sie wohl nicht nur ausgenutzt, um mit ihrer Hilfe in dieses mysteriöse Versteck zu gelangen.
Zwei Holos entstanden plötzlich nebeneinander.
Das eine zeigte wieder die Schleuse des unbekannten Schiffes, an das MIKRU-JON andockte: eine Nische von etwa zehn auf zehn Metern Durchmesser. Dieses äußerliche Detail war gut zu erkennen, doch beim Blick in die Nische versagte die Optik völlig.
Auch die Orter lieferten keinerlei Daten. Sie konnten keine Tiefe anmessen, und alles hinter der Öffnung blieb grau. Rhodan blinzelte verwirrt, als könnte er so den leichten Schwindel vertreiben, der ihm das Gleichgewicht raubte, sobald er in die Schleuse hineinzusehen versuchte. Doch es half nichts.
Das zweite Holo stammte offenbar nicht aus der Auswertung von MIKRU-JONS Sensoraufzeichnungen. Eine Gestalt schaute ihm daraus entgegen – genauer gesagt richtete sie ihren Blick nicht auf ihn, sondern auf Ramoz.
Das Abbild war zu verschwommen, um genaue Gesichtszüge erkennen zu können, doch die völlig ausgezehrte, knochige Grundform kam klar heraus. Das Wesen trug eine Kutte aus dunklem Stoff, die ihm bis zu den Füßen reichte. Eine große Kapuze bedeckte den dürren Schädel fast völlig.
Eine knochige, gichtig verkrümmte Hand hob sich, und der Stoff der Kutte raschelte; dieser Laut wurde als erster Ton übertragen. Hatte dieses Wesen zuvor auf mentalem Weg zu ihnen gesprochen?
Die ganze dürre, skelettartige Erscheinung erinnerte Rhodan an einen Oracca, wie er sie im Verzweifelten Widerstand kennengelernt hatte. Der Oracca Högborn Trumeri hatte von sich behauptet, der heimliche Anführer des Widerstands zu sein. Wer ihm nachfolgte, strebte danach, QIN SHI aktiv zu bekämpfen und nicht so zögerlich zu bleiben, wie es der Iothone Regius handhabte, der als offizieller Anführer des Widerstands fungierte. Was er von dieser Behauptung halten sollte, wusste Rhodan bis zum heutigen Tag nicht.
Allerdings waren Oracca Rhodans Kenntnis nach wesentlich kleiner als diese holografisch projizierte Gestalt. Rhodan hatte bislang nur Vertreter dieses Volkes getroffen, die etwa 1,20 Meter maßen. Aber dieses Volk, das vor langer Zeit beschlossen hatte, unsterblich zu werden, und die gemeinsame Vergeistigung anstrebte, schien noch für einige Überraschungen gut zu sein.
Außerdem konnte die Holografie eines Oracca wesentlich größer sein als das Original. Eine bildliche Darstellung ließ sich leicht manipulieren.
»Hörst du, Ramoz?«, rief der Kuttenträger. »Ich verlange, dass du antwortest! Sofort!«
Ramoz atmete schwer und richtete sich endlich zu voller Größe auf. Er wankte mit zögerlichen Schritten auf das Holo zu. »Ich ... ich bin hier.«
Wieder raschelte die Kutte, als sich die skelettartig dürre Gestalt umwandte. »Es ist gut, dass du gekommen bist. Nach all der Zeit.«
Rhodan beobachtete das Geschehen gespannt – wie würde Ramoz reagieren? Was wusste er?
Der hünenhafte Oracca musterte sein Gegenüber, der Blick blieb auf dem Augendorn hängen. Die verschrumpelten Augäpfel schienen fast aus den Höhlen kullern zu wollen. Die dürren Lippen, kaum mehr als blutleere Hautlappen, zogen sich über den Zähnen zurück. Die Musterung ging weiter, bis das holografische Wesen schließlich ein Seufzen von sich gab. »Du bist befleckt.«
»Ich ...« Ramoz brach ab, rang sichtlich nach Worten. »Wie auch immer, aber ich bin zurück.« Ein tiefer Atemzug, dann: »Zurück bei meiner Flotte.«
Rhodans Einschätzung nach klang er unsicher, sprach ins Leere. Er pokert.
»Du bist der Erste seit langer Zeit«, sagte der Oracca. »Die Alten sind uralt geworden.«
Ramoz schwieg.
Rhodan vermutete, dass sich die letzte, scheinbar zusammenhanglose Äußerung auf das Volk der Oracca bezog. Högborn Trumeri hatte von den Oracca als von Uralten gesprochen, Überbleibseln des Plans, als Volk die Unsterblichkeit zu erringen. Allerdings hatte er sich in dieser Hinsicht recht bedeckt gehalten. Vielleicht stand die Aussage des Kuttenträgers damit auch in keinem Zusammenhang; der Terraner konnte sich mit dieser Einschätzung ebenso gut täuschen.
»Es ist viel zu lange her«, fuhr der Oracca fort. »Wie hast du den Kalten Raum gefunden?«
Der Kalte Raum – eine überaus treffende Bezeichnung für dieses Versteck im All. Gebannt vom Auftauchen des Holos, hatte Rhodan es vernachlässigt, in Bewegung zu bleiben. Die Kälte stach wie mit Eisnadeln in Haut und Fleisch. Als er sich bewegte, schienen die Muskeln vor Schmerz zu zerreißen. »Kannst du etwas tun«, fragte er das Holo, »um uns zu ...«
»Schweig, Kretin!«, herrschte der Oracca ihn an, um mit sanfter Stimme fortzufahren: »Ramoz, wieso bist du mit ihm gekommen und mit den anderen? Das war ein Fehler!«
»Ich bin ... befleckt«, wiederholte der Humanoide die eigenartige Aussage des Oracca.
Befleckt durch den Augendorn?, fragte sich Rhodan. Oder durch unwürdige Begleiter? Möglicherweise auch auf eine völlig andere Art, die sie bislang nicht verstehen konnten. Durch fehlende Erinnerung etwa.
»Noch einmal – wie hast du den Kalten Raum gefunden?«
Ramoz schwieg. Ihm blieb nichts anderes übrig; er wusste keine Antwort.
Ennerhahl, der mit seiner Lichtzelle außerhalb des Verstecks geblieben war, hatte diesen Kalten Raum als eigenständiges Miniaturuniversum beschrieben. Seiner Einschätzung nach war es entstanden, weil sich eine der unzähligen Feldlinien des natürlichen Psionischen Netzes aufgebläht und auf diese Weise einen Raum neben dem Raum geschaffen hatte.
Es ließ sich grundsätzlich mit einer Raum-Zeit-Nische vergleichen, die man auf normalem Weg nicht erreichen konnte, freilich stellte dieses Miniaturuniversum ein wesentlich komplexeres Phänomen dar. Selbst Ennerhahl konnte mit all seinen »Mitteln und Möglichkeiten«, die er so gern unverbindlich in Gespräche einstreute, nicht in das Versteck eindringen.
Rhodan