Heinrich Mann
Im Schlaraffenland
Ein Roman unter feinen Leuten
Heinrich Mann
Im Schlaraffenland
Ein Roman unter feinen Leuten
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2021
EV: Albert Langen, München, 1900
1. Auflage, ISBN 978-3-962818-35-7
null-papier.de/710
null-papier.de/katalog
Inhaltsverzeichnis
Anmerkungen zur Bearbeitung
I. Der Gumplacher Schulmeister
III. Die deutsche Geisteskultur
V. Ein demokratischer Adel
VI. Die Mittel, mit denen man was wird
IX. Politik und Volkswirtschaft im Schlaraffenland
X. Das Vergnügen, die Menschen zu durchschauen
XII. Die leben, die genießen!
XVI. Das Bedürfnis nach Reinheit
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Ihr
Jürgen Schulze
Anmerkungen zur Bearbeitung
Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert.
Die Orthografie wurde der heutigen Schreibweise behutsam angeglichen.
Grundlage dieser Veröffentlichungen bilden folgende Ausgaben:
Albert Langen, München, 1900
Verlag Kultur und Fortschritt, 1962
Rom, Januar 1898 – Riva, März 1900
I. Der Gumplacher Schulmeister
Im Winter 1893 arbeitete Andreas. Er war fleißig wie ein armer Student, der nicht in alle Ewigkeit auf den Wechsel von zu Hause rechnen kann. Als es aber Frühling ward, ging eine Veränderung mit ihm vor. Während der Osterferien, die er aus Mangel an Reisegeld in Berlin verbrachte, musste er immerfort an die Freunde denken und an die Fahrten, den Rhein zu Berge. Ein ausgiebiger Vorrat von des Vaters prickelndem Federweißen befand sich im Boot.
Das Heimweh veranlasste den jungen Mann zum Nachdenken. Er überlegte sich die große Zahl der Geschwister und die schlechte Ernte des vorigen Jahres. Nun, mit dem Weinberg, der nur noch alle sieben Jahre einmal ordentlich trug, würde er nichts mehr zu tun haben. Sein zukünftiges Erbteil ging bei seinem Studium im Voraus drauf. Merkwürdigerweise schloss Andreas hieraus nicht, dass er umso schneller auf das Examen loszuarbeiten habe, sondern dass seine Anstrengungen gar zu wenig lohnend seien. Als mittelloser Schulamtskandidat war alles, was er tun konnte: nach Gumplach zurückkehren und auf eine Anstellung am Progymnasium warten. War das eine Zukunft für ihn, Andreas Zumsee, dessen Talent, nach Ansicht aller, zu großen Hoffnungen berechtigt hatte? Mit achtzehn Jahren hatte er Gedichte gemacht, mit denen seine Freunde und sogar er selbst vollkommen zufrieden gewesen waren. Seitdem hatte der »Gumplacher Anzeiger« eine Novelle von ihm gebracht, die ihm die Gunst des Mäzens von Gumplach eingetragen hatte. Es war der alte Herr, den es in jeder kleinen Stadt gibt, und der bei seinen Mitbürgern als harmloser Sonderling gilt, weil er sich mit Literatur befasst.
Am Ostersonntag besuchte Andreas das Königliche Schauspielhaus, um den ersten Teil des Faust zu sehen. Auf der Galerie zog er sich hinter einen Pfeiler zurück. Er hatte keinen Bekannten in Berlin, schämte sich aber seines billigen Platzes. Seine Eitelkeit legte ihm Opfer auf. Im Zwischenakt stieg er, nicht weil es ihm Freude machte, sondern weil die Selbstachtung es ihm gebot, ins Parkett hinab und drängte sich auf dem Korridor in der guten Gesellschaft umher.
Einmal staute sich der Zug der Wandelnden, weil viele gaffend und horchend zwei bedeutend aussehende Herren umdrängten. Den größeren von ihnen erkannte Andreas sofort wieder; es war der Professor Schwenke, ein Akademiker, der sich eine Ausnahmestellung verschafft hatte dadurch, dass er alles Moderne protegierte. Er trug eine Künstlerlocke auf der Stirn, hielt die Hände in den Taschen seines hellen Jacketts und hatte so große Furcht, pedantisch zu erscheinen, dass er beim Sprechen den Oberkörper stets in einem burschikosen Schwunge erhielt. Sein Gegenüber war einen Kopf kleiner, bartlos, und sein borstiges schwarzes Haar hing über einem Halskragen von zweifelhafter Weiße. Er hatte eine Adlernase und gelblederne Gesichtshaut, und sein zu weiter Gehrock reichte bis unter die Knie hinab. Andreas war sehr begierig zu wissen, wer diese Persönlichkeit sei, die äußerlich zwischen Clergyman und Konzertvirtuosen ungefähr die Mitte hielt. Ein Herr, der von fern dem Kleinen winkte, rief:
»Herr Doktor Abell!«
»Sollte das Abell sein?« dachte Andreas, »der Kritiker des ›Nachtkurier‹?«
Er konnte es kaum fassen, dass man die großen