Frederick Marryat
Seekadett Jack Freimut
Roman
Für die Jugend bearbeitet
August Hermann
Saga
Erstes Kapitel.
Jugendzeit.
Nikodemus Freimut war ein vornehmer Mann, der in Hampshire in recht guten Verhältnissen lebte. Er würde auch überall beliebt gewesen sein, wenn er nicht immer seinen Kopf hätte durchsetzen und seinen Ansichten bis aufs Tüpfelchen über dem i Geltung verschaffen wollen. Dadurch kam er oft mit anderen Leuten, die nicht mit ihm übereinstimmten, in Streit. Am meisten lag er mit anderen deshalb in Fehde, weil er seine Meinung von den Menschenrechten und von der Gleichheit derselben mit Heftigkeit verfocht. Da die Männer, welche Herrn Freimut besuchten, durch Fleiss zu Vermögen gekommen waren und das Erworbene nicht mit denen teilen wollten, die durch eigene Schuld und Unfähigkeit arm blieben, so hielten sie es mehr mit dem guten Portwein des Herrn Freimut, als mit seinen Beweisgründen. Sie dachten aber wie viele andere: man muss das Leben eben nehmen, wie es ist, nicht, wie es sein könnte.
Leider übertrug Vater Freimut seine mitunter recht bedenklichen Ansichten auch auf seinen einzigen Sohn Jack. Und das war für den Knaben, der die Folgen noch nicht beurteilen konnte, schädlich, weil der durch seine Mutter verzogene Sohn die Worte des Vaters falsch auslegte und dadurch seinen Eltern und anderen Leuten viel Ärger bereitete. Das erkannte auch Dr. Middleton, ein feinfühlender Mann, der die Familie Freimut öfters besuchte. Deshalb richtete Dr. Middleton eines Tages an Herrn Freimut die Frage:
„Haben Sie nicht die Absicht, den Jungen in die Schule zu schicken?“
Herr Freimut schlug seine Beine übereinander und faltete die Hände auf den Knieen, wie er das immer that, wenn er einen Gegenstand zu verhandeln, oder „einen Punkt zu beleuchten“ begann; dann sagte er:
„Ich will ihn alles selbst lehren!“
„Ich zweifle keineswegs an Ihrer Fähigkeit, Mr. Freimut“, antwortete Dr. Middleton, „aber unglücklicherweise werden Sie dabei auf Schwierigkeiten stossen, die Sie nimmermehr beseitigen können. Entschuldigen Sie, ich weiss, was Sie zu leisten im stande sind, und der Junge würde in der That mit einem solchen Lehrmeister gute Fortschritte machen, aber um offen zu reden, Sie müssen ebensowohl als ich bedenken, dass die mütterliche Zärtlichkeit stets ein Hindernis für Ihre Pläne wird. Jack ist jetzt schon so verzogen durch sie, dass er nicht mehr gehorchen mag; ohne Gehorsam können Sie ihm aber nichts einprägen!“
„Ich gebe zu, mein lieber Sir, dass allerdings in diesem Punkte eine Schwierigkeit liegt; aber dann muss eben väterlicher Ernst über mütterliche Schwäche den Sieg davontragen.“
„Dürfte ich fragen, wie? Mr. Freimut; denn das scheint mir unmöglich.“
„Unmöglich? Warum?“ fragte Mr. Freimut.
„Dass Sie ein Mittel finden würden, durch welches Sie die nötige Gewalt über den Knaben erlangen könnten, bezweifle ich nicht, aber“ — so fuhr Dr. Middleton fort — „was kann die Folge davon sein? Der Junge wird seine Mutter als seine Beschützerin und Sie als seinen Tyrannen betrachten; er wird eine Abneigung gegen Sie hegen und bei dieser Abneigung weder Achtung noch Aufmerksamkeit für Ihre Lehren an den Tag legen, wenn er einmal in das Alter kommt, dieselben zu verstehen.“
„Mir scheint“, antwortete Mr. Freimut nach einer kurzen Pause, „was Sie sagen, verdiente alle Beachtung. Ich gebe zu, dass infolge der unverständigen Nachgiebigkeit der Mutter Jack widerspenstig ist und mir jetzt schon nicht gehorchen will.“
Die Folge dieser Unterredung war, dass Jack einem Freunde Middletons, dem Schulmann Bonnycastle, zur Ausbildung übergeben wurde. Herr Bonnycastle war zwar ein strenger, aber auch ein sehr einsichtsvoller Mann. Er erkannte alsbald die Fähigkeiten seiner Zöglinge und strengte sie danach an; nur der Faulenzer, der „singen konnt’ und wollt’ nicht singen“, fand keine Gnade. So kam es, dass er wohl von seinen Schülern gefürchtet wurde, solange sie unter seiner Zucht standen, dass sie ihn aber auch unwandelbar liebten und später fortwährend seine Freunde blieben. Herr Bonnycastle bemerkte mit einem Blicke, dass es nutzlos sein würde, unserem Helden gute Worte zu geben, und dass Furcht das einzige Mittel sei, ihn im Zaume zu halten. Hier konnte nur Strenge und Entschiedenheit zum Ziel führen!
Herr Bonnycastle sah, dass er den widerspenstigen Jack durch eine einzige Stunde wohlangebrachter Strenge gebändigt hatte; er übergab ihn deshalb den Unterlehrern der Schule, und da diese gleichfalls die Macht hatten, den nötigen Sporn anzuwenden, so wurde unser Hänschen bald ein ganz folgsamer Junge. Er machte grosse Fortschritte, wobei ihm seine guten, natürlichen Anlagen zu statten kamen. Herr Freimut rieb sich allemal die Hände, wenn er den Doktor sah, und freute sich über den Jungen. Jede Ferienzeit benutzte der Vater dazu, seinem Sohne die Lehre von der Gleichheit der Menschenrechte einzuprägen. Hänschen schien zwar den Vorträgen seines Vaters wenig Aufmerksamkeit zu schenken, aber er bewies augenscheinlich, dass sie bei ihm nicht gerade weggeworfen waren.
So wurde unser Jack erzogen, bis er sechzehn Jahre alt war, um welche Zeit er als ein starker, gut aussehender Bursche mit einem tüchtigen Mundwerke auftrat; in der That, wenn es ihm gerade behagte und seinen Absichten entsprach, so konnte er seinen Vater, wie man so sagt, zum Zimmer hinausschwatzen. Und wenn es dazu kam, einen „Punkt zu beleuchten“, so konnte er es mit jedermann aufnehmen. Mit seinem „Punktbeleuchten“ fand er gar kein Ende, obgleich seine Beweisgründe selten Stich hielten. Er machte oft die Erfahrung, dass die Anwendung seiner Gleichheitsgrundsätze im praktischen Leben ihm Nachteile brachten, deshalb sagte er eines Tages zu seinem Vater:
„Bei Befolgung Ihrer Philosophie durch Wort und Beispiel bin ich während des kurzen Zeitraumes von zwei Tagen der Fische, die ich fing, meiner Angelrute und der Schnur beraubt, in einen Fischteich hineingestürzt, durch einen Bulldogg vor Schrecken ganz ausser mir gebracht, von einem Stier beinahe durchbohrt, von den Bienen bis zum Tode gestochen worden und zweimal in einen Brunnen gestürzt. Wenn sich nun dieses alles in zwei Tagen ereignete, welche Leiden habe ich von einem ganzen Jahre zu erwarten? Es kommt mir deshalb sehr unklug vor, fernere Versuche zur Belehrung zu machen, da die Leute vom Lande durchaus entschlossen zu sein scheinen, keinerlei Vernunft- und Beweisgründe anzuhören. Dagegen ist mir eingefallen, dass, wenn auch die ganze Erde unter wenige verteilt wurde, doch wenigstens das Wasser das Gemeingut aller ist. Ich habe demnach nur auf dem Ozean einige Aussicht, jene Grundsätze von Gleichheit und Menschenrechten zu finden, und habe deshalb den Entschluss gefasst, zur See zu gehen und so viel als möglich unsere Ansichten zu verbreiten.“
Der Vater wollte zwar nichts davon wissen; endlich gab er aber doch seine Zustimmung und sagte: „Jack, du sollst, wenn du es wünschest, zur See gehen.“
„Ganz natürlich, und so ist’s in Ordnung, Vater“, entgegnete Jack mit der Miene eines Siegers; „es ist aber die Frage: mit wem? Dabei fällt mir nun ein, dass Kapitän Wilson jetzt ein Schiff erhalten hat, ich wünsche sehr, mit ihm zu segeln.“
„Ich will ihm schreiben“, sagte Freimut tiefbetrübt.
Damit war die Sache abgemacht.
Die Antwort des Kapitäns Wilson lautete zustimmend; er versprach Jack wie seinen eigenen Sohn zu behandeln.
Unser Held bestieg seines Vaters Pferd und ritt zu Herrn Bonnycastle.
„Ich will zur See gehen, Herr Bonnycastle.“
„Das ist das Rechte für Sie“, erwiderte dieser.
Unser Held begab sich zu Dr. Middleton.
„Ich will zur See gehen, Doktor Middleton.“
„Das ist das Rechte für Sie“, sagte auch dieser.
Mutter Freimut wollte zwar nicht ihre Zustimmung geben. Nachdem es ihr aber überzeugend dargelegt war, dass es für ihren Sohn wirklich das Rechte sei, zur See zu gehen, fügte sie sich dem Unabänderlichen: Jack ging zur See!
Zweites Kapitel.
Eintritt als Seekadett.