Wer baut die Bahn?. Rudolf Stratz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rudolf Stratz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711507360
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      Rudolf Stratz

      Wer baut die Bahn?

      Saga

      Wer baut die Bahn?Coverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1934, 2019 Rudolf Stratz und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711507360

      1. Ebook-Auflage, 2019

      Format: EPUB 2.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

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      Vorwort

      Als junger aktiver deutscher Offizier war der Verfasser zur Zeit dieses Romans, in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, nach der Türkei beurlaubt und lernte das Reich Abd ul Hamids in Europa und Asien kennen. Die Umwelt dieses Werkes ist von ihm selbst gesehen und erlebt.

      1

      Auf hohem Hügel über Konstantinopel, vergittert, halbstundenweit ummauert, mit kriegerisch bewachten Toren, lag lauernd, wie eine giftige, argwöhnische Kreuzspinne im Netz, der Iildis-Kiosk, aus dessen blutumwittertem Gewebe Abd ul Hamid der Zweite, Grosssultan der Türkei, Herr in drei Erdteilen, sich in diesen achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts seit langem mit keinem Schritt mehr in die Aussenwelt hinauswagte, und darunter, flammend überblaut, sonnenvergoldet, frühlingsgrün das silberne Märchen des Bosporus mit seinen unzähligen weissen Palästen, Landsitzen, Dörfern, Segeln, seinen grauen Schlössern und schwarzen Zypressenhainen, und drüben, sonnenverschwimmend, wie eine geisterhafte Luftspiegelung aus Tausendundeiner Nacht, die Hunderte von Moscheenkuppeln und Gebettürmen, die Tausende von flachen Dächern Stambuls.

      Vor dem Marmorportal des riesigen Renaissancepalastes stand der nach dem Sultan mächtigste Mann des Osmanischen Reiches, Seine Exzellenz der Obereunuch, Aufseher des grossherrlichen Harems mit Hunderten der schönsten Weiber der Welt in dem blumenumblühten Seitenpalais neben dem Sternenkiosk. Es war ein walfischbäuchiges, nachtschwarzes afrikanisches Ungetüm in schwarzem Rock, den hellroten Tarbusch auf dem besorgten Wollhaupt. Er führte feierlich zum Abschied die Rechte an Brust und Stirne.

      Vor ihm setzte mit gleichem Gruss Schükri Pascha den Fuss in den Bügel der Vollblutstute, Schükri Pascha, Marschall des Reichs, Sieger im Glauben, Löwe des letzten Russenkrieges, den Ehrensäbel eines Günstlings des Sultans an der Seite, auf der Brust den Nischan-i-Jftichar, den Orden des Ruhms. Auch sein bärtiges, kluges und würdevolles Antlitz war sehr ernst, als sich die beiden Exzellenzen, der Marschall und der Eunuch, freundschaftlich trennten.

      „Baga-Ban! Augen rechts!“ kommandierte mit geller Fistelstimme der Rittmeister der zwischen dem Jildis-Kiosk und dem Harem aufgerittenen Wache von braunen tripolitanischen Spahis in langen, blutroten, halb die Schimmel deckenden Henkersmänteln. Er war ein weisser Eunuch. Finster das bleiche, bartlose Eulengesicht unter dem purpurnen Turban.

      „Ihm gefallen die neuen deutschen Kommandos statt der französischen nicht!“ sagte lachend, neben dem Marschall reitend, sein Neffe und Adjutant, der Major Hünif, in dem hellblauen, schwarz ausgeschlagenen Rock, den taubengrauen Hosen, der hohen schwarzen Mütze des türkischen Reiterregiments Ertogrul. „Er ist nicht der einzige Missvergnügte im Heer!“

      Und nach einer Weile:

      „Wer wie ich bei den preussischen Gardeulanen gedient hat, Moabit und Mekka kennt, Deutsch spricht — aber belehre einmal unsere asiatischen Offiziere, die kaum lesen und schreiben können!“

      Oheim und Neffe ritten, das Gefolge hinter sich, schweigend durch den riesigen, wie eine Festung gegen die Aussenwelt vermauerten Park des Jildis-Kiosk mit seinen vielen kleineren, überall zwischen den Platanen und Agaven zerstreuten Palais, Pavillons, Theatern, Gewächshäusern, Marställen, Museen.

      Und es war, als verwandelten sich aus den Geheimnissen des totenstillen Sternenkiosks und seiner rosenumdufteten Harems daneben die Odalisken in die schimmernden Goldfasanen, die vor den Reitern über den Kiesweg liefen, und der gigantische afrikanische Obereunuch in einen der Affen, die in den Zweigen der Lebensbäume spielten, und der weisse, bartlose Rittmeister der Afrikanischen Spahis in die gefleckte Pantherkatze dort hinter den Gittern.

      Scheckige Axishirsche hoben die Schaufeln. Dromedare weideten zwischen Springbrunnen. Papageien kletterten in der Zypressen. Das Kreischen, Flattern, Flüchten dieser Kreatur beim Anblick fremder Gesichter sollte den einsamen Herrn der islamischen Welt dort oben hinter den dicken, eisernen Zuchthausgittern seiner vielhundert Fenster rechtzeitig vor einem Überfall seiner Feinde warnen.

      Der Marschall Schükri wandte im Reiten noch einmal das Haupt mit dem dunkelroten Fes eines Beamten des Säbels nach dem Jildis-Kiosk zurück — nach dem unheimlichen Labyrinth voll von Tausenden von Schranzen, Derwischen, Scharfrichtern, das kaum ein einziger Sterblicher in seinem ganzen Umfang kannte. Denn jedem Würdenträger, auch dem höchsten, war nur ein kleiner Teil dieser Gänge, Treppen, Säle, Höfe zur Aufsicht zugewiesen. Bei jeder Neugier nach den Nebenräumen kitzelte schon die grünseidene Schnur den Hals.

      „Der Grossherr wechselt aus Furcht vor Mördern jetzt jede Nacht dreimal das Schlafgemach!“ sprach der Marschall Schükri gedämpft zu seinem Neffen auf französisch. Er trug, noch aus seiner Jugend, die Krimmedaille. Er hatte damals, kaum sechzehnjährig, mit den Franzosen Schulter an Schulter vor Sebastopol gekämpft. Er hatte dann lange Jahre an der türkischen Gesandtschaft in Paris gewirkt. Sein Herz hing an Frankreich.

      „Fuad Pascha ist aus seiner Verbannung nach Damaskus entflohen und wird, wie ich ihn kenne, eine neue Verschwörung anzetteln!“ sprach er sorgenvoll nach einer Weile. „Ich war damals gleich dafür, ihn zu erdrosseln. Aber der Padischah war von ungewohnter Milde gegen seinen verräterischen Hofintendanten!“

      Von Tschadir-Kiosk, inmitten der Jildisgärten, an dem die beiden hielten, öffnete sich weit der Blick über Stadt und Meer. Überall ragten an beherrschenden Stellen mit ganz neuen Mauern und Dächern die festungsähnlichen Kasernen Abd ul Hamids. Der Major Hünif wies auf die riesigen Exerzierplätze der Infanterie und Artillerie, die den grossen Friedhof von Pera umschlossen, auf die Schiessstände der Marine weiter hinten, die Kastelle am Goldenen Horn und drüben, jenseits des Bosporus, bei Skutari, die stadtgrossen Lager der Garde.

      „Aber nicht alle Truppen sind sicher!“ Dumpf die Stimme des Marschalls. „Es gärt bei den Arnauten. In der Linie. Bei den Irregulären!“

      „Und woher das Geld zu einem Handstreich? Wer will den Jildis-Kiosk bestechen?“

      „Wir haben sichere Nachricht, dass unter den Hunden, den Armeniern, sich der Geheimbund ,Gregor der Erleuchter’ wieder regt! Selbst dieser Dreck des Teufels, die Levantiner, wühlen im Verborgenen!“

      „Und doch . . .“ Der Sieger im Glauben brach ab. Plötzlich überschattete die Resignation des Morgenlandes sorgenschwer die mühsam beherrschte Unruhe seiner Züge. „Wie lange kann es hier nach alter Art weitergehen?“

      Dort drüben, vor seinen Augen, flimmerte Stambul, die Märchenstadt, in Blau und Gold von Sonne, Himmel und Meer. Von Hunderten von Gebettürmen riefen weissgekleidet die Muezzin. Auf einem weissen Meer von Häussern wölbten sich wie riesige Inseln die Moscheenkuppeln. Ein ungeheures Brausen der Basare und Gassen, ein Heulen der Schiffssirenen, Hundegebell und Eselgeschrei und Glockengebimmel vom Hals der Dromedare entstieg der fast unendlichen, viele Stunden weit in Europa und Asien hingelagerten Stadt. Das war alles wie einst.

      Aber da, wo von Stambul die Spitze des alten, jetzt verlassenen Serails in die blauen Fluten vorsprang — in diesem Mittelalter grauer Byzantinermauern und alttürkischer Palastruinen und verwahrloster einstiger Haremsgärten — da schwankte plötzlich in der Ferne eine der turmhohen, Jahrhunderte alten Zypressen, die das Ufer säumten. Sie kippte um. Sie war nicht mehr da.

      „Sie fällen die Bäume des Glaubens!“ sprach der Marschall mehr zu sich als zu seinem Neffen. „Sie machen Platz für