Peregrina. Utta Keppler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Utta Keppler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711730515
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war nicht nach Schönfärberei zumute. »Sie kam als kleines mageres Mädchen mit ihrer Mutter Johanna, der Fürstin Anhalt, nach Moskau«, sagte er, als spreche er eine Schullektion vor sich hin, und unterbrach sich gleich:

      »Aber das wissen Sie ja alles … auch was dann war – der Zar« (er sagte nicht »mein Großvater«) »der Zar hat sie nicht angerührt, Sie wissen das auch, man wollte den Thronfolger von ihr, man zwang den Zaren nach Paris zu einem jüdischen Arzt, der verschwiegen war – den hat man dann erwürgen lassen, er schwamm in der Seine.« Er stockte und fing an zu zittern. Schweigend ließ sie ihn stammeln und stoßend schluchzen und schwieg beobachtend, bis er sich noch mehr verlor. Dann sagte sie sachlich: »Man meint auch, es habe ihm geholfen, dem Zaren.«

      »Danach wurde der Vater geboren«, Alexander sagte das fragend und sah die Krüdener dabei an. Die nickte, obwohl sie genau wußte, was er jetzt fürchtete: daß sie den Grafen Saltykow nenne, aus ältestem russischen Adel, oder einen anderen Liebhaber, den die Großmutter gehabt und dem sein Vater das Leben verdanke. »Aber der Sohn glich doch dem Zaren, Peter dem Dritten!« »Sicher!« bestätigte die Baronin, »und er war Ihr Vater, Majestät.«

      Es war eine Zeitlang still, und der Adjudant, dem das nicht geheuer war, steckte lautlos den Kopf durch den Türspalt, den er vorsichtshalber offen gelassen hatte. Er sah, daß der Zar in seinem Morgenmantel – der Zobel schimmerte goldfiedrig auf dem Boden – vor der Baronin in die Knie fiel und heiser herausstieß: »Ich danke Ihnen, ich danke Ihnen dafür! Ich glaube Ihnen!«

      Der Adjudant sah auch, daß die Krüdener den Kopf senkte und im gleichen Augenblick etwas wie ein Triumphlächeln um ihren Mund erschien, ehe ihr Gesicht ihm aus dem Blickfeld verschwand. Sie hatte den richtigen Ton, den rechten Schlüssel gefunden zum Gemüt dieses gescheiten, gelehrten und doch kindlichverletzlichen Menschen.

      Sie fuhr also fort, gute Züge im Wesen des armen Paul Petrowitsch zu »finden«, und in der Überzeugung, damit eine christliche Pflicht zu erfüllen, sagte sie etwas über die schwierige und fast unlösbare Aufgabe, ein kaum überschaubares Riesenreich zu regieren, halb verwilderte Bauern, stumpfe, geplagte Leibeigene, noch gefangen in religiösem Zwielicht, und darüber, aufgepfropft, eine intrigante, europäisch gerichtete Hofgesellschaft … sie sagte das ganz offen und beobachtete beruhigt, daß Alexander nickte.

      »Peter der Große«, sagte er, »auch seine energische Tochter Elisabeth … die haben doch vieles erreicht, viel Kultur hereingeschafft – es ist so viel gute Düngung in den bereiten Boden gefallen …«

      »Gewiß, Majestät, aber nur auf die Oberfläche, die Krume, nicht in die Tiefe und nicht breit genug!«

      »Der Vater« – er erschrak selbst, daß er ihn so nannte – »der Vater hat oft so unvorhersehbar und manchmal gar widersinnig gehandelt und befohlen – der Vater …« Er ließ sich lethargisch sinken, er stöhnte halblaut.

      Der Adjudant schlich zur Treppe; es kam ihm selbst taktlos vor, weiter zu horchen: Weder eine Liebelei noch eine Gefahr für das Leben des Herrschers drohte da drinnen, höchstens Enthüllungen, die ihn, den Lauscher belasten konnten.

      Alexander hatte sich wieder gefangen:

      »Wir sondieren ganz gründlich, was ich vorfand …«, stellte er nüchtern fest, »ich muß aber wissen, wo ich weiterbauen kann und wie … Fragen Sie Gott, Baronin, mit mir!«

      Das »Amt« der Frau von Krüdener war nicht gerade ein leichtes. Sie fühlte sich als Gottbeauftragte mit der Weisung, die Herrscher Europas zu einem religiös beflügelten Bunde gegen Napoleon zu bewegen, was durchaus in der Luft lag. Und sie erkannte deutlich, daß solches Unternehmen nicht ohne hymnische Begeisterung und göttliche Segnungen zu erreichen wäre, vor allem, da die Völker den Regierenden folgen sollten; und daß in der mystischen Einheit von Fürstenauftrag und Gottesbefehl, in der magischen Begnadung der Herrscher, die stärkste Triebkraft für die Gefolgschaft der Völker lag.

      Der alte französische Feudaladel hatte ihre ganze Sympathie, schon aus ihrer Pariser Zeit, wo sie in den ehemaligen Hofkreisen verkehrt hatte, und die Feindschaft gegen den Usurpator, die auch England teilte, schürte sie geschickt mit Hinweisen auf Napoleons Rationalismus und Ungläubigkeit. Sie spürte, wie tief der Zar in eine gefühlige, fast unkontrollierte Schwärmerei versunken war, aber als er – zwiespältig aus Erbgut und Erziehung – dennoch vernünftige, nüchterne Antworten gab, wurde ihr klar, daß nur ein schwerer Schock, ein brutaler Schlag, ihn in ihre Richtung zwingen werde … Sie hatte sich damals mit sanfter Miene und dem Versprechen verabschiedet, mit inbrünstigen Gebeten die gottgewollte Staatsführung zu erforschen und in ständiger Verbindung mit ihm, dem Auserwählten, Begnadeten, zu bleiben.

      Danach zog sie weiter, Anhänger werbend, Brot verteilend, predigend und mit Visionen und hysterischen Szenen ihre »Gottesgesandtschaft« beweisend.

      Inzwischen hatte ihr Wanderzug sie über vielerlei deutsche Gegenden bis in die Schweiz geführt, und zwei Jahre nach der Begegnung mit Alexander war sie nach Schaffhausen gelangt …

      Die Szene zwischen Zar Alexander und Frau von Krüdener hatte allerdings noch ein Nachspiel gehabt, von dem man freilich in Mörikes Kreis wenig und nichts Zuverlässiges erfuhr: Frau von Krüdener, hieß es da, sei dem Zaren nachgereist, wie das in ihrer Art lag, der Art einer unsteten Prophetin, die trotzdem ganz gezielt und zweckbewußt ihre Routen festlegte; sie habe Alexander irgendwo im Thüringischen erreicht und sich mit viel Energie und Dringlichkeit zu ihm durchgezwängt.

      Denn sie habe, ließ sie vorab verkünden, eine unwiderbringliche Möglichkeit gefunden, um ein für ihn entscheidendes Experiment zustande zu bringen.

      So geheimnisvoll angesagt, gelangte sie endlich zum Zaren. Es müsse Nacht sein, ließ sie melden, und dazu eine bestimmte.

      Mit solchen Voraussagen, wie sie ihr jetzt zu Gebote stünden, könne und müsse sie dem Zaren den Sieg, den unabwendlichen Sieg über den Korsen herbeizwingen …

      Alexander, zunächst nicht mehr geneigt auf sie einzugehen, da die Kämpfe zwischen seinen Truppen und dem französischen Heer sich schon durch Polen zogen, Grodno von Napoleon erobert war (wo hernach Jérôme Bonaparte in gewohnter Manier tagelang Siege feierte, die nicht ihm zu verdanken waren) – Alexander war sorgenvoll genug, trotz seiner Anfangserfolge.

      Aber ein Experiment? Ein mystisches Orakel? Einwirkung überirdischer Kräfte? – Er hoffte, einen Blick in die Zukunft zu tun, um so mehr, als er – wie viele – den Erzfeind als einen Dämon sah, dem nicht bloß greifbare, berechenbare Mächte beistanden …

      Es habe dann, ging das Gerücht, eine nächtliche Begegnung gegeben, bei der die Krüdener mit inständigen Gebeten und im fast dunklen Raum ihr Flehen an den Geist des großen Peter gerichtet, ihn knieend beschworen habe, dem Nachkommen beizustehen.

      Und danach sei im Dunst und Dampf entzündeten Weihrauchs eine mächtige Hünengestalt aufgetaucht und habe dem erschrockenen Zaren etwas von tödlicher Weite und Steppentod und Opfer des heiligen Moskau, von Schneewüste und Sieg durch die menschensaugende Leere und das absolute Vakuum zugeraunt – und ihn unverhofft verlassen. Ob der »große Peter« ein von der Baronin Krüdener gedungener Schauspieler war, fragte nachher keiner.

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