Peregrina. Utta Keppler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Utta Keppler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711730515
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nicht ein Name das Urteil nach sich? Er bannt, umgrenzt, behütet aber auch, ein edler Name schützt, schreckt Böses ab; ein häßlicher macht schaudern, er ekelt einen an; aber das Namenlose ist das Nebulose, unheimlich.«

      Maria Meyer brauchte einen Namen – sie war so gegenwärtig und so fern, sie war der Grund – wie eine Tonart im Lied – und lebte in allen Klängen, Farben, Bewegungen und Linien, im Birkengespinst, in den Zirruswolken, im quellenden Gras, zwischen den gegeneinanderwehenden Anemonen, und wo es dunkler wurde, erdig, modernd, verworren, zwischen den Steinplatten am Wald, wo irgendetwas mühselig vielfüßig scharrte und grub, ein Käfer, vielleicht etwas größeres, Maus und Maulwurf, Tiere aus dem unteren Bereich – da war sie auch …

      Sie wanderte hier und dort, verschwand und erschien, scheinend, schillernd, und unter ihren Berührungen wurde vieles still und vieles lahm, gelähmt, starr … Mörike versuchte, sie in ein Bild zu fassen, das hatte ihm immer geholfen, das Festlegen, Bannen, Benennen, Umreißen, Einzäumen – das Wesen der Sprache war ja ein Heilbann, der das Unerklärliche ins Licht zwang und zum Stillstehen brachte.

      Aber sie zog vorbei, weithin … Einmal sagte er sich vor: Ich habe den Namen gefunden: Peregrina: Die Wandernde, Pilgernde, Schweifende – Peregrina.

      Als er ihr das Wort sagte, schwieg sie zuerst, faltete die Hände ineinander, Flechtwerk der schmalen Finger, und summte dann vor sich hin.

      »Also heiß’ ich so?«

      Sie fragte nach der Bedeutung des Wortes, das sie zuerst nur als Klang und Schwingung aufgenommen hatte, und er erklärte es ihr.

      Später, in ihrer Kammer im Wirtshaus unter dem Dach, wo es jetzt heiß war und das Gescharre der Mäuse in den Balken ihr den Schlaf störte, dachte sie darüber nach: Wandernde, Ziehende, und immer unruhig. Warum strolch’ ich so umeinander, dachte sie – und Schaffhausen fiel ihr ein, das immer gegenwärtige, wo man vielleicht doch hätte zur Ruhe kommen können, aber sie merkte gleich, daß sie das nicht einmal wollte: Dahin kann man nicht mehr zurück, wo man verjagt und verspottet worden ist – und wollte es doch.

      Sie kamen dann wieder auf ihren Namen zu sprechen, auf den zweiten, dichterischen, auf den »Übernamen«, wie sie es nannte, auf »Peregrina«.

      Sie wußte durch die gescheiten Leute, mit denen sie zu tun gehabt, irgendetwas vom Wortstamm und »Abstamm« des Wortes und deutete es in ihrem Sinn: »Peregrina sagst du, und pereat meinst du – als wolltest du mich verderben …«

      Entsetzt unterbrach er sie, und hastig versprach sie, nie mehr solche Dinge auch nur zu denken; er sei, sagte er, so rein ehrlich und so offen und so auf’s ewig Bleiben gestellt, wie er nur könnte. Ein reiner Kristall, ein blanker Spiegel sei in ihm, und er halte ihn unbefleckt … das müsse sie wissen und glauben, auch wenn das Mißtrauen von früher, aus einer nicht mehr bewußten alten Zeit, immer wieder in ihr aufsteige.

      Die Dunkle, die Wissende, die Geheime, die immer irgendwo war und immer wieder irgendwohin schwand, sie mußte gehalten, gebannt, gebunden werden in einem unerhörten, umgreifenden Bann; und jede Zärtlichkeit, jede Umarmung, mußte sie wandeln und ihm anverwandeln, daß sie nicht mehr zauberisch entschwinden, elfenhaft entschweben konnte.

      Er horchte mit dem feinsten Gehör und tastete mit feinhäutigem Gespür nach Anzeichen, und was ihm leise aus dem Freundeskreis und danach, auf sein Drängen, von ihr selber angedeutet wurde, das griff er auf, zuckend verletzt und doch bemüht, es einzuhüllen, ungeprüft wegzuschieben, um nur tiefer in den Traum zu tauchen.

      Maria, die Peregrina, quälte ihn, ohne es zu wollen, und doch im Unbewußten ganz zielstrebig: Was in ihr zerstört und verbogen war, weil man das Bild ihrer Mutter verfärbt und verkrüppelt hatte, und was tägliche Demütigungen gebrochen, das hatte ihr Wesen für immer geprägt.

      Vielleicht war ihre Anlage nur geschmeidig und einfühlsam, und wenn sie geborgen und vertrauend aufgewachsen wäre, hätte das zu schönem Mitempfinden werden können.

      Die verzweifelte Leidenschaft, die wilde Liebe zu Lohbauer und die Erscheinung des armen, krankhaft starren Sand hatten sich als Schreckbilder in ihre Erinnerung eingegraben, der schillernd-eitle Münch, »bildungseitel« und an ihr ungeschickt bildend, der wilde genialische Waiblinger – und was sie von ihnen aufgriff als bereite Zuhörerin, hatte sie willig an- und eingenommen, und jedesmal dann doch erfahren, daß sie keinem ganz trauen konnte.

      Nur dieser klare zarte Knabe, der Dichter, rein und im Innersten fromm – der würde halten und helfen, hätte sie nur noch Kraft genug, ihm zu vertrauen; er sah sie so, wie sie hätte sein wollen, und seit sie ihn kannte, hatte sie das Maß verstanden. Wenn er da war, trug er sie mit, was er ihr vorsprach, empfand sie als eigen, und wo er sich selbst abschirmte gegen kaum Gespürtes, das von ihr ausging, schützte er auch sie vor sich selber: „Einem Kristall gleicht meine Seele nun, den noch kein falscher Strahl des Lichts getroffen …“

      Aber wie man ein Kind schont, so durfte sie ihm nicht alles erzählen; es hätte ihn zu schwer getroffen, er hätte auch nichts verstanden.

      3. Kapitel

      Alexander von Rußland

      Im Jahr 1815 sei die »Heilige Allianz« in Weinsberg bei Heilbronn gegründet worden, sagte der heilkundige, halbblinde Arzt und Seher Justinus Kerner einmal zu seinem Sohn Theobald, und der schrieb es auf.

      Weinsberg ist ein Hügel mit einer halbverfallenen Burg mitten in den fruchtbaren Rebenhügeln im milden Heilbronner Land, wo nicht weit davon auch Hölderlin geboren ist, in Lauffen am Neckar.

      Es gibt da alte Sagen und Geschichten, von denen man den Namen der Burg und des Fleckens abgeleitet hat, und die von der Weibertreu ist die schönste davon.

      Im zwölften Jahrhundert, sagt sie, ist ein König Cunrad gegen den Grafen von Weinsberg angetreten, hat seine Burg belagert und nach viel Steineschleudern, Pechschütten und Leiteransetzen auch glücklich eingenommen. Da haben, heißt es weiter, die Weiber und Kinder geheult und gebeten, ihnen freien Abzug zu gewähren, da sie so sehr hilflos und auch stark ausgehungert und abgemagert wären.

      Der König Cunrad habe dann den Frauen mit Kind und Kegel Abzug gewährt und um ihrer Armut willen zugesagt, daß sie das Wertvollste, das sie eben tragen könnten, aus dem Burgtor schleppten.

      Da sei es eine Weile still gewesen, man habe aber doch allerlei Geraune, auch Jammern und Schimpfen undeutlich aus den Mauertoren gehört, und endlich sei der König mit seinem Streitroß nah an die Pforte geritten, um zu sehen, was denn die Weiber wohl so daherschleiften. Da kam die erste, ein junges hübsches Weib und nicht allzu geschwächt vom langen Hunger, und trug auf dem Rücken, hangend und angeklammert mit kräftigen Beinen, einen Mann, einen wildhaarigen Gesellen mit rußschwarzem Gesicht, der lachte den König an.

      Gleich dahinter die zweite, nicht mehr jung, mager, mit einem rissigen Rock, und darüber, keuchend, als trage er selber schwer, festgebunden den Mann, der zum Glück ein Schneider und leibarmer Gestalt war.

      Danach kamen mehr, alte und junge, resche und dürre, und alle, jede einzelne, schleppte und zerrte ein Mannsbild mit sich, und wo die Weiber vor Atemnot und Anstrengung nicht eben lachten, grinsten dafür die Kerle umso unverschämter, bis die Reiter um den König ihre Gäule wendeten und zum König hinsprengten: »Königlicher Herr, Gottgesalbter …« und dergleichen schrien sie empört, »da schleifen die Weiber ihre Ehemänner oder gar noch die nicht ehelichen Burschen den Berg hinunter, meinend, die seien ihnen am wertvollsten.«

      Der König sah sich den langen Zug an und lachte, unbegreiflicherweise.

      »Frag einer die Weiber, ob sie sich davon weniger Mannsprügel versprächen zum Dank für ihre Schinderei!«

      Die Frauen zeterten, und es kam heraus, daß die Mannsleute sie dazu vermocht hatten – nicht alle taten es, um die Männer zu behalten und behüten, die meisten aus Angst vor ihnen und ihren Prügeln, die freilich ja nicht arg ausgefallen wären, hätten die Weiber sie dem Feind überlassen … aber so schnell dachten die nicht …

      Ob’s denn also den Frauen in späterer