Peregrina. Utta Keppler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Utta Keppler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711730515
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      Utta Keppler

      Peregrina

      SAGA Egmont

      Peregrina

      Copyright © 1982, 2017 Utta Keppler und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

      All rights reserved

      ISBN: 9788711730515

      1. Ebook-Auflage, 2017

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

      Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

      Vorspiel

      Vor der Lampe tanzt ein brauner Nachtfalter. Der Student – er ist es noch gar nicht, will’s erst werden – sieht ihm mit aufgestütztem Kopf zu, seinen zackenden taumelnden Kreisen und Zirkeln, die er, blind geführt wie in Trance, um das Licht her aufführt; sie werden enger, kleiner im Umriß, näher der Wärme, und der dicke behaarte Körper stößt sich mit einem schwachen Anprall an der Lampenglocke, schwingt zurück, torkelt ohne Richtung, sucht den weiteren Bogen und dann wieder die Flammennähe.

      Der Junge sieht ihn als Schattenbild, abgehoben vom Hellen. Der flaumige Leib ist wie eine kleine Walze, halb verdeckt und verwischt wird seine Kontur von den flirrenden Flügeln, die nichts von Schwingen haben. Der junge Mann rückt an der Lampe und wedelt mit der Hand.

      Aber gleich wieder ist der Schmetterling da, wo er’s wie eine Sonne spürt, getrieben und hilflos. Der tödliche Zirkel wird bald unsicher, die Flügelränder sind zackige Fetzen, der Falter fällt auf den Tisch. Zuckend zittern die braunfleckigen Stummel, – wär’ er tot! Aber er regt sich, er versucht Schritte mit den versengten Füßchen, er taumelt zur Seite; er kreist in einem irren Todestanz, dann bleibt er liegen.

      Der Mann am Tisch nimmt ihn auf und trägt ihn in den Garten. Dort vergräbt er ihn im Boden. An diesem Abend liest er nicht weiter.

      1. Kapitel

      Die Wasserfälle

      In Schaffhausen waren die Häuser eng nebeneinander gebaut, geschachtelt und verfilzt, wenn man das von Häusern sagen könnte; manchmal paßte dieser Ausdruck sogar, wo Moos und Flechtwerk der übergreifenden Äste sich ineinander verfingen, unter denen die braunen Dächer spitz gegeneinander giebelten. Die kleinen gewölbten Scheiben boten sich gegenseitig ihre Geranien- und Petunienstöcke an, man sah herüber und hinüber, sobald man die Vorhänge zurückzog.

      Man sah, ob die sauber gewaschen und gestärkt waren oder etwa staubig vergilbt; man sah die umgestülpten Milchsatten und Krüge auf den Fensterbrettern und merkte, wie oft sie herausgestellt wurden, und man nahm im Herbst die Zwiebeln wichtig, zum Trocknen auf Schnüre gezogen, oder die Dörrbohnen, ordentlich aufgereiht, solang es nicht regnete oder fror.

      Jeder kannte den anderen, man hielt die Augen offen und verzeichnete gewissenhaft, ob die Frau vom Schneider in der Kirche gewesen war oder ob die vom Bäcker aussah, als wäre sie schwanger.

      Hinter den Häusern gab es Winkel mit Hasengittern, mitunter Ziegenverschläge, und ein paar Reichere hatten weiter draußen ihre breiten Höfe mit Kuhställen und Schweinekoben.

      Noch weiter, unter dem zitternden Luftschwall, am Wald zwischen den Baumschatten und -lichtem, brauste es dumpf; über der Flußbreite schwirrten verstörte Vögel, zwischen denen regenbogenfarbig die sprühenden Wirbel sich in Wolken hinaufwarfen über dem Fall, mächtig und unwirklich herunterbrechend, wie Donner und Gebrüll und eine Götterstimme, aus der der Tod schrie.

      Die Bürger hörten sie nicht, wenn sie sonntags mit Stöcken und roten Sonnenschirmchen, umwedelt von ihren Zwergspitzen, mit Schuten und faltigen Röcken die Frauen, mit taillierten Anzügen die Männer, Zylinder hebend, bartzwirbelnd, patriarchalisch und schwitzend heranspazierten. – Auch Kinder waren dabei, die Buben liefen voraus, die Mädchen in langen Röcken gingen an den Händen der Mütter, straff gescheitelt und stramm gezöpft.

      Da wandelte der Metzgermeister Meyer, ein würdiger Mann mit den Abzeichen der Bürgerwehr, deren Adjutant er war, und seine schnaufende Ehefrau mit den gedrehten steifen Locken neben den roten Backen. Sieben Kinder hatte sie, und vier davon liefen und zottelten da am Wasserfall vorbei. Eigentlich waren es elf! gewesen, vier waren klein gestorben, wie man das als unvermeidlich hinnahm.

      »Die Helene macht sich kräftig«, sagte der Papa zufrieden, »mit ihren zehn Jahren.«

      Später, mehr als ein Jahrzehnt danach, 1802, sah er das Mädchen grimmig an, und täglich grimmiger und zorniger, und die dicke Mutter schlich seufzend herum.

      Man beriet, ob man die »Husch« nicht wegtun solle, irgendwohin aus den Augen und weitab von den Mäulern der Verwandten und Nachbarinnen, ehe es soweit sei; aber dann ließ man sie doch da und versteckte die Hochschwangere in der Dachstube, und die Metzgersfrau – (»und ich komm’ aus dem ehrbarsten Geschlecht, und die Ermatinger waren schon um 1600 achtbar«) – holte sogar die Wehmutter, weil sie sich’s allein nicht zutraute, der Stöhnenden das rote schmächtige Kind aus dem Leib zu holen, das die Hebamme dann zutage brachte: Es war ein Mädchen, und als Vater gab Helene einen wandernden Weißgerbergesellen aus Dresden an, mit Namen Jakobus Fried.

      Man wußte nicht recht, wie und wo sie gerade an den geraten sei, und gemeldet habe er sich auch nie mehr, klagte die Alte.

      Die junge Frau nährte das Kind, jammerte viel, schob es in die Wiege, wenn es weinte, und nahm es selten genug liebevoll an sich; und da man es doch taufen mußte – der Pfarrer drängte darauf –, hieß man es Anna Maria nach der Großmutter, im Kirchenbuch als ein Winterkind eingetragen, am 27. Dezember 1802, unter dem Zeichen des Schützen und des Steinbocks, was nur die Großmutter im Gespräch erwähnte und der Pfarrer nicht, denn die Alte hatte von der flammenden spontanen Natur dieses Feuerzeichens Schütze gehört, die man dem pfeilschwingenden Sagittarius und seinen Zugeborenen nachredete, denn sie hatte früher bei einem gelehrten Mann gedient, der auch Astrologie betrieb.

      In den spitzgiebeligen Häusern klatschten und flüsterten die Weiber. Man nahm Helene nicht mehr zur Waschhilfe oder zur Gartenarbeit, man ließ sie nicht mehr zum Tanz in die angesehenen Wirtshäuser, und wenn sich andere als die Zugelaufenen um sie gekümmert hätten, das wäre eine Gnade und ein Wunder und allenfalls ein schnell unterlassenes Probieren gewesen: Die Helene war nun einmal in den Morast geraten und mit dem schmierigen schwarzbraunen Schlamm gezeichnet, der ihr immerfort anhing, nie mehr abzuwaschen …

      Drei Jahre alt war das Kind, dunkel und mit großen schräg geschnittenen Augen, lebhaft und unruhig, als die Mutter wieder niederkam, und zwei Jahre später wurde noch ein Geschwisterchen geboren, und jetzt galt die »Husch« als ganz Verlorene, man zwang sie ins Arbeitshaus, eine Zeitlang sogar ins Frauengefängnis, und ließ die Kinder der Großmutter, und als die starb und die kleine Maria nach der Mutter fragte, hieß es, von der könne man nicht reden, das sei eine Böse … Der Metzgermeister trat aus der Bürgerwehr aus, »sein Stolz sei gebrochen«, sagten die Leute und lächelten ein wenig hämisch dabei.

      Seine Frau traute sich kaum mehr auf die Straße, sie ließ die Magd – die war alt und hörte schlecht – das Nötige besorgen; der Laden verkam, die Kunden kauften beim zweiten Fleischer, manche ließen anschreiben und vergaßen zu bezahlen.

      Die Geschwister – im Dienst, in der Lehre, in der Schulklasse – hörten häßliche Schimpfereien und kamen heulend heim.

      Das Mädchen mit den drei Bastarden blieb in der Fremde, im Spinnhaus, im Gefängnis wegen Herumtreiberei, und ihr Kind, die Maria, inzwischen vierzehnjährig, schlich verstört in den Nachbardörfern herum.

      Sie schluckte den Haß der Mutter, kränkelte an den verbitterten Reden, die sie in kurzen Besuchszeiten