Ein genialer Rebell - Christian Friedrich Daniel Schubart 1730-1791. Utta Keppler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Utta Keppler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711708538
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sich schon herumgesprochen; Neugierige traten zögernd heran, fragten und schauten. Nur die kräftigen jungen Burschen hielt man versteckt. Langsam, während das Gerassel und Gedröhn im Sommerabend über die staubige Dorfstraße fuhr, schlurften ein paar Männer heran, meist Zweitsöhne, die auf dem kleinen Bauernhof kein Auskommen hatten, auch Querulanten und Herumtreiber, die in keinem Gewerbe guttaten. Weiber waren dazwischen, ängstlich lauernd, ob sich einer der ihren von dem flotten Werber anziehen lasse. Kinder drängten mit glänzenden Augen vor, um die bunten Uniformen und bärtigen Soldatengesichter näher zu sehen.

      Der Hauptmann verlas seinen Spruch, Schubart schaute ihm ehrfürchtig auf die Lippen. Aber keiner rührte sich, niemand wollte sich melden. Neben der Lockung stand ihnen das Bild der heimkehrenden Geschlagenen vor Augen, die Ehrgeiz und schlechte Planung oder einfach überlegene Feinde ins Unglück getrieben hatten, Verwundete mit schwärenden Narben, Rechtlose, die auf Barmherzigkeit angewiesen waren und sich krampfhaft ins Schwadronieren und Phantasieren retteten, um noch einen Rest von Achtung zu gewinnen; denn sie waren ja keine Bauern mehr, keine Handwerker, keine rechten Väter und Söhne, nur Abgeschobene und Entgleiste, Abfall der Schlachten.

      Der Hauptmann wurde ungeduldig: Es sei ihm leid, sagte er, aber zwanzig Mann seien seine Zahl, die müsse er vor Nacht noch aus Mögglingen heimbringen, darunter tue er es nicht. Die Trommel ratterte wieder, Maltitz lud ins Wirtshaus, ein paar folgten widerwillig, etliche verlotterte Kerle zog der geschenkte Wein magisch an.

      Der junge Schubart schlich hinter dem großen Freund drein und setzte sich auf eine Bank im Dämmerigen. Vorn, im Lichtkreis der Kerzen, die der Wirt eilig brachte, lagen jetzt die Papiere ausgebreitet. Man hörte wieder vom Kriegsruhm, von Beute und Schätzen und leckeren Weibern reden, die Burschen nahmen die Becher; viel hatten sie nicht im Magen und Wein kannten sie kaum. Langsam wurden sie munterer. Der Hauptmann trank ihnen zu. Freilich sah Christian, daß ihm der Wirt sein Glas halb gewässert hatte, ohne daß es sonst einer merkte.

      Er selber trank vorsichtig, das Ungewohnte schmeckte voll und stark, er kaute ein Brot dazwischen und heftete dringlich die dunklen Augen auf die Männer. Endlich ließ sich einer herbei, die „Verpflichtung“ zu unterschreiben, malte ungeschickt seinen Namen darunter; ihm taten es zwei andere nach, ein abgerissener Knecht setzte sein Kreuz dazu.

      Jetzt änderte sich alles. Die Geworbenen wurden von dem Korporal und den Bütteln, die plötzlich auftauchten, derb in die Höhe gezerrt und weggeführt. Der Junge sah ihnen erstaunt nach. Ein paar Bauernburschen zogen sich unauffällig zurück und schlichen hinaus.

      Maltitz sprang auf. Da prallte ihm die Tür fast ins Gesicht: Eine Frau stürzte herein, halb angezogen, die Zöpfe langhängend. Sie schrie, man habe ihren Jörgle geholt, wer sollte jetzt das Ackerwerk versehen, wo ihr Mann lahm liege? Sie stellte sich vor dem Tisch der Werber auf, ein dürres Weib, unbestimmbar das Alter, mit flackernden Augen.

      Maltitz, ihr gegenüber, wurde grob: Der Bursche habe unterschrieben, es sei alles bestellt und beschlossen und nichts mehr zu ändern. Sie fuhr mit scharfem Blick über die Platte, auf der die Weinpfützen glänzten, und griff den Bogen, der da lag. „Ist’s der? Steht’s da?“ fragte sie gellend. Schubart erkannte eine Zeile mit Namen auf dem hellen Papier in ihren Fingern; er konnte nichts lesen, aber ehe jemand reagierte, hatte das Weib ihren Fund mitten durchgerissen und warf dem Hauptmann die Stücke zu. „Ihr könnt einen nicht besoffen machen und zur Kompanie pressen!“ rief sie, „sie kommen verkrüppelt heim, sind nichts mehr nutz, wenn sie überhaupt wiederkommen!“

      Der Hauptmann faßte ihren mageren Arm. „Seid still, Frau, das geht übel aus für Euch!“ sagte er herrisch.

      Christian starrte ihn an – er sah fremd und unheimlich aus mit dem Schnauzbart, wie er dastand und die Frau hielt. Sie machte sich los; ein Büttel packte sie von hinten, drückte ihr die Arme an den Leib und warf sie auf die Bank. Christian rückte schnell weg. Er sah das flammendrote und gleich darauf bleiche Gesicht neben sich und dachte an seine Mutter, wenn sie so dasäße.

      Er blickte Maltitz an und legte ihm die Hand auf den Ärmel. Der Hauptmann schüttelte den Kopf: „Laßt sie laufen und schaut nicht weiter nach dem Kerl!“ Ins Glas hinein brummte er noch: „Soll der Teufel die Werberei holen!“

      Christian schob sich leise hinaus in die Dunkelheit und fand den Heimweg.

      Keim aus gärendem Erdreich

      Der Vater Schubart hielt es jetzt für nötig, den Jungen in eine höhere Schule zu schicken, da ihm das Herumstreichen mit dem Hauptmann nicht gefiel, noch weniger aber der Einfluß Rieders, dessen lasches, genüßliches Wesen sich immer mehr in Launenhaftigkeit verkehrte, bis man ihm endlich wegen unzüchtiger Handlungen den Prozeß machte und ihn entließ.

      Der Dekan wählte also das Nördlinger Lyzeum für seinen begabten Sohn, das der Rektor Thilo leitete, ein tüchtiger Philologe, der auch Theologie studiert hatte und sich mit der Ästhetik der Alten wie mit der Philosophie beschäftigte.

      Jakob Schubart brachte den Jungen beim Chirurgen Seidel unter, der bieder und redselig, wie er war, den jungen Christian bald ein wenig in seine Profession einführte, bei allerlei Unpäßlichkeit beriet und ihm das Interessante seines untergeordneten Berufs anpries, den er mit Geschick und Schlauheit betrieb; denn es war durchaus nicht immer nur das Leibschneiden oder Brüche und Quetschungen, die er heilte, er riß Zähne und stach den Star und gab mit seinen skurrilen Geschichten dem Glauben und Aberglauben seiner Patienten zu kauen: Wie die Spinnweben im Stall gegen Warzen gut seien, erklärte er ihm, und was der Nachtschatten schade oder woher die Hexenringe aus Waldpilzen kämen und die glattgescheuerten rindenlosen Streifen an den Eichenstämmen. Er erzählte auch vielerlei von der „Kunst Aphroditens“, wie er sagte, und machte derbe Späße dabei.

      Für Christian waren es zwei Welten, und beide behagten ihm – die klare, geordnete, gütig humorvolle Art des Rektors schulte ihm Geist und Verstand, und des Baders Geschwätz schläferte ihn ein wie laue, sumpfige, dumpfe Luft. Was ihm der Vater nahegelegt hatte und immer wieder anmahnte, den Ernst des Glaubens, konnte er nicht recht einsehen; der Religionsunterricht, den Thilo nicht selber gab, war dürr und trocken. Der Rektor führte seine Schüler – und Christian war sein bester – zu den Klassikern: Homer, Plato, Horaz und Cicero wurden vorgekaut und eingepaukt, aber auch über dem peinlichsten Eindrillen verloren sie nicht ganz ihren Schimmer. Schubart las für sich, abends in der Kammer, noch einmal und im Zusammenhang, was er in den Schulstunden hörte. Auch die neuen deutschen Dichter brachte Thilo zum Klingen.

      Und dann die Musik, immer wieder brach diese Urbegabung durch: Schubart spielte jetzt fast virtuos, komponierte, sang, Rhythmus und Klang verlockten ihn zu eigenen Versen, die ihm allzuleicht flossen. Auf das Lissaboner Erdbeben dichtete er eine Nänied, stark gefühlt, in „schwellenden“ Tönen, fugierte Choralmelodien, und so nebenbei, fast unbewußt, entstanden Volkslieder, verspielte, derbe und sangbare Reime; ein Gang durchs Feld, eine Nacht im Wald – alles lag in ihm wie ein empfangener Keim bereit, und es brauchte nur ein Wort, eine Tonfolge, daß sich das Geformte fertig aus ihm löste und er es nur niederzuschreiben hatte – aber oft genug ließ er’s auch hinströmen, sagte es nur sich selber vor und verlor es wieder, da es ihm nicht kostbar genug war, um es zu halten. Es formte sich nicht immer ganz originell, manchmal in den Bahnen Klopstocks und Herders, oft als Hexameter. „So lebt ich also –“ sagte er später von jener Zeit – „zaumlos als ein luftiger, gedankenloser Jüngling mein Leben hin.“

      1756 verließ er Nördlingen. Man erregte und empörte sich gerade heftig über den jungen Herzog: Carl Eugen hatte es arg getrieben, selbst nach dem Urteil der geduldigen Nördlinger, und was man von Stuttgart hörte, war zwar im Licht ähnlicher Affären nicht ungewöhnlich an europäischen Höfen, aber für die Schwaben auffällig genug: Der junge Fürst hatte sich nicht lang nach den Maximen Friedrichs von Preußen gehalten, die ihm dieser zur Thronbesteigung mitgegeben hatte, wohl wissend, daß er durch seine Beurteilung des Prinzen mitverantwortlich für seine Regierungsführung wurde. Er rate, schrieb der König, drei Jahre seiner Jugend „dem Vergnügen zu weihen“, dann aber zu heiraten und mit Ernst an seine hohe Stellung zu denken. Und obwohl Carl sich schon als halber Junge sterblich in seine künftige Frau verliebte, „weihte“ er sich weiterhin