Rudolf Stratz
Die um Bismarck
Saga
Die um BismarckCoverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1932, 2019 Rudolf Stratz und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711507346
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
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1
Seine Durchlaucht lassen Herrn Geheimrat sofort zu sich bitten!“
Der Geheime Legationsrat von Möllinghoff verliess, auf den Ruf Bismarcks hin, hastig an diesem milden Märztag der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts seine Aktenhöhle in der Wilhelmstrasse 76 zu Berlin. Er lief, ein rüstiger Fünfziger, beleibt, etwas kurzatmig, durch den langen Flur an den Türen der Direktoren, Dirigenten und Näte vorbei. Durch die Fenster zur Rechten beschien aus dem noch kahlen Park des Auswärtigen Amts die Frühlingssonne seine glattrasierten, feierlich erregten Züge. Auf ihnen lebte jetzt nichts von Laune, List, Ironie, Nervosität des vielgewandten, vielbeweglichen Kenners der Berliner Menschen und Dinge. Sie hiessen, auf dem Weg zum Kanzler: Klemens von Möllinghoff — der Unermüdliche — der Aktenriese — der Nachtarbeiter — Klemens von Möllinghoff — ein bescheidener Mitarbeiter, ein getreuer Diener des Fürsten Bismarck.
Eine dienstliche Pforte tat sich auf. Der Geheimrat betrat den an das Amt anstossenden Flügel des Reichskanzlerpalais und eilte mit der Sicherheit des hier Vertrauten weiter. Am Eingang zu den Gemächern des Fürsten winkte ihm eine mächtige bräunliche, dunkelbehaarte Hand Halt. Zwei hellbraune Augen blitzten durchdringend, fast dämonisch unter dichtem, pechschwarzem Haar. Aus dem rabenschwarzen Bart klang es gemütlich Bayrisch:
„Ob’s ihr mir meinen Fürsten in Ruh lasst, ihr Viechskerle! Eben ist er erst aufgestanden!“
„S. D. hat mich befohlen!“ Herr von Möllinghoff drückte ausser Atem Schweninger die Hand. Der Leibarzt Bismarcks lachte — dies Lachen unerschütterlicher, selbstvertrauender Urkraft, aus dem ein unbändiger Wille zum Leben auf jeden andern übersprang.
„Der Fürst hat, weil ich nicht da war, zum ersten Frühstück zwei Hummern und einen Spickaal und zwei Flaschen Bordeaux vertilgt!“ sagte er. „Und jetzt kommt erst der Rottenburg herüber und dann Sie — und machen ihm aus dem Masttag ’nen Lasttag und morgen ’nen Fasttag! Hätt’ der Fürst nur einmal ’nen Rasttag! Sie sind so aufgeregt! Gibt’s Krieg zwischen den Engländern und den Russen?“
„Der Krieg zwischen den beiden Weltmächten wegen Afghanistan liegt in der Luft! Ich muss dringend zu S. D.! Auf Wiedersehn, lieber Professor!“
Der Geheimrat durchmass, an dem öffnenden Diener vorbei, den kleinen Eingangssaal und stand allein in dem grossen Salon. Er kannte genau die rotseidenen Möbel, den runden, mit Zeitungen bedeckten Tisch vor dem Kanapee, den historischen Lehnstuhl, das Lenbachsche Bismarckbild, die goldgerahmten Landschaften an den Wänden. Und trotzdem fühlte Möllinghoff, der Getreue, immer wieder dieses Herzklopfen, dieses Wehen der Weltgeschichte, beim Warten auf den Eisernen Kanzler.
In der offenen Tür gegenüber erschien eine riesenhafte schwarze Dogge. Sie spitzte die kurzgeschnittenen Ohren und knurrte leise den Besucher an. Der kannte das. Er rührte sich nicht, um den Reichshund nicht zu reizen. Gleich darauf verdunkelte ein ungeheurer Schatten die Schwelle.
Bismarck stand vor seinem Geheimrat. In bis zum Hals zugeknöpftem schwarzem Tuchrock, darunter die langen dunklen Hosen seiner Halberstädter Panzerreiter, so dass er in einer Minute in den blauen, langen Kürassier-Interimsrock fahren und zum Empfang von Fürsten oder Botschaftern bereit sein konnte. Aus dem zweimal um den kragenlosen Hals geknoteten weissen Leinentuch wuchs glatt wie eine Elfenbeinkugel der für die Reckengestalt fast zu kleine, rosig-feine Rundkopf. Der Wille selbst die kurze, gerade Nase. Unter Augenbrauen, dick, grau und grimmig wie Gewittergewölk, zwei mächtige, feucht, fast feierlich schimmernde Augen.
Die Rechte des Kanzlers, die er, dem Rat reichte, war nicht kleiner als die seines Arztes Schweninger draussen, aber diplomatisch weicher ihr Druck. Seltsam leicht, parkettgewandt, die Bewegungen des gewaltigen, durch Schweninger seit Jahresfrist verjüngten Körpers. Herr von Möllinghoff verbeugte sich ehrerbietig. Er ging sofort mitten in die Sache.
„Seit heute früh sind wir durch Stieber über die neueste Intrige gegen Euer Durchlaucht im Bilde! Es handelt sich um frech gefälschte geheime Instruktionen des Auswärtigen Amts zugunsten Englands in der afghanischen Krise an unsere Missionen in halb Europa — Instruktionen, deren Entwürfe — angeblich in meiner Handschrift — angeblich mit eigenen Randbemerkungen Eurer Durchlaucht — durch einen Vertrauensbruch oder eine Saumseligkeit dem berüchtigten Skandalblatt ,Die Grosse Trommel‘ auf den Schreibtisch geflogen sein sollen. Wer unseren Dienstbetrieb kennt — jeder Hofrat, jeder Chiffreur, jeder Kanzleirat weiss, dass ein solches Vorkommnis absolut ausgeschlossen ist!. Die von selbst in das Schloss fallende Kassette, die Euer Durchlaucht tagsüber als Papierkorb dient, wird jeden Abend im Büro des Herrn von Rottenburg von dem diensttuenden Sekretär entleert und der ganze Inhalt an Brouillons und sonstigen Papierschnitzeln in Gegenwart der Geheimpolizei verbrannt. Wir haben es mit einem ruchlosen Falsifikat zu tun, dazu bestimmt, den Frieden Europas und Asiens zu erschüttern!“
Die Aufregung verschlug dem Geheimrat fast den Atem. Er fuhr fort:
„Hinter diesem Versuch, den Zaren, dessen Besuch wir in der nächsten Zeit hier erhoffen, und die russische Gesellschaft gegen Euer Durchlaucht aufzuputschen und unsere traditionelle Freundschaft mit Petersburg zu stören, stecket, wie Stieber zuverlässig festgestellt hat, die bekannte Fronde aus der Vossstrasse! Wahrscheinlich glaubt Graf Lassbach selber an die Echtheit des Dokuments! Aber angesichts der Gefahr eines europäischen Krieges ist nach meinem gehorsamsten Ermessen die sofortige Haussuchung bei ihm, eine Beschlagnahme der im Druck befindlichen ,Grossen Trommel‘ und die Verhaftung ihres Herausgebers geboten — ehe diese Stinkbombe — zudem noch morgen, am zweiundzwanzigsten März, am Geburtstag unseres Allerhöchsten alten Herrn — in den Spalten der ,Grossen Trommel‘ platzt!“
Der Geheimrat von Möllinghoff schwieg erregt und erwartungsvoll. Er hörte drüben ein dumpfes Räuspern. Dann, unter dem eisgrauen kurzen Schnurrbart die wunderlich helle, stockende Stimme.
„Ich bin jeden Augenblick, wenn Seine Majestät es wünscht, bereit, mich unter die Kanonen von Friedrichsruh zurückzuziehen. Aber me faire renverser durch Tonio Lassbach — das geht gegen den guten Geschmack!“
Ein Neigen des graubuschigen, grossäugigen Hauptes drüben. Es hiess: Tun Sie, was Sie für recht befinden! Greifen Sie schonungslos in das Wespennest! Herr von Möllinghoff verstand. Er zog sich mit einer tiefen Verneigung, das Antlitz gegen den Kanzler, nach dem Ausgang zurück.
2
In dem Arbeitszimmer drüben in der Wilhelmstrasse, das der Geheimrat wieder betrat, standen zwischen den Akten auf dem Schreibtisch zwei eingerahmte grosse Photographien. Rechts das grimme Haupt des Eisernen Kanzlers, links die schmalwangigen, hübschen Züge einer jungen Frau. Sie trug, nach der Mode der achtziger Jahre, das Haar aus der glatten Stirn nach hinten hochgekämmt, Sprechend, intelligent die Augen. Liebenswürdig lächelnd, die Dame von Welt, der Mund.
Der Geheimrat von Möllinghoff stärkte sich durch einen Blick stiller Liebe auf seine Frau für die neue Arbeit. Er Klingelte dem Diener. Er sass eine Minute und gähnte — ein müder Mann. Dann hob er, beim Eintritt eines jungen Husarenoffiziers, rasch den diplomatisch glattrasierten, klug beweglichen Graukopf.
„Sie sind aus einer kleinen Provinzgarnison zur Dienstleistung beim Auswärtigen Amt kommandiert, mein lieber Baron!“ sagte er in einer Pause des Diktierens eines Geheimerlasses zu dem angehenden Attaché. „Sie ahnen, bei Ihrer Jugend, nicht, wieviel Feinde