Elizabeth Taylor
Mrs Palfrey
im Claremont
Roman
Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell
Mit einem Nachwort von Rainer Moritz
DÖRLEMANN
Die englische Originalausgabe »Mrs Palfrey at the Claremont«
erschien 1971 bei Chatto & Windus, London.
Die Übersetzung wurde mit Mitteln des Deutschen Übersetzerfonds gefördert. Die Übersetzerin bedankt sich hierfür.
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Copyright © 1971 The Estate of Elizabeth Taylor
© 2021 Dörlemann Verlag AG, Zürich
Umschlaggestaltung: Mike Bierwolf unter Verwendung eines Fotos von Tupungato | Dreamstime.com
Porträt: © Elizabeth Taylor, National Portrait Gallery
Satz und eBook-Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde
ISBN: 978-3-03820-984-3
Inhalt
Kapitel Sechs
Kapitel Sieben
Kapitel Acht
Kapitel Neun
Kapitel Zehn
Kapitel Elf
Kapitel Zwölf
Kapitel Dreizehn
Kapitel Vierzehn
Kapitel Fünfzehn
Kapitel Sechzehn
Kapitel Siebzehn
Kapitel Achtzehn
Kapitel Neunzehn
Das Desaster des Altwerdens
Nachwort von Rainer Moritz
Zur Autorin und zu ihrer Übersetzerin
Zum Buch
Elizabeth Taylor
Kapitel Eins
Mrs Palfrey zog an einem Sonntagnachmittag im Januar ins Claremont Hotel. Über London hatte es sich eingeregnet, und ihr Taxi schipperte auf der so gut wie verlassenen Cromwell Road an einem höhlenartigen, von Säulen getragenen Vordach nach dem anderen vorbei. Der Chauffeur fuhr langsam und streckte den Kopf zum Fenster hinaus, denn das Hotel war ihm unbekannt. Das hatte Mrs Palfrey etwas verstört, denn sie kannte es auch nicht und begann sich zu fragen, was sie erwartete. Sie versuchte, den Schrecken aus ihrem Herzen zu verbannen. Ihre drohende Bedrückung setzte ihr zu.
Wenn es dort nicht schön ist, brauche ich ja nicht zu bleiben, versprach sie sich, leicht die Lippen bewegend, während sie sich im Taxi vorbeugte, um auf der breiten, beängstigenden Straße von einer Seite zur anderen zu schauen, und beinahe fürchtete, den Namen Claremont über einem der Vordächer zu lesen. Es gab so viele Hotels an dieser Straße, eins neben dem anderen, und alle sahen im Grunde gleich aus.
Sie war ganz zufällig auf eine Anzeige in der Sonntagszeitung gestoßen, als sie bei ihrer Tochter Elizabeth in Schottland zu Besuch gewesen war. Herabgesetzte Winterpreise. Hervorragendes Essen. Das dürfte wohl mit Vorsicht zu genießen sein, hatte sie gedacht.
Schließlich bremste das Taxi ab. »Claremont Hotel« las sie, denkbar deutlich, in großen Buchstaben quer über eine Häuserfront hinweg, die aus zwei – vielleicht sogar drei – großen, zu einem einzigen vereinten Gebäuden zu bestehen schien. Sie atmete auf. Die Säulen des Vordachs waren unlängst gestrichen worden; in den Blumenkästen wuchsen Japanische Aukuben; saubere Gardinen – eine Fassade ausdrücklicher Anständigkeit.
Sie wuchtete sich aus dem Taxi und ging, auf ihren mit Gummikappe versehenen Spazierstock gestützt, über den Bürgersteig und ein paar Stufen hinauf. Ihre Krampfadern machten ihr heute zu schaffen.
Sie war eine hochgewachsene Frau mit großen Knochen und einem feinen Gesicht, dunklen Augenbrauen und säuberlich gefaltetem Doppelkinn. Sie hätte einen vornehmen Mann abgegeben, und manchmal, in Abendgarderobe, sah sie aus wie irgendein berühmter General in Frauenkleidern.
Gefolgt von dem Chauffeur und ihrem Gepäck (denn aus dem Hotel kam kein Lebenszeichen), kämpfte sie mit der Schwingtür und taumelte fast in das stille Foyer hinein. Die Dame an der Rezeption war von kühler Freundlichkeit, so als sei dies ein Pflegeheim, noch dazu eins für Geistesverwirrte. »Was für ein Tag!«, sagte sie. Der Taxifahrer, der mit den Koffern hinterhergetrampelt kam, wirkte in dieser gedämpften Atmosphäre fehl am Platz und wurde sofort von einem Portier abgelöst. Mrs Palfrey öffnete ihre Handtasche und suchte sorgfältig einige Münzen heraus. Sie tat alles ohne Eile, fast gebieterisch. Sie hatte sich immer zu benehmen gewusst. Selbst als Braut unter seltsamen, beunruhigenden Bedingungen in Burma war sie großartig gewesen: gelassen, als sie (zum Beispiel) über Hochwasser zu ihrem neuen Heim gerudert wurde; unerschüttert, als sich zeigte, dass es mehr als feucht war und eine Schlange sich zur Begrüßung um das Treppengeländer gewunden hatte. Mrs Palfrey hatte das Kreuz durchgedrückt und sich ins Gebet genommen, genauso wie heute Nachmittag im Zug.
Trotz langer Übung stellte sie fest, dass solche Entschlossenheit ihr neuerdings schwerer fiel. Als junge Frau hatte sie ihrem gerade erst geehelichten Mann, den sie bewunderte, ein bestimmtes Bild von sich zu präsentieren gehabt; dann auch sich selbst und schließlich den Einheimischen (Ich bin Engländerin). Jetzt spiegelte ihr niemand mehr dieses Bild wider, und es schien verblasst zu sein, hatte es doch zwei Drittel seines einstigen Wertes eingebüßt (kein Mann, keine Einheimischen).
So mussten sich Häftlinge fühlen, dachte sie, als der Portier ihre Koffer abgestellt hatte und gegangen war, wenn sie das erste Mal in ihrer Zelle allein gelassen wurden, sich das erste Mal zum Fenster wandten und dann zur geschlossenen Tür schauten; danach die Schritte von Wand zu Wand zählten. Sie malte es sich kurz aus.
Durch das Fenster sah sie – sah sie