Gesammelte Kindergeschichten & Romane von Agnes Sapper. Agnes Sapper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes Sapper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788027208784
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      Wenn aber dann seine Frau sagte: »In Gottes Namen, ich will dich auch nicht in die Fremde treiben, so bleiben wir halt hier und den Taler geb’ ich dem Herrn wieder zurück,« dann fing wieder Greiner an: »Freilich, die Hungerleiderei nimmt hierzulande kein End’, nur zwölf Mark hast heut’ heimgebracht und gescholten bist auch noch worden! Leicht könnt’ man’s schöner haben in Amerika. Wieviel sagst, den dreifachen Lohn, und alles will er schriftlich machen? Es ist wohl wert, daß man sich’s überlegt.«

      So besprachen sie das Für und Wider und kamen zu keinem Entschluß. Es war eine schwüle Sommernacht, das Fensterchen der Schlafkammer stand offen. In seinen schweren Gedanken sah Greiner hinaus nach dem dunklen Wald und nach dem Mond, der mild herabschien; es war ihm, als sähe er dies alles zum erstenmal. Schön war’s doch im Thüringer Wald und leicht wäre es nicht, davonzugehen. Die Heimatliebe kam ihm deutlich zum Bewußtsein, und nun trat seine Frau zu ihm her ans Fensterlein und sie lachte nicht wie sonst über sein nachdenkliches Wesen, auch sie sah still und ernst hinaus ins Dunkle. »Magdalene,« sagte er, »kannst nicht mehr das Lied: ›In allen meinen Taten laß ich den Höchsten raten, der alles kann und weiß‹; wie geht’s da weiter?« Sie brachten den Vers zusammen, und trotz aller Unentschiedenheit war Friede in ihr Gemüt gekommen, als sie endlich ihr Lager aufsuchten.

      Am nächsten Morgen, als gerade die Familie am Tisch saß und die Mutter den Kindern ihren Teil von der dünnen Kaffeebrühe verabreichte, näherten sich feste Schritte der Türe. Frau Greiner sah ihren Mann an: »Der Amerikaner,« flüsterte sie. »Herein!« Aber der eintrat, war ein anderer Gast, ein ganz unwillkommener. Es war der Steuerbote. Ein finsteres Gesicht hatte er, vielleicht kam’s daher, daß er selbst so oft mit finsterer Miene empfangen wurde. Ein kurzer Gruß wurde gewechselt; der Steuerbeamte wies einen Zettel vor, Greiner stand auf, ging an die alte Kommode und schloß sie auf. Sein Töchterchen folgte ihm, ängstlich sah sie in sein Gesicht und nun auf seine Hände, die ein wenig unsicher ein Käßchen öffneten. »Vater, reicht’s?« fragte sie ganz leise und blickte besorgt zu ihm auf. Er gab keine Antwort, es war auch nicht nötig, man merkte ihm auch ohne Worte die Verlegenheit an.

      Er zählte das Geld vor dem Steuerboten auf. »Alles haben wir nun freilich gerade noch nicht beisammen,« sagte er entschuldigend. »Der Herr wird schon zufrieden sein,« setzte freundlich Frau Greiner hinzu, »er bekommt später den Rest, andere haben’s auch nicht beisammen.«

      »Anderen wird dann eben gepfändet, was sie an Mobiliar oder dergleichen besitzen,« sagte scharf der Beamte und sah sich im Zimmer um. Das war ein unheimlicher Blick. Er blieb haften auf Alex’ Kinderwagen. »Da haben Sie noch ein schönes Stück, das hat Geldwert,« sagte der Beamte.

      »Das bleibt im Haus,« erwiderte Greiner mit ungewohnter Festigkeit. Schon manchmal war der Steuerbote mit geringem Betrag abgezogen, aber heute war er so zäh! Er wich nicht eher, als bis Frau Greiner den Taler herbeigeholt hatte, den ihr der Amerikaner gegeben hatte. Sie hatte ihn so schön in einem besonderem Büchschen aufgehoben; es half nichts, er mußte eingewechselt und noch zur Hälfte darauf gelegt werden. Erst dann verschwand der unliebsame Gast. Mißmutig sah die Frau ihm nach. »Er wittert das Geld,« sagte sie, »er hat’s nicht wissen können, daß wir noch etwas haben, aber er hat’s gespürt, daß Geld im Haus ist.«

      »Es ist ein Elend,« seufzte Greiner, »da geht man wahrhaftig gern aus dem Land.«

      »So mein’ ich auch; der Taler ist fort, Elias, das ist ein Fingerzeig, wir gehen auch fort.«

      »Ja, und das gern.«

      »Bist entschlossen? Im Ernst?«

      »Ja, wie du sagst, es ist ein Fingerzeig.«

      »Kinder, Kinder, denkt’s euch nur, wir gehen nach Amerika!« rief die Mutter.

      Jetzt gab’s Fragen und Verwundern und eine Aufregung war in der kleinen Familie wie noch nicht leicht. Daß der Alex nicht mit durfte, das kam allen hart vor, aber die Mutter hatte schon einen Plan: Nach Sonneberg wollte sie ihn bringen, bei ihrer Mutter wäre er gut versorgt; ihre Schwester hatte jetzt lange genug keine Kinder gehabt, die sollte das arme Waislein nur nehmen.

      Vater Greiner sagte aber fast jede Stunde an diesem Tag: »Wenn er nur auch Wort hält, dein Amerikaner!« worauf dann seine Frau entgegnete: »Denk nur an den Taler!« Ja, der Taler war das Unterpfand, aber er lag nicht mehr da, so wirkte er auch nicht mehr recht.

      Im Dorfe hatte sich gar schnell die Nachricht verbreitet, daß die ganze Familie Greiner auswandern würde nach Amerika. Dafür hatte schon Georg gesorgt. Öfter als sonst ging in den zwei nächsten Tagen die Türe auf, die Verwandten und Freunde wollten alle genau hören, wie sich die Sache verhielt, und es wurde in Greiners Stübchen mehr gesprochen als gearbeitet in diesen Tagen; Greiner drückte zwar unermüdlich seine Puppenköpfe aus und mahnte die Seinen, denn von dem Lohn, den sie in Amerika bekommen sollten, würden sie jetzt noch nicht satt. Aber seine Frau hatte keine Seelenruhe mehr für ihre Puppenbälge; sie dachte nur immer an die Zukunft und wie der Auszug zu bewerkstelligen wäre, und die Kinder liefen vor das Haus und ließen sich anstaunen als die Reisenden, die übers Meer wollten. Einmal kam Georg herein und erzählte, daß ein Kamerad aus dem Nachbarort von dem Amerikaner erzählt habe. Ein vornehmer Herr sei es, der gut zahle, und beim Wirt habe er geäußert, daß er am Mittwoch über Oberhain nach Sonneberg zurück wolle.

      Dienstag abend war’s. Die Kinder lagen schon im Bett, Greiner und seine Frau hatten auch Feierabend gemacht. Er stand vor der Haustüre und rauchte sein Pfeifchen; sie nahm die Puppenköpfe ab, die da und dort noch zum Trocknen am Zaun standen, und plauderte dabei mit ihrem Mann, als sie durch den dämmernden Abend einen älteren Mann langsam und bedächtig die Dorfstraße herauf auf ihr Häuschen zukommen sahen. Die Frau bemerkte ihn zuerst, stieß ihren Mann an und sagte: »Der Schulze kommt zu dir.«

      Dieser Mann, der wohl schon ein Siebziger sein mochte und mit seinen weißen Haaren einen ehrwürdigen Eindruck machte, war der Ortsvorsteher von Oberhain, der Bauer Ruppert. Schon so lange verwaltete er dies Amt, daß Greiner und seine Frau sich die Zeit nicht mehr erinnern konnten, wo Ruppert noch nicht der Gemeindevorstand war. Greiner nahm die Pfeife aus dem Mund, was er andern gegenüber nie für nötig hielt, und grüßte den Alten, der nun zu ihnen trat, um ein Wort mit ihnen zu sprechen. Ins Haus wollte er nicht, er war noch rüstig, stand fest und gerade und erschien in seinen alten Tagen noch frischer als Greiner. Über den Gartenzaun besprachen sich die Männer. Ruppert wollte von Greiner selbst hören, was wahr sei von dem Gerede, daß sie nach Amerika übersiedeln wollten. Frau Greiner mußte ihm nun genau ihre Begegnung mit dem Amerikaner erzählen und alles, was dieser zu ihr geredet hatte.

      »Und ihr wollt gehen?« fragte Ruppert.

      »Wenn sich alles so verhält, wie der Mann zu meiner Frau gesagt hat, und wenn er alles schriftlich vor dem Notar macht, dann wären wir entschlossen zu gehen,« war Greiners Antwort.

      Eine Stille trat ein. Frau Greiner hatte so ein unbestimmtes Gefühl, als ob der Mann, der nun schweigend mit ernstem Ausdruck bei ihnen stand, nicht einverstanden wäre. Das konnte sie nicht ertragen. »Es ist doch natürlich, daß man aus seinem Elend heraus möchte, wenn man kann, nicht wahr? Und wenn einem jemand sagt, du kannst 60 Mark verdienen statt 20, so wäre man doch nicht recht gescheit, wenn man nicht zulangen wollte, ist’s nicht wahr? Und wie ärmlich ist mein Vater gestorben, alles hat man ihm verpfändet! Und meinen Kindern wird’s auch einmal nicht besser gehen, wenn wir sie nicht fortbringen aus dem Elend, oder nicht?«

      Bei jeder Frage hatte der alte Mann nur zustimmend genickt, wer kannte besser als er die Armut im Dorf! »Ja, ja, ja,« sagte er nun langsam und bedächtig, »wenn nur eines nicht wäre! Wenn die da drüben in Amerika unser Handwerk lernen und wenn sie selbst die Arbeit machen, die wir jetzt tun, wer wird dann noch von Thüringen Puppen kommen lassen? Wenn die Amerikaner nicht mehr in Sonneberg bestellen, dann fällt die beste Kundschaft weg; für 2 Millionen Mark haben die Amerikaner in einem einzigen Jahr Puppen und Spielsachen nach Amerika kommen lassen und gerade am meisten von der Sorte, wie wir sie in unserem Dorf machen. Der Bürgermeister von Sonneberg hat schon gar oft mit mir darüber gesprochen und die Herren Fabrikanten auch. Wißt Ihr, Greiner, wie mir’s vorkommt, wenn Ihr geht? Da oben hinter Eurem