Der Text folgt der Übersetzung von Carl Conz,
die erstmals 1864 erschien. Eindeutige Druck- und
Satzfehler wurden korrigiert.
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Unser Eigentum
I, 1. Einige Dinge sind in unserer Gewalt, andere nicht. In unserer Gewalt sind: Meinung, Trieb, Begierde, Widerwille, kurz: alles, was unser eigenes Werk ist. – Nicht in unserer Gewalt sind: Leib, Vermögen, Ansehen, Ämter, kurz: alles, was nicht unser eigenes Werk ist.
Vorzüge des Eigentums
I, 2. Und die Dinge, welche in unserer Gewalt stehen, sind von Natur frei; sie können nicht verhindert, noch in Fesseln geschlagen werden. Die Dinge aber, welche nicht in unserer Gewalt stehen, sind schwach, und völlig abhängig; sie können verhindert und entfremdet werden.
Verwirrung aus Verwechslung
I, 3. Wofern du nun Dinge, die von Natur völlig abhängig sind, für frei und Fremdes für Eigentum ansiehst, so vergiß nicht, daß du auf Hindernisse stoßen, in Trauer und Unruhe geraten und Götter und Menschen anklagen wirst. Wenn du aber nur, was wirklich dein ist, als dein Eigentum betrachtest, das Fremde aber so, wie es ist, als Fremdes, so wird dir niemand je Zwang antun, niemand wird dich hindern; du wirst keinen schelten, keinen anklagen, wirst nichts tun wider Willen, niemand wird dich kränken, du wirst keinen Feind haben, kurz: Du wirst keinerlei Schaden leiden.
Keine Halbheit!
I, 4. Wenn du nun so Großes begehrst, so bedenke, daß du nicht mit halbem Eifer darnach greifen, sondern einiges völlig verleugnen, anderes für jetzt aufschieben mußt. Wofern du aber sowohl jenes begehrst, als auch herrschen und reich sein willst, so wirst du vielleicht nicht einmal dieses letztere erlangen, gerade weil du zugleich nach dem ersteren strebst. Gänzlich verfehlen aber wirst du dasjenige, woraus allein Freiheit und Glückseligkeit entspringt.
Äußere Dinge – was gehen sie dich an?
I, 5. Bestrebe dich, jeder unangenehmen Vorstellung sofort zu begegnen mit den Worten: Du bist nur eine Vorstellung, und durchaus nicht das, als was du erscheinst. Alsdann untersuche dieselbe und prüfe sie nach den Regeln, welche du hast, und zwar zuerst und allermeist nach der, ob es etwas betrifft, was in unserer Gewalt ist, oder etwas, das nicht in unserer Gewalt ist; und wenn es etwas betrifft, das nicht in unserer Gewalt ist, so sprich nur jedesmal sogleich: Geht mich nichts an!
Du hast dein Glück in der Hand
II, 1. Bedenke, daß die Begierde verheißt, wir werden erlangen, was wir begehren; der Widerwille aber verheißt, es werde uns nicht widerfahren, was er zu meiden sucht. Wer nun nicht erlangt, was er begehrt, ist unglücklich, und wem widerfährt, was er gerne vermeiden möchte, ist es doppelt. Wenn du aber bloß dasjenige zu meiden suchst, was der Natur der Dinge, die in deiner Gewalt sind, zuwider ist, so wird dir nichts von dem widerfahren, was du meiden willst. Willst du aber Krankheit meiden oder Armut oder Tod, so wirst du unglücklich sein.
Das Sicherste für den Anfang
II, 2. Hinweg also mit deinem Widerwillen von allem dem, was nicht in unsrer Gewalt ist, und trage ihn über auf das, was der Natur der Dinge, die in unsrer Gewalt sind, zuwider ist. Die Begierde aber entferne vorerst ganz. Denn wenn du etwas von dem begehrst, was nicht in unserer Gewalt ist, so mußt du notwendigerweise unglücklich sein. Von den Dingen aber, die in unserer Gewalt sind und welche zu begehren rühmlich wäre, ist dir noch gar nichts bekannt. Nur Trieb und Abneigung laß walten; aber sachte, mit Auswahl und mit Zurückhaltung.
Gemütsruhe
III. Bei allem, was die Seele ergötzt oder Nutzen schafft oder dir lieb und wert ist, vergiß nicht, ausdrücklich zu erwägen, welcher Art es sei, und fange beim Geringsten an. Wenn du einen Topf liebst, denke: Ich liebe einen Topf. Zerbricht er dann, so wird es dich nicht anfechten. Wenn du dein Kind oder Weib herzest, so sage dir, daß du einen Menschen herzest. Stirbt er, so wird es dich nicht anfechten.
Wie man die Fassung behauptet
IV. Wenn du an ein Geschäft gehen willst, so erinnere dich beiläufig, wie das Geschäft beschaffen sei. – Wenn du zum Baden gehst, stelle dir vor, was im Bad zu geschehen pflegt, wie sie einander mit Wasser spritzen, einander stoßen, schimpfen und bestehlen. So wirst du mit größerer Sicherheit zu Werk gehen, indem du dabei alsbald zu dir selbst sprichst: Ich will jetzt baden, zugleich aber auch meinen der Natur gemäßen Grundsatz festhalten. Und so bei jedem Geschäfte. Auf diese Weise wirst du dann, wenn dir beim Baden etwas in den Weg kommt, sogleich den Trost bei der Hand haben: Ich wollte ja nicht dieses allein, sondern auch meinen naturgemäßen Grundsatz festhalten. Ich werde ihn aber nicht festhalten, wenn ich mich über das Vorgefallene ärgere.
Der schrecklichste der Schrecken
V. Nicht die Dinge selbst, sondern die Meinungen von den Dingen beunruhigen die Menschen. So ist z. B. der Tod nichts Schreckliches, sonst wäre er auch dem Sokrates so erschienen; sondern die Meinung von dem Tod, daß er etwas Schreckliches sei, das ist das Schreckliche. Wenn wir nun auf Hindernisse stoßen oder beunruhigt oder bekümmert sind, so wollen wir niemals einen andern anklagen, sondern uns selbst, das heißt: unsere eigenen Meinungen. – Sache des Unwissenden ist es, andere wegen seines Mißgeschicks anzuklagen; Sache des Anfängers in der Weisheit, sich selbst anzuklagen; Sache des Weisen, weder einen andern, noch sich selbst anzuklagen.
Törichter Stolz
VI. Sei auf keinen fremden Vorzug stolz. Wenn das Pferd sich stolz erhebend spräche: Wie schön bin ich!, so könnte man sich das gefallen lassen. Wenn aber du selbst voll Stolz sprächest: Welch ein schönes Pferd habe ich!, so wisse, daß du auf die Vorzüge deines Pferdes stolz bist. Was ist nun aber dein? – Der Gebrauch deiner Vorstellungen! – Wenn du also von deinen Vorstellungen einen naturgemäßen Gebrauch machst, dann magst du stolz sein; denn alsdann bist du stolz auf einen Vorzug, der dir gehört.
Zum Sterben fertig!
VII. Wenn du auf einer Seereise, während das Schiff im Hafen liegt, ausgehst, um Wasser zu schöpfen, so hebst du wohl nebenbei auch ein Muschelchen oder Zwiebelchen am Wege auf; deine Gedanken aber mußt du auf das Schiff gerichtet haben und fleißig zurückschauen, ob nicht etwa der Steuermann rufe; und wenn er ruft, so mußt du alle jene Dinge zurücklassen, damit du nicht gebunden hineingeworfen werdest wie die Schafe. So ist‘s auch im Leben. Wenn dir statt Zwiebelchen und Muschelchen ein Weibchen oder Kindchen geschenkt wird, so wird nichts dagegen einzuwenden sein. Wenn aber der Steuermann ruft, so renne zum Schiff und laß alle jene Dinge zurück, ohne dich auch nur umzuschauen. Bist du aber ein Greis, so entferne dich nicht einmal weit vom Schiff, damit du nicht zurückbleibest, wann jener ruft.
Schwimme nicht gegen den Strom
VIII. Verlange nicht, daß die Dinge gehen, wie du es wünschest, sondern wünsche sie so, wie sie gehen, und dein Leben wird ruhig dahinfließen.