»Bitte, Mom. Bitte! Wir waren noch nie auf einer Aftershow!«
»Du bist so …«, beginne ich.
»… ein Arsch, ich weiß.« Jaakko winkt ab. »Aber offenbar muss ich die Mädels bestechen, damit ich ein paar ungestörte Minuten mit dir reden kann, ohne dass du gleich wegrennst. Nicht wahr, Ladies?«
Max und Eve nicken begeistert und hechten zu Sam.
»Aber kein Alkohol!«, werfe ich wenig überzeugend hinterher. Ich schaue den Kids panisch nach und fühle mich wie Theseus in der Höhle des Minotaurus. Irgendwer hat den roten Faden durchgeschnitten und ich würde nie wieder zurückfinden.
Jaakko schweigt lange. Auch nachdem die Mädchen schon eine ganze Weile verschwunden sind, hat er nichts gesagt. Früher konnten wir stundenlang gemeinsam schweigen, ohne dass sich einer unwohl gefühlt hat.
Aber heute hat er etwas zu sagen. Ich will nicht in seiner Nähe sein und halte es kaum aus. Deswegen ist das ›gemeinsame Schweigen‹ diesmal umso unangenehmer.
Also kratze ich meinen ganzen Mut zusammen. »Sag endlich, was du sagen wolltest, damit ich verschwinden kann!«, blaffe ich und verschränke abweisend die Arme vor der Brust. Eine Geste, um so viel Abstand wie möglich zwischen uns zu bringen. Sinnlos.
Jaakko seufzt leise. »Ich wollte nicht, dass es so endet. Zwischen uns gab es noch so viele unausgesprochene Worte, aber du warst mit einem Mal weg.« Er schnippst mit den Fingern. »Von jetzt auf gleich, einfach weg. Und ich weiß nicht einmal, warum!« Er ringt um Beherrschung.
Ich schlucke. Natürlich war mir von Anfang an klar gewesen, in welchem Zustand ich ihn zurücklasse, wenn ich wortlos verschwinde. Aber wenn ich das Gespräch gesucht hätte, wäre ich bestimmt bei ihm geblieben. Ich stand ja praktisch mit dem positiven Test vor ihm, aber er war zu betrunken, um die Bedeutung des kleinen Stäbchens in meiner Hand zu begreifen. Dennoch kann ich nicht sagen, warum ich gegangen bin. Natürlich wegen dem Alkohol und weil ich fest davon überzeugt war, dass Abstinenz für ihn keine Option war, nicht einmal für ein Kind. »Ist dir wirklich nicht klar, warum ich gegangen bin?«
Jaakko atmet tief durch. »Wieso hast du es nie angesprochen? Ich hätte jederzeit mit dem Trinken aufhören können.«
»Pah! Das glaubst du doch wohl selbst nicht! Du warst doch ständig besoffen. Ich kann mich an keinen Tag erinnern, der nicht mit einem Bierchen hier und einem Bierchen da angefangen hat! Abends die harten Sachen, weil das Bier nicht mehr reichte!« Der Alkohol floss in Strömen. Damals glaubte ich, ganz am Anfang, dass es ›normal‹ sei. Jeder trank mal einen über den Durst. Aber mit der Zeit wurde es anders. Die Pain Guys hatten das Maß verloren. Sie waren nicht nur manchmal betrunken, es wurde zum Dauerzustand. Sie gingen ja nicht einmal nüchtern auf die Bühne. Kaum zu glauben, dass sie überhaupt eine gerade Liedzeile herausbrachten. Aber offensichtlich gehörte ein gewisser Alkoholpegel zur normalen Konzertvorbereitung und das konnte ich so nicht akzeptieren. Alkohol und Verantwortung für ein Kind? Das passte nicht zusammen.
Das war kein Leben für mich und schon gar nicht für meine Tochter. Ich stellte meine Gefühle zurück und ging.
»Ich habe aufgehört«, gibt er kleinlaut zu.
»Schön für dich. Aber mittlerweile habe ich eine Familie und stehe nicht mehr für deine Eskapaden zur Verfügung!« Zornig schiebe ich den Sessel zurück und stehe auf, bevor ich von allein in die Luft gehe. »Wir hatten unsere Zeit. Und du hast es ordentlich vergeigt«, füge ich hinzu.
Ich bin nur halb so aufgebracht, wie es scheint. Ich habe bloß schreckliche Angst, dass er nachdenken könnte und von selbst zur Lösung kommt. Das wäre eine Katastrophe. Denn es würde unweigerlich bedeuten, dass er an unserem Leben teilhaben darf. Das muss ich um jeden Preis verhindern. Es ist schon schwer genug für mich. Innerlich brenne ich für ihn, nur für ihn. Und die mühevoll errichtete Eisschicht schmilzt, je länger ich mich in seiner Nähe aufhalte. Sobald er die Wahrheit kennt, wird er und die Hitze zwischen uns nie wieder aus meinem Leben verschwinden.
Er würde meine Illusion der glücklichen Familie zerstören. Ich würde alles zerstören. Und das kann ich nicht zulassen.
Jaakko erhebt sich seufzend. »Ich weiß. Komm, ich bring dich zu deinen Mädels.« Er reicht mir seine Hand und grinst spitzbübisch. »Damit du dich nicht verläufst.«
So ein Arsch! Ich fluche und schimpfe innerlich, aber mir bleibt nichts anderes übrig, als mit Jaakko zu gehen. Wenn ich erst einmal meine Mädchen eingesammelt habe, werden wir uns schleunigst verziehen und dann ist Jaakko hoffentlich erneut aus meinem Leben verschwunden.
Aber mein Magen schwenkt vehement Protestschilder. Er krampft sich schmerzhaft zusammen und erinnert mich überdeutlich an meinen letzten Versuch, Jaakko aus meinem Leben zu drängen. Das Häufchen Elend von damals hat mein Mann mühsam zusammengekehrt und wiederaufgerichtet. Ich war zwar nie wieder dieselbe, aber Max zuliebe habe ich so getan, als ob. Ich war eine gute Schauspielerin und irgendwann wurde die Rolle zur Normalität. Doch jetzt in der Dunkelheit der Gänge, seine Finger mit meinen verflochten; wie Jaakko leise ein Liedchen summt, verliere ich mich. Lästige Tränen laufen mir über die Wangen und ich wische sie mit einer Handbewegung weg. Aber da meine Nase läuft, kann ich ein Schniefen nicht unterdrücken.
Jaakko dreht sich zu mir herum. In der Dunkelheit erkenne ich nur das weiße Blitzen seiner Zähne, er wirkt nachdenklich, scheint sich aber ehrlich über unser Treffen zu freuen.
Ich nicht. Okay, Moonstuck hat gerade eine erfolgreiche Tournee beendet und Jaakkos Kreislauf wird vermutlich mit Endorphinen überschüttet sein, die das Johlen und Kreischen der Fans bei ihm ausgelöst haben. Dennoch werde ich den Gedanken nicht los, dass seine überschwängliche Freude nicht nur mit den Fans zu tun hat. Und irgendwie komme ich mir schäbig vor, dass ich ihm das wieder nehmen muss.
Aber es hat keinen Zweck. Ich kann mich nicht auf ihn einlassen. Ich bin verheiratet, habe zwei Kinder und mit Jaakkos Lebenswandel abgeschlossen. Daran ändert seine Alkoholabstinenz nicht das Geringste. Letztlich habe ich mich für eine andere Zukunft entschieden.
Ich seufze schwer und schniefe noch einmal, als er mich durch eine große Flügeltür in einen abgedunkelten Saal zieht.
»Ist das eure Aftershow-Party?«, erkundige ich mich mit einem gewollt grimmigen Unterton und versuche, in der Dunkelheit meine Mädels ausfindig zu machen. Der Saal ist nicht allzu groß und ich kann in der diffusen Diskobeleuchtung nur wenige Menschen erkennen. Eve und Max sehe ich nicht. Leise Musik wird gespielt und es haben sich einige Pärchen zusammengefunden. Doch das interessiert mich nicht, ich will nur noch hier weg. Ab ins Hotel, schlafen gehen und morgen in aller Herrgottsfrühe nach Hause fahren.
»Wo sind die Mädchen?«, murmele ich in die Dunkelheit und will mich schon zwischen den Pärchen hindurchschieben, als ich mit einem Ruck herumgewirbelt werde. Bevor ich reagieren kann, drückt Jaakko mich an sich und legt eine Hand an meinen Rücken.
»Hey!«, protestiere ich lautstark, klinge aber nicht besonders überzeugend.
»Tanz mit mir«, haucht er und legt meine Hand, deren Finger immer noch mit seinen verflochten sind, in seinen Nacken. Meine andere Hand folgt ganz automatisch, so als wüsste mein Körper, was zu tun sei, obwohl mein Verstand ganz eindeutig auf roten Alarm schaltet. Die Warnsignale heulen in meinen Kopf auf, allerdings kann ich mich nicht dagegen wehren und verschränke die Hände in seinem Nacken. Sein Lächeln nehme ich nur als halbmondförmiges Blitzen wahr.
»Ich will nicht tanzen«, versuche ich, ihm zu widerstehen, mache aber keinerlei Anstalten, Jaakko von mir zu stoßen. Die sanften Bewegungen fühlen sich zu gut an, dazu seine Hände in meinem Rücken, auf meiner Taille, überall. Gott, wie berauschend. Der Alkohol aus den zwei Gläsern Sekt macht mich dösig und ich lege den Kopf an seine Brust. Jaakko ist etwas größer als ich, gerade so viel, dass er sein Kinn auf meinen Scheitel legen kann. Perfekt.
»Dafür