Verdammt!
»Also meine Herren, meine Dame, dann wollen wir mal los!« Ich nahm mir heraus, Jaakko noch einen Augenblick länger anzusehen, bevor er sich spöttisch vor mir verbeugte und mir mit einer einladenden Handbewegung den Vortritt ließ.
Na, das konnte ja heiter werden!
Ich hatte mir nie viel auf mich eingebildet. Gut, ich war schlank und nicht gerade klein und mir gefiel mein Haar. Ich war so stolz darauf, dass ich meine naturblonde Mähne gerne zur Schau stellte. Meistens trat ich leger auf, Jeans, Top, Jacke, Sportschuhe.
Ich wollte keine männliche Aufmerksamkeit. Ich wollte ich sein und mich wohl in meiner Haut fühlen. Doch jetzt schien ich genau das zu bekommen, was ich eigentlich vermeiden wollte. Jaakkos offenkundige Flirtbereitschaft war mir eindeutig zu viel und ich beschleunigte meine Schritte, um gleich hinter Herrn Schulze in den Aufzug zu schlüpfen.
Sami und die anderen folgten mir, Jaakko bildete das Schlusslicht.
»Das ist ein Förderkorb, den wir zur Einfahrt nutzen. Er wird uns auf über fünfhundert Meter in die Tiefe bringen.« Die Augen der Jungs wurden groß.
»Angst?«, spöttelte ich in Jaakkos Richtung.
Er schüttelte den Kopf und drängte sich neben mich. »Ich fürchte mich vor gar nichts, und du?« Lässig lehnte er sich neben mich an die Wand. Der Fahrstuhl besaß zwei Ebenen, so dass mindestens fünfzig Personen gleichzeitig transportiert werden konnten. Die obere Ebene erreichte man nur über eine Treppe, salzverkrustet und rostig. Ich zog allerdings vor, auf der unteren Ebene zu bleiben.
Fasziniert beobachtete ich das sanfte Zucken seines Kinns und bemerkte überhaupt nicht, wie der Korb geschlossen wurde und ruckartig in die Tiefe fiel. Eigentlich war das nichts Neues für mich. Ich kannte die Grubeneinfahrten und wusste, wie rasant es nach unten ging. Genauso wusste ich, dass das Licht für die Dauer der Fahrt erlosch.
Jaakkos Mienenspiel lenkte mich allerdings so sehr ab, dass ich erschrocken aufschrie, als der Korb in die Tiefe fiel und haltsuchend nach jemandem griff. Die Dunkelheit, das laute Rattern und die entsetzten Rufe seiner Bandkameraden irritierten mich, sodass ich erst mit Verspätung wahrnahm, dass ich mich an Jaakko klammerte und nicht an jemand anderen. Es konnte nur Jaakko sein. Er hatte ja beim Eintreten in den Korb noch neben mir gestanden.
Er legte einen Arm um mich und zog mich an sich. Ich spürte das Vibrieren seiner Brust unter meiner Hand, trotz der rasanten Abwärtsfahrt. Er beugte sich vor und seine Lippen streiften mein Ohr. »Ich habe keine Angst, und du?« Sein herber Duft vermischte sich mit dem salzigen Geruch nach Meer, seine Hand lag auf meinem Lendenbereich und es fühlte sich aus irgendeinem Grund richtig gut an.
Bei so viel Nähe sprang ich normalerweise davon, aber ich bewegte mich keinen Zentimeter. Und das lag nicht an der Enge des Förderkorbes. Ich genoss Jaakkos Nähe und konnte der Versuchung nur mit Mühe widerstehen, mein Ohr an seine Brust zu legen und dem beruhigenden Schlagen seines Herzens zu lauschen. Meine Nasenspitze berührte seine Brust und selbst über dem salzigen Geruch des Kittels roch ich noch sein Aftershave und etwas ganz anderes: ein interessantes Aroma wie nach einem morgendlichen Waldspaziergang. Ich verlor mich in diesem Duft, genoss seine Nähe und die Art, wie er mich hielt. So fest, dass ich das Ruckeln des Förderkorbes überhaupt nicht mehr wahrnahm und den heftigen Plumps, als er das Ende des Schachtes erreichte. Das Licht ging an und die Türen wurden geöffnet.
»Aussteigen«, murmelte er leise und lächelte mich liebevoll an.
Verwirrt hob ich den Kopf und sah in Jaakkos freundliches Gesicht. Seine Augen funkelten amüsiert, ohne den Spott, den er noch an der Oberfläche und bei unserem ersten Treffen in Jackys Büro gezeigt hatte. Er hielt sich an den von der Decke des Förderkorbs hängenden Haltegriffen fest, während er mit der anderen Hand noch immer meinen Rücken berührte.
Verlegen räusperte ich mich und trat ein Stück zurück. »Verzeihung«, murmelte ich und hetzte aus dem Korb, ohne ihn noch einmal anzusehen. Meine Wangen glühten und ich stolperte irritiert den anderen hinterher, die bereits ausgestiegen waren.
»Du musst dich nicht entschuldigen, ich stelle mich gerne als Haltegriff zur Verfügung.«
Abrupt blieb ich stehen. Da war er wieder, der spöttische, aber keineswegs abwertende Unterton.
Was bildete er sich sein? Ich spürte, wie noch mehr Blut in meine Wangen schoss. Wenn überhaupt möglich, wurde ich noch roter, doch dank der diffusen Lichtverhältnisse konnte er das bestimmt nicht sehen.
»Jaakko, Cat? Wo bleibt ihr denn?« Sami. »Und macht eure Helmlampen an! Ich dachte, du warst schon einmal hier, Cat!«
Hastig fingerte ich nach meinem Helm und verhedderte mich dabei in den Ärmeln meines viel zu großen Kittels.
Geistesgegenwärtig griff Jaakko nach meinem behelmten Kopf und die Lampe über meinem Kopf erhellte plötzlich sein Gesicht. Er grinste mich an.
Empört verzog ich das Gesicht.
»Ich kann das alleine!« Ich klang wie eine schmollende Dreijährige, aber er lachte, schnappte sich meine Hand und zog mich hinter sich her.
»Bevor du hier unten verloren gehst«, erklärte er.
***
Ein Hauch von Bergwerk steigt mir auch heute noch in die Nase, wenn ich an die Stunden dort unten denke. Ich war so oft dort, dass ich einfach weiß, wie es dort riecht. Vermischt mit dem Geschmack von Salz wird diese Erinnerung jedes Mal vor mir lebendig oder auch, wenn ich Meeresluft einatme.
Der VIP-Bereich ist so ausgerichtet, dass wir seitlich vor der Bühne stehen. Das Konzert ist zwar der Hammer, doch meine erste Euphorie ist schnell abgeklungen. Ich persönlich mochte die harten Bässe und die schmetternden Metal-Gesänge der Pain Guys. Jaakos neue Band ›Moonstuck‹ schlägt sanftere Klänge an, fast schon folklorisch. Jaakko wechselt immer wieder – je nach Song – zwischen Bass und Akustikgitarre. Die Musik ist gewöhnungsbedürftig, aber sie gefällt mir.
Nichtsdestotrotz habe ich noch immer Jaakkos Worte im Ohr, als er uns persönlich bei einem Security-Preisboxer abgegeben hat. »Ich würde mich gerne nach dem Konzert mit dir unterhalten«, hat er gemurmelt und mich eindringlich angesehen. »Dich wiederzusehen … lass uns einfach reden, ja? Ich will nicht …« Er brach ab und hat knapp gelächelt. »Lauf einfach nicht wieder weg, ja?«
»Doch!«, wollte ich schreien, aber da hat er sich umgedreht, dem Boxer zugenickt und ist verschwunden.
Jetzt stehen wir hier, die Mädchen drücken sich die Nasen an der Scheibe platt und schreien begeistert. Ich hingegen versuche, mich im Hintergrund zu halten. Zumal Jaakkos Blick immer wieder zu unserer Lounge huscht.
Ich lasse mich in einen Sessel fallen und nippe an einem Sekt, den mir ein aufmerksamer Kellner anbietet. Hier gibt’s sogar eine Bedienung! Ist das denn zu fassen? Auf einem Metal-Konzert in einer VIP-Lounge. Kopfschüttelnd schütte ich das ganze Glas auf einmal hinunter. Ich werde all meinen Mut brauchen, um Jaakko nachher gegenüberzutreten, denn so schnell kann ich mich nicht verziehen. Schon allein wegen der begeisterten Fans, die wie erschlagene Fliegen an der Scheibe kleben, sich gegenseitig fotografieren und bescheuerte Selfies verschicken. Ich lächele nachsichtig und beschließe, mir noch ein wenig mehr Mut anzutrinken.
»Mom! Mom!« Max kommt aufgeregt zu mir gelaufen und zieht mich so rasant aus dem Sessel, dass ich Sekt über meine Jacke verschütte.
Prächtig. Aber ich