Silvia Stolzenburg
Die Begine und der Siechenmeister
Historischer Kriminalroman
Zum Buch
Der Tod geht um Bereits vier Monate sind vergangen, seit Bruder Lazarus nach Rom beordert wurde, um den Oberen des Heilig-Geist-Ordens Rede und Antwort zu stehen. Seine heimliche Liebe, die junge Begine Anna Ehinger, bangt jeden Tag um ihn. Um sich abzulenken, arbeitet sie mehr denn je im Spital. Doch nachdem Lazarus aus Rom zurückgekehrt ist, begegnet er Anna mit einer für sie unbegreiflichen Kälte. Während die Trauer an ihr nagt, sucht eine Reisende Schutz bei den Beginen, deren Zustand sich schnell so verschlechtert, dass sie ins Spital eingeliefert werden muss. Dort verstirbt sie und bereits in der folgenden Nacht verschwindet ihr Leichnam aus der Spitalkapelle. Unterdessen tauchen kopflose Leichen in der Stadt auf, und bald machen Gerüchte über Menschenfresser und Wiedergänger die Runde. Als Anna auf dem Weg zum Funden- und Waisenhaus eine weitere Leiche entdeckt, gerät sie in höchste Gefahr. Denn derjenige, der für die Morde verantwortlich zu sein scheint, sperrt sie ein und fordert ihre Hilfe bei einem dämonischen Ritual …
Dr. phil. Silvia Stolzenburg studierte Germanistik und Anglistik an der Universität Tübingen. Im Jahr 2006 promovierte sie dort über zeitgenössische Bestseller. Kurz darauf machte sie sich an die Arbeit an ihrem ersten historischen Roman. Sie ist hauptberufliche Autorin und lebt mit ihrem Mann auf der Schwäbischen Alb, fährt leidenschaftlich Mountainbike, gräbt in Museen und Archiven oder kraxelt auf steilen Burgfelsen herum – immer in der Hoffnung, etwas Spannendes zu entdecken.
Impressum
Dieses Buch wurde vermittelt durch die
Autoren- und Projektagentur Gerd F. Rumler (München)
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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Sina Deter
Herstellung: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung der Bilder von: © Elnur / stock.adobe.com
ISBN 978-3-8392-6726-4
Widmung
Für Effan, die beste Hälfte
Prolog
Rom, Anfang September 1412
Obwohl er aus dem winzigen Fenster seiner Zelle kaum etwas sehen konnte, reckte Bruder Lazarus sich an diesem sonnigen Septembermorgen auf die Zehenspitzen, um wenigstens einen Blick auf das glitzernde Wasser des Tibers zu erhaschen. Seit seiner Ankunft in Rom vor mehreren Wochen durfte er sein Gefängnis nur zu den Stundengebeten und Messen verlassen, die in der Hospitalkirche gehalten wurden. Der Komplex des Hospitals Santo Spirito in Sassia war auf einem weiträumigen Grundstück angesiedelt, das Lazarus aus seiner Zeit in Rom gut kannte. Es wurde von vier Straßen und einer Piazza umschlossen, bestand aus einem langgestreckten Bau, zahlreichen Innenhöfen mit Brunnen und kleinen Nebengebäuden. In dem Teil des Gebäudes, in dem Lazarus sich befand, herrschte vollkommene Stille. Nur das Lachen der jungen Männer unter den Zypressen am Ufer des Tibers wurde vom Wind in seine Zelle getragen.
Die Burschen wirkten unbeschwert und übermütig und schienen nur mit halbem Eifer bei der Arbeit zu sein. Während sie Netze in ihre Fischerboote warfen, sahen sie einer Gruppe junger Frauen hinterher, die tuschelnd die Köpfe zusammengesteckt hatten. Über ihnen wippten Vögel auf den Ästen der Bäume, die sich in der sanften Brise bewegten. Das Interesse der Frauen galt einer prächtigen Kutsche auf der Piazza, die von vier glänzenden Pferden gezogen wurde. Zwar war das Wappen auf den Türen aus der Entfernung nicht auszumachen, aber Lazarus vermutete, dass es sich um einen Sohn oder eine Tochter aus reichem Hause handelte. Immer wieder beklagten sich die Ordensmitglieder bei der Obrigkeit, dass einige Bürger den gebührenden Respekt in der Nähe der Hospitalkirche vermissen ließen. Doch diese Beschwerden stießen meist auf taube Ohren.
Mit einem Seufzen trat Lazarus vom Fenster zurück und kniete sich vor den kleinen Altar in der Ecke seiner Zelle. Während seine Finger eine Perle seines Rosenkranzes nach der anderen betasteten, flehte er um Vergebung für seine zahllosen Sünden. Die Strafe, die ihn erwartete, fürchtete er nicht so sehr wie den Zorn Gottes. Durch seine Schwäche, seine sündige Begierde für die Begine Anna, hatte er gegen das Gelübde des Gehorsams verstoßen. Als Mitglied des Heilig-Geist-Ordens war es ihm strikt untersagt, der fleischlichen Lust nachzugeben, auf einen Verstoß standen drakonische Strafen.
Die Gefühle, die er für Anna Ehinger hegte, quälten ihn trotz all seines Flehens um Läuterung immer noch. Allein die Erinnerung an ihre Berührung, ihre weichen Lippen, sorgte dafür, dass seine Körpersäfte ins Ungleichgewicht gerieten. Die Angst, die er ausgestanden hatte, als er fürchten musste, sie nie mehr lebend wiederzusehen, hatte ein Loch in sein Herz gefressen, das nicht mehr zu verschließen war. In den Momenten der Schwäche wünschte er sich nichts sehnlicher, als den Orden zu verlassen, um sie zu bitten, seine Frau zu werden.
Aber das war unmöglich.
Er vergrub das Gesicht in den Händen und betete immer verzweifelter. Ein Austritt aus dem Orden war ihm verwehrt, außer er wählte eine Bruderschaft mit strengeren Regeln. Lief er davon, drohten ihm Ächtung und die Exkommunikation durch den Papst. Seine Seele würde für eine solch ungeheuerliche Sünde ewig im Fegefeuer brennen. Wagte er dennoch den törichten Schritt und verließ ohne Erlaubnis den Orden, griff man ihn früher oder später gewiss auf und brachte ihn zurück. Dann erwarteten ihn entweder eine furchtbare Züchtigung, Degradierung oder Kerkerhaft.
»Barmherziger Vater, gib mir die Kraft, diese Prüfung zu bestehen«, flüsterte er. »Lasse Dein Angesicht leuchten über mir und behüte mich vor den Versuchungen Satans. Leite mich zurück auf den rechten Pfad und …« Ein Geräusch, das die Stille durchbrach, ließ ihn innehalten. Deutlich war das Hallen von Schritten im Kreuzgang vor seiner Zelle zu hören.
Lazarus umklammerte den Rosenkranz fester. War jetzt endlich die Zeit gekommen? Wurde heute das Urteil über ihn gefällt? Erwarteten ihn Jahre der Kerkerhaft? Er senkte den Kopf und hoffte, dass all sein Flehen, sein Bitten und seine Buße nicht umsonst gewesen waren. Denn obwohl er versuchte, sich davon zu überzeugen, dass er Anna aus seinem Herzen gerissen hatte, war der Gedanke an sie sein ständiger Begleiter. Was, wenn man ihm verwehrte, nach Ulm zurückzukehren? Oder ihn in ein anderes Land schickte? Als ein Schlüssel ins Schloss gesteckt