Das Stuttgarter Hutzelmännlein. Märchen. Eduard Friedrich Mörike. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eduard Friedrich Mörike
Издательство: Bookwire
Серия: Reclams Universal-Bibliothek
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783159617275
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      Eduard Mörike

      Das Stuttgarter Hutzelmännlein

      Märchen

      Reclam

      1970, 2020 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

      Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

      Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

      Made in Germany 2020

      RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

      ISBN 978-3-15-961727-5

      ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014021-5

       www.reclam.de

      [5]Vorwort zur ersten Auflage

      Die gegenwärtige Erzählung war schon längst, als Seitenstück zu einer ähnlichen1, entworfen und blieb unausgeführt, bis dem Verfasser neuerdings die Skizze wieder in die Hände fiel und ihn zur guten Stunde an eine fast vergessene kleine Schuld erinnerte.

      Indem dies Märchen ganz den schwäbischen Charakter tragen, und dieser seinen Ausdruck so viel möglich auch in der Sprache finden sollte, kam dem Verfasser der Umstand zugute, dass ihm von einem frühern, mehrjährigen Verkehr mit unserm Volke viele Eigentümlichkeiten derselben, einzelne Wörter und Redensarten vollkommen gegenwärtig geblieben waren. Manches floss ihm auf anderm Wege zu, vornehmlich aus einer genauern Bekanntschaft mit Joh. Chr. v. Schmids schwäbischem Wörterbuch, einer in Schwaben viel zu wenig verbreiteten, unschätzbaren Arbeit. Die Worterklärungen und was dazu gehört, im Anhang der Erzählung, sind, mit wenigen Ausnahmen, dem eben genannten Werke entnommen.

      Stuttgart, im Dezember 1852 Mörike

      [6]Ein Kobold gut bin ich bekannt

      In dieser Stadt und weit im Land;

      Meines Handwerks ein Schuster war

      Gewiss vor siebenhundert Jahr.

      Das Hutzelbrot ich hab erdacht,

      Auch viel seltsame Streich gemacht.

      [7]Wohl vor fünfhundert und mehr Jahren, zu denen Zeiten, als Graf Eberhard von Wirtemberg, ein tapferer Kriegsheld und ruhmvoller Herr, nach langen, schrecklichen Fehden mit des deutschen Reichs Häuptern, mit dem Habsburger Rudolph und dessen Nachfolgern, zumal auch mit den Städten, das Schwabenland nun wieder zu Ruh und Frieden kommen ließ, befand sich in Stuttgart ein Schustergesell, namens Seppe, bei einem Meister, der ihm nicht gefiel, deshalb er ihm aufsagte; und weil er nie gar weit vor seine Vaterstadt hinausgekommen, nicht Eltern, noch Geschwister mehr hatte, so war er jetzt willens zu wandern.

      Die letzte Nacht, bevor er reiste, saß er allein in der Gesellenkammer auf (die andern waren noch beim Wein oder sonst zu Besuch), sein Ranzen lag geschnürt vor ihm, sein Wanderstab daneben, der hübsche Bursche aber hing den Kopf, er wusste nicht so recht warum, und auf dem Tisch die Ampel brannte einen großen großen Butzen. Indem er jetzt aufschaute und nach dem Klämmchen griff, dem Zochen zu helfen, sah er auf seiner leeren Truche ein fremdes Männlein sitzen, kurz und stumpig, es hätte ihm nicht bis zum Gürtel gereicht. Es hatte ein schmutziges Schurzfell um, Pantoffeln an den Füßen, pechschwarze Haare, dazu aber hellblaue, freundliche Augen.

      Gott grüß dich, Seppe! Kennst mich nit? Ich bin der Pechschwitzer, das Hutzelmännlein, der Tröster. Ich weiß, du bist ein braves Burgerskind, sorgst immerdar für anderer Leute Fußwerk und gehst doch selbst nicht auf dem besten Zeug. Da du nun morgen reisen willt, so hab ich dir statt einem Wanderpfennig etwas mitgebracht von meiner [8]eignen Arbeit: sind Glücksschuh, zwei Paar, schau her. Die einen legst du an, gleich morgen; sie ziehen sich nach dem Fuß und reißen nicht dein Leben lang; die andern aber nimm und stell sie unterwegs an eine Straße, versteh mich, unbeschrien, wo niemand zusieht. Vielleicht dass dir dein Glück nach Jahr und Tag einmal auf Füßen begegnet. Auch hast du hier noch obendrein etwas zum Naschen, ein Laiblein Hutzelbrot. So viel du davon schneidst, so viel wachst immer wieder nach im Ranzen oder Kasten, wenn du auch nur ein Ränftlein fingersbreit übrig behältst. Ganz sollt du’s nie aufzehren, sonst ist es gar. Behüt dich Gott, und tu in allem wie ich sagte. Noch eins: kommst du etwa ins Oberland, Ulm zu und gen Blaubeuren, und findst von ungefähr ein Klötzlein Blei, nimm es zuhanden und bring’s mir. – Der Seppe versprach’s und dankte geziemend für alles; das Männlein aber war in einem Hui verschwunden.

      Nun jauchzte der Geselle überlaut, beschmeckte bald das Brot, beschaute bald die zwei Paar Schuhe. Sie sahen ziemlich aus wie er sie selber machte, nur dass sie feine wunderliche Stiche hatten und hübsch mit einem zarten, roten Leder ausgefüttert waren. Er zog sie an, spazierte so ein Dutzend Mal die Kammer auf und ab, da ihm denn in der Kürze freilich nichts Besonderes von Glück passieren wollte. Darnach ging er zu Bett und schlief bis der Morgen rot wurde. Da deucht’ es ihn, als wenn ihm jemand klopfte, zwei-, dreimal, recht vernehmlich, dass er jählings erwachte. Die andern hörten’s auch, doch schliefen sie gleich wieder ein. Das haben meine vier Rappen getan! dachte er und horchte hin, allein es rührte und regte sich nichts mehr.

      Als er nun fix und fertig angezogen stand und gar vergnügt auf seine Füße niedersah, sprach er: jetzt laufen wir [9]dem Teufel ein Bein weg! jetzt tausche ich mit keinem Grafen! – Wohl und gut; nur eine Kleinigkeit hat er versehen: er hat den einen Schuh von seinem Paar mit dem einen vom andern verwechselt. Ach wer ihm das gesagt hätte!

      So schlich er denn leis die Stiege hinunter, die Meistersleute nicht zu wecken; denn Abschied hatte er gestern genommen, und statt der Suppe aß er gleich ein tüchtiges Stück Schnitzbrot in währendem Gehen. So etwas hatte er noch niemals über seinen Mund gebracht, wohl aber oft von seiner Großmutter gehört, dass sie einmal in ihrer Jugend bei einer Nachbarsfrau ein Stücklein vom echten bekommen, und dass es eine Ungüte von Brot drum sei.

      Wie er jetzt vor dem oberen Tor draußen war, zween Bogenschüsse oder drei, kam er an eine Brücke: da musste er ein wenig niedersitzen, die Türme seiner Vaterstadt, das Grafenschloss, die Häuser und Mauern noch einmal in der Morgensonne besehen; dann, eh er weiterging, fiel ihm noch ein: hier könnt ich das Paar Schuh auf den Brückenrand stellen. Er tat’s und zog fürbass. – Eine Stunde über die Weinsteig hinaus kommt er in einen grünen Wald. Von ungefähr hört er auf einer Eiche den blauen Montag schreien, welches ein kurzweiliger Vogel ist, der seinen Namen davon hat, dass er immer einen Tag in der Woche mit der Arbeit aussetzt; da singt er nichts als Schelmenlieder und schaut gemächlich zu, wie andere Vögel ihre Nester richten, brüten und ihre Jungen ätzen; die seinigen krepieren ihm auch ordinär, deswegen er ein Raritätsvogel ist. So einen muss ich haben! denkt der Seppe: ich biet ihn einem großen Herrn an unterwegs. Ein sonderer Vogel ist oft gern zwei Kälber wert, die Hepsisauer haben ihre Kirchweih um einen Guckigauch verkauft: wenn ich nur einen Taler löse, [10]tut mir’s wohl. Wie komm ich nur gleich da hinauf? – Seiner Lebtage hat er nie klettern können, diesmal aber ging’s, als hätten ihrer Sechs an ihm geschoben, und wie er droben ist, da sieht er sieben Junge flügg, mit blauen Köpfen im Nest! Er streckt schon eine Hand darnach – krach! bricht ein fauler Ast, und drunten liegt der Schuster – dass er nicht Hals und Bein brach, war ein Wunder. Ich weiß nicht, sagte er, indem er aufstand und die Platte rieb, was ich von dem Pechschwitzer denken soll; das ist kein mutiger Anfang!

      Zu seinem Trost zog er sein Schnitzbrot aus dem Ranzen und fand dasselbe wahrlich beinah schon wieder rund und ganz gewachsen. Er sprach dem Laiblein aber im Marschieren so lang zu, bis ihm ganz übel ward, und deuchte ihn, er habe sich für alle Zeit Urdrutz daran gegessen. Sei’s drum! ein Sprüchlein sagt: es ist nur geschlecket, das nimmer klecket.

      Sein Sinn war allermeist auf Augsburg oder Regensburg gerichtet, denn diese Städte hatte er vor manchen andern rühmen hören; zuvörderst wollte er aber nach Ulm.

      Mit großen Freuden sah er bald von der Bempflinger Höhe die Alb, als eine wundersame blaue Mauer ausgestreckt. Nicht anders hatte er sich immer die schönen blauen Glasberge gedacht, dahinter, wie man ihm als Kind gesagt, der Königin von Saba Schneckengärten liegen. Doch war ihm wohl bekannt, dass oben weithin wieder Dörfer seien, als: Böhringen, Zainingen,