Togt. Edeltraud-Inga Karrer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Edeltraud-Inga Karrer
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347144729
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      Togt

      Edeltraud-Inga Karrer

Lektorat:Sabine Remde
Cover-Design:Anne Jonnek

      Verlag und Druck:

      tredition GmbH, Halenreie 42, 22359 Hamburg

      ISBN:

Paperback:978-3-347-14470-5
Hardcover:978-3-347-14471-2
E-Book:678-3-347-14472-9

      Druck in Deutschland und weiteren Ländern

      Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische und sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

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      Edeltraud-Inga Karrer

      Togt

      Roman

       1. Kapitel

      Kalter, unbarmherziger Wind weht durch die Straßen der Stadt, hält kurz den Atem an – alles erstarrt – dann atmet er aus und in alles gerät wieder Bewegung, als sei sie nie unterbrochen worden. Letzte trockene Blätter, Todesboten der wenigen Bäume, treiben widerspruchslos vor der Böe her, landen in Pfützen, in denen sie sich kurz drehen, um dann irgendwo am Rand des Bordsteins hängenzubleiben. Krähen segeln kreischend zu Hunderten über die Felder und den Ort. Bedrohlich scheinen sie sich auf die Häuser stürzen zu wollen, drehen kurz vorher ab und lachen krächzend über die Angst der Menschen.

      Der Wind kostet seine vorübergehende Macht weidlich aus, taumelt lächelnd in Siegesfreude und zieht weiter.

      Der Ort ist grauenhaft. Wolkenkissen schieben sich, den Platz des Windes einnehmend, grau und tränenschwer zu einem dicken dunklen Vorhang zusammen. Trübe Fensteraugen beobachten die Straße, deren Asphalt nun im einsetzenden Regen wie grauer Marmor schimmert – ein Spiegel des finsteren Himmelszeltes.

      Dieses Stück Erde ist nicht gräulich, es ist tiefgrau, wie die Gesichter seiner Bewohner und ihre Haare, die sich mit der Zeit des angstvollen Wartens angepasst haben.

      Hier sind Schwarz und Weiß solange aufeinandergeprallt, bis nur noch ein fahles Grau übriggeblieben ist.

      Das Prasseln des Regens und das Kreischen der schwarzen Vögel übertönt ein neues Geräusch, ein bekanntes und furchteinflößendes. Pferdehufe nähern sich, erkennbar an dem rhythmischen Klang, mit dem sie herangallopieren, eine imposante Kutsche hinter sich herziehend.

      Bange Blicke hinter blinden Fensterscheiben starren dem Gefährt entgegen. Jeder hofft, dass er auch dieses Mal verschont bleibt und die Kutsche mit ihrem schaurigen Fahrgast nicht vor seinem Haus stoppt. Solange diese Gefahr noch nicht vorbei ist, wird die Luft angehalten. Dann begleitet ein tiefes erleichtertes Aufstöhnen das langsam verklingende »Ho, Ho«, sein schrilles, bösartig triumphierendes Lachen und das nicht aufhörende Peitschenknallen.

      Er macht sich einen großen Spaß daraus, die Menschen zu Tode zu erschrecken. Er hasst sie. Sie haben ihm nie ein Leid angetan – doch was spielt das für eine Rolle? Er hasst sie stellvertretend fürIHN, der ihm eine so tiefe Verletzung zugefügt hat.

      Er hat Tausende von Jahren seinen Plan akribisch ausgearbeitet und sein Ziel niemals aus den Augen verloren.

      Zunächst beobachtete er sie nur, geduldig und jedes ihrer Verhaltensmuster studierend, wie ein Hund seinen Herrn nicht aus den Augen lässt, um ihn verstehen zu lernen.

      Und plötzlich, die alte Betha öffnet ihre Haustür! Sie können es nicht glauben, was sie da sehen. Ist die Alte noch bei Verstand? Eben erst ist er vorbeigefahren. Er könnte umdrehen, zurückkommen und Betha mitten auf der mit Schlaglöchern übersäten Straße antreffen. Keiner mag sich ausmalen, was dann geschähe.

      Doch die Alte humpelt zielstrebig in dieselbe Richtung, die auch die Kutsche genommen hat.

      Was will sie? Wohin eilt sie? Ihre zerlumpten Kleider hängen an dem mageren Körper herab, wärmen sie nicht mehr, doch Betha friert nicht. Sie hat ein Ziel, von dem niemand mehr etwas weiß. Vielleicht noch Hinz, der im selben Alter ist wie sie. Er könnte noch ahnen, wohin sie strebt.

      Ihr Rheuma macht ihr bei diesem nasskalten Wetter schwer zu schaffen. Doch sieht es niemand, wie sehr es sie quält. Forsch schreitet sie voran und hat nach kurzer Zeit den Schmerz vergessen.

      Knappe zehn Kilometer, sie weiß es noch genau. Zehn Kilometer, dann kommt der Wald, dort muss sie hindurch, dann ist die alte bröcklige Mauer erreicht. Sie war sicher schon zehn Jahre nicht mehr dort. Es ist verboten, streng verboten! Wer sich bisher bei diesem Gesetzesbruch erwischen ließ, ist nie zurückgekommen. So verschwanden nach und nach die jungen Leute aus dem Dorf. Hinz hatte ihnen erzählt, wie es hinter der Mauer aussieht.

      Nun sind nur noch die Menschen hier, die zuviel Angst hatten, sich ebenfalls auf den Weg zu machen. Und Hinz ist isoliert. Niemand will mehr etwas mit ihm zu tun haben. Er trägt die Schuld dafür, dass die Eltern und Großeltern ihre Kinder und Enkel nicht mehr wiedersahen.

      Betha war in den vielen Jahren still gewesen und ist es noch immer. Doch nun hat sie einen Entschluss gefasst, den sie mit niemandem besprechen kann, aber wie sie in den letzten Jahren gelebt hat, so möchte sie nicht weiterleben. Sie kann dieses »Ho, ho« nicht mehr ertragen. Diese atemlose Stille, nicht einmal mehr ein Flüstern ist zu vernehmen. Niemand traut dem anderen. Die Angst lähmt die Menschen in dieser Stadt. Auch sie, Betha, ist durch diese Angst stumm und starr geworden, die sich wie ein klebriger Nebel über alles und alle gelegt hat.

      Sie wird wachgehalten durch ihn, der mit seinen Kontrollbesuchen und willkürlichen Verhaftungen die Nachbarn zu Feinden gemacht hat. Jeder wünscht sich, es träfe ihn nicht, lieber den anderen, der nebenan oder eine Straße weiter wohnt.

      Immer wieder hatte sie gehofft, es würde einmal ein Wunder geschehen und alles würde sich ändern, andere Gesetze würden erlassen und sie könnten wieder, wie zuvor, in Freiheit und Ruhe leben. Doch dieser Traum erfüllte sich nicht. Im Gegenteil, die Welt wurde immer kälter und unbarmherziger.

      Doch in der vorigen Nacht, als sie kaum geschlafen hatte, sich von einer auf die andere Seite drehte, erinnerte sie sich, wie so oft, an Theo, an eine Zeit, in der die Sonne schien, Wärme ihr Herz umarmte und die Liebe dieses so verkannten Mannes sie einhüllte.

      »Theo, lieber Theo«, ging es ihr durch den Kopf. »Warum war ich damals nur so dumm, dich zu verlassen, den einzigen Menschen, der mich liebte, um Hinz zu folgen?«

      Hinz sprudelte vor Ideen, steckte sie an, mit seinen Träumen vom großen Geld, vom Luxus, von der Freiheit, sich alles leisten zu können, was sie sich wünschten. Er versprach ihr, sie auf Händen zu tragen. Sie würde jeden Wunsch, noch ehe er ausgesprochen sei, erfüllt bekommen.

      Er hatte einen Beruf, bei dem er durch geschicktes Lavieren und Taktieren, so manches lukrative Geschäft einfädelte. Bis die Menschen, mit denen er seinen Handel trieb, ihm auf die Schliche kamen, war er schon wieder weit fort.

      Er hielt sein Wort. Es gab nichts, worauf sie verzichten musste.

      Doch als sie eines Tages den Wunsch äußerte, ein Kind zu bekommen, war es mit seiner Freundlichkeit vorbei. Er wollte das Leben mit ihr genießen und kein Geschrei von einem kleinen Quälgeist ertragen. Um ihr zu zeigen, wie unabhängig sie sein könnten, wenn sie darauf verzichtete, Mutter zu werden, starteten sie zu einer zweijährigen Weltreise.

      Nichts, was von Bedeutung war, entging ihnen. Sie sahen alles und kehrten fast übersättigt, durch die Eindrücke, die sie von überall her mitbrachten, zurück. Dann war es eines Tages zu spät für ein Baby.

      Sie wurde depressiv und Hinz konnte ihre immerwährende Traurigkeit auf die Dauer nicht ertragen. Aus Vorwürfen und Angriffen wurde mit der Zeit Schweigen. Stumm lebten