LANDEBAHN. Stefan Gross. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefan Gross
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347074958
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      STEFAN GROSS

      LANDEBAHN

      STEFAN GROSS

      LANDEBAHN

      Roman

      Veröffentlicht als

HardcoverISBN 978-3-347-07494-1
PaperbackISBN 978-3-347-07493-4
E-bookISBN 978-3-347-07495-8

      Verlag & Druck: tredition GmbH

      Halenreie 40-44 / 22359 Hamburg

      Umschlagillustration: Tomuli Design

      Coverfotos: iStock (front), Stefan Gross (rear)

      Copyright: Stefan Gross

      Deutsche Erstausgabe 2020

       Nicht für dich wurde die Welt erschaffen.

       Du wurdest für sie geboren.

       Adieu, Almond,

       Mandelauge.

       Ich will nach Hause.

       Dort stapeln sich die Kirschblüten

       bis unters Dach und verfaulen.

       Ich werde Feuer legen müssen.

       Mit dem Ruß schwärze ich die Tempeltüren.

       Außen.

       Adieu, Almond.

       (Carl an Shakti)

      Juni

      Die langen hellen Tage verführten uns dazu, noch weniger zu schlafen als sonst. Um fünf standen wir auf, machten uns Kaffee und setzten uns raus auf die Terrasse. Der Himmel über München sah metallisch aus. Ihm fehlte die typische, meiner Wahlheimat nachgesagte, Heiterkeit. Die kleinen Wolken waren geometrisch exakt über die Fläche verteilt, ein bisschen wie das bayerische weißblaue Rautenmuster.

      »Zirruswolken«, sagte ich.

      »Sieht cool aus, Carl«, sagte Alice. »Die Kondensstreifen bringen ein bisschen Pep ins Bild.«

      »So als Signatur der Globalisierung?«, fragte ich.

      Alice Antwort war ein langes, genüssliches Gähnen. Es war eindeutig zu früh und die Stimmung zu friedlich für eine Debatte über den Zustand der Welt. Sie schlürfte den Rest Milchkaffee aus ihrer XXL-Tasse und stellte sie zögernd auf den mintgrünen Metalltisch. »Ich muss los, auch wenn ich am liebsten zu Hause bleiben würde. Der Verkehr macht mich irgendwann fertig.« Sie stand auf und ging ins Bad.

      Alice war Biologin. Sie arbeitete am Frauenhofer-Institut und beschäftigte sich mit plastikfressenden Mikroorganismen. Häufig steckte sie im Stau und entwickelte dann immer abgefahrenere Ideen. Sie glaubte noch an die Rettung der Welt durch die guten Taten der Wissenschaft und auch an einen Home-Office-Arbeitsplatz.

      Wir hatten unser Haus in Garching erst vor einem halben Jahr gekauft, ein Reihenhaus aus den Achtzigern, mit weißen, großformatigen Fliesen im Flur und einem klobigen Treppengeländer aus Stahlrohren. Küche und Wohnbereich lagen auf versetzten Ebenen. Es gab nur wenige Wände. Von der Küche aus konnte man das ganze Erdgeschoss überblicken. Bei der Besichtigung hatten wir uns gleich vorstellen können, wie hier unsere Kinder herumspringen, zwei mindestens, die hier Geburtstage feiern mit unzähligen Freunden, die Luftschlangen durch die Wohnung blasen, Getränke verschütten und im Garten herumtoben würden. Eine Horde gefräßiger, brüllender Monster, die ich vom Grill fernhalten müsste. Unser Kinderwunsch war ein Thema, das uns ziemlich beschäftigte. Alice war zweiunddreißig und ich fand, das sei kein Grund zur Eile, aber ja, natürlich, auch ich wollte Kinder mit ihr.

      Ich wäre am liebsten auch zu Hause geblieben. Schon seit Tagen hatte ich ein leichtes, rätselhaftes Fieber, aber keine Erkältungssymptome. Ich führte es auf eine Hepatitis-Impfung vor einigen Tagen zurück. Vielleicht war es auch eine psychosomatische Reaktion auf meine bevorstehende Geschäftsreise nach Indien. Ich sollte dort die Fusion einer deutsch-amerikanischen Ingenieursgesellschaft mit einem neu akquirierten indischen Partner begleiten. Die Aussicht auf einen zweiwöchigen Aufenthalt in diesem Land begeisterte mich nicht gerade. Ich mochte Indien nicht. Ich hatte darüber nur frustrierende Bilder im Kopf: chaotische Städte, Elend, Schmutz und viel zu viele Menschen. Indien stellte ich mir vor wie die wahrscheinlichste Version unserer näheren globalen Zukunft. Ich hatte ein ernstes Motivationsproblem und als Unternehmensberater war die Motivationsfrage für mich äußert wichtig. Ich versuchte, mich für Indien zu motivieren, aber es gelang mir einfach nicht.

      Ich arbeitete bei Richard Mertens Consulting. Richard kannte ich schon seit vielen Jahren und war einer der ersten gewesen, die damals bei ihm anfingen. Sein Unternehmen war anfangs nicht viel mehr als ein Netzwerk befreundeter Berater gewesen, für die Richard Aufträge beschaffte, meist von Klienten der Industrie. Ich liebte ihn für seinen äußerst strapazierfähigen Optimismus und eiferte ihm nach. Ich hatte ihn an der Uni kennengerlernt. Er hatte einen Lehrauftrag für Wirtschaftspsychologie. Damals war Richard ein Visionär. Wir wollten die Welt verändern. Ich glaubte an seine grüne Agenda und war fasziniert von der spirituellen Dimension, die er in unserer Arbeit sah. Schamanismus und Marketing (Nichts ist unmöglich…) gingen für ihn ebenso zusammen wie Künstliche Intelligenz und Meditation. Doch mittlerweile war ich ziemlich ernüchtert von der Strahlkraft unserer Vision. Unsere Klienten wollten nur scheinbar grüner, nachhaltiger, und fairer werden.

      Wir wurden für Greenwashing eingespannt, propagierten die New Work Culture und warfen Leute raus, die nicht mehr ins Konzept passten; Leute wie Brauer, ein unbequemer Ingenieur mit dem ich heute einen Termin hatte. Oft kam ich mir nur noch vor wie ein hilfloser Beobachter des gerade stattfindenden Weltuntergangs.

      Doch wovon träumte ich? Von einem richtigen Leben im falschen? Das war der Traum meiner gescheiterten 68er Adoptiveltern, die mich falsch erzogen hatten. Meine wirklichen Eltern kannte ich nicht. Ich dachte oft an sie, betrachtete mich im Spiegel und zerbrach mir den Kopf darüber, wer sie waren. Ob sie jemals an mich dachten? Vielleicht waren sie nicht mehr am Leben. Es war völlig sinnlos, über sie nachzudenken. Es gab keine Antwort.

      Ich nahm unsere überdimensionierten Kaffeetassen, ging in die Küche, packte sie in die Spülmaschine, steckte ein Tab ins Fach, stellte sie an und hörte dem sanften Brummen noch eine Weile zu.

      Alice kam und präsentierte sich in weißen Jeans, grüner Bluse und weißen Sneakers. Ihre rotblonden Haare trug sie als Pferdeschwanz.

      »Die reinste Morgenröte«, pries ich sie, trat zu ihr, wollte sie umarmen, aber sie rümpfte die Nase und hielt mich mit ausgestrecktem Arm auf Distanz.

      »Du bist noch nicht geduscht, Carl Hammer!«

      »Ja klar«, sagte ich und schnupperte den Duft, den sie verströmte. Ich mochte ihr zitroniges Deo. Alice grinste aufgeräumt, grüßte militärisch und trat ab.

      .»Kann spät werden heute Abend«, rief ich ihr hinterher. Die Haustür fiel ins Schloss. Ein paar Sekunden später hörte ich sie mit ihrem hellgrauen 1er BMW an der Terrasse vorbeirauschen.

      Ich nahm eine Ibuprofen, duschte mich und fuhr zu meinem Kunden.

      Brauer

      starrte zur Decke, wo eine Etage über uns die arbeiteten, die er stets nur als die da oben bezeichnete. »Die da oben, die müsste man alle… besonders die verfluchten Weiber mit ihren…«

      »Was?«, unterbrach ich ihn scharf. Brauer, dieser ganz und gar bayerische Mensch, spielte den von völlig überzogenen Verdächtigungen gekränkten männlichen Kollegen und warf theatralisch den Kopf in den Nacken. Brauer war leitender Ingenieur unseres Klienten S&T - Solutions&Technologies. Ich sollte Brauer motivieren, für S&T nach Indien zu gehen. Er war Ende Fünfzig, galt als stur und hatte nicht die geringste Lust dazu.

      S&T war aus