Schattenklamm. Mia C. Brunner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mia C. Brunner
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839249604
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Oberwachtmeisterin Schneible beugte sich hinunter und blickte durch die geöffnete Fahrertür in den Wageninnenraum und direkt in Paulas tiefen Ausschnitt, die sich weit hinübergebeugt hatte, um von dem Geschehen draußen nichts zu verpassen. Jessica schüttelte seufzend ihren Kopf, verdrehte ihre Augen und flüsterte ein »Na, herzlichen Dank« in die kalte Nachtluft.

      Als Polizistin Schneible sich wieder aufrichtete und sich nach einigen Sekunden scheinbar von Paulas Anblick erholt hatte, setzte sie erneut ihr überheblich grinsendes Gesicht auf.

      »So, liebe Frau Grothe. Würden Sie mir bitte zum Wagen folgen. Schauen wir doch einmal, ob ich Ihren Führerschein gleich behalten darf.« Sie packte Jessica an der linken Schulter und schob sie vorweg zum Kleinbus und durch die geöffnete Seitentür. Dort wartete ein großer, schlaksiger Polizist an einem kleinen Schreibtisch, nahm den Führerschein an sich und lächelte Jessica freundlich entgegen.

      »Frau Grothe, wie ich sehe«, sagte er nach einem Blick auf ihre Papiere. »Nehmen Sie Platz. Wenn Ihnen kalt ist, dann schließen wir die Tür.« Er strich sich beinahe schüchtern eine Haarsträhne seines haselnussbraunen Haares aus der Stirn und griff nach einem Kugelschreiber. »Nehmen wir erst einmal Ihre …«

      »Halt«, unterbrach ihn seine resolute Kollegin. »Zuerst einen Alkoholtest. Die hat getrunken«, befahl sie, drehte sich um, ließ den jungen Mann mit Jessica allein und die Seitentür weit offen.

      »Ist Ihnen kalt?«, fragte der Polizist erneut und machte Anstalten, sich zu erheben.

      »Nein, nein. Kein Problem«, hielt ihn Jessica zurück. »Machen Sie bitte nur schnell diesen Test. Ich bin wirklich froh, wenn ich weiterfahren kann. Es ist schon so schrecklich spät.« Sie schob sich in die Bank ihm gegenüber, legte ihre Hände flach auf den Tisch vor sich und wartete.

      Kurze Zeit später, nach Aufnahme ihrer Personalien und der Ermahnung für zu schnelles Fahren, las der junge Polizist das Alkoholkontrollgerät ab, lachte triumphierend und verkündete: »Nullkommanull. Ha, das wird ihr gar nicht gefallen.« Er überreichte ihr den Führerschein und wünschte ihr noch eine gute Heimfahrt, dann entließ er Jessica aus dem Polizeibus, nicht ohne seiner Kollegin mit Handzeichen und fröhlichem Lächeln verständlich zu machen, dass alles in Ordnung sei.

      Nur sehr widerwillig ließ Frau Schneible Jessica schließlich weiterfahren.

      »So eine blöde Kuh«, schimpfte Paula vom Beifahrersitz und kicherte dann plötzlich hinter vorgehaltener Hand. »Hihi, das passt ja. Scheißbullen …«, betonte sie jede einzelne Silbe des Wortes und wippte dabei langsam mit dem Kopf nach links und rechts. Ihr erhobener Zeigefinger tippte im gleichen Takt in die Luft. »… blöde Kuh. Haha, verstehst du, Jess? Weibliche Polizisten sind natürlich Kühe und keine Bullen. Komisch, oder?« Paula hielt sich den Bauch vor Lachen und krümmte sich in ihrem Sitz nach vorn.

      Jessica gab Gas.

      Zweimal am gleichen Abend wurde man bestimmt nicht angehalten.

      Kapitel 3

      »Fantastischer Mohnkuchen, Susi. Herrlich locker und leicht, nicht zu süß. Genau richtig«, lobte Elfriede Grothe ihre jüngere Tochter und hob mit elegant abgespreiztem kleinen Finger ihre Kaffeetasse zum Mund, nahm einen großen Schluck und lächelte begeistert.

      »Danke, Mutti«, trällerte Susanne und sah zu ihrer Schwester hinüber, »aber das Lob muss ich an Jess weitergeben. Sie hat den Kuchen gemacht.« Liebevoll legte sie Jessica ihre Hand auf den Unterarm. Die Augen ihrer Mutter schnellten zu ihrer älteren Tochter und sie nickte dieser schließlich wohlwollend zu.

      »Ja, ich und Svenja haben gestern gebacken. Aber die Tischdecke, die hat Susi gebügelt. Toll, nicht? Das hätte ich niemals so gut hinbekommen.« Lauthals lachend schlug sie sich mit den Händen auf die Oberschenkel und zwinkerte ihrer kleinen Schwester zu. Jessica wusste, wie sehr es ihrer Mutter zuwider war, am Tisch und vor allem beim Essen, derart laut zu lachen. Schon lautes Sprechen war ihrer Meinung nach nicht schicklich, doch Jessica hatte das nie gestört und auch Susi stimmte jetzt in ihr Lachen mit ein. Ihr Vater Herbert allerdings tupfte sich schnell mit seiner Serviette ein paar imaginäre Kuchenkrümel von seinen Lippen und versteckte so ein viel zu breites Grinsen.

      »Schön habt ihr es hier«, sagte er schließlich mit einem Blick in den kleinen Garten hinter der großen Fensterfront im Wohnzimmer. »Der Garten ist aber noch nicht fertig«, entschied er schließlich.

      »Wir haben gestern aber schon Blümchen gepflanzt, Opa«, meldete sich jetzt die kleine Svenja zu Wort. Susannes Tochter rutschte vom Esszimmerstuhl, lief zu ihrem Großvater und kletterte auf seinen Schoß. »Jetzt schlafen sie aber noch«, verkündete sie und legte ihm ihre kleinen Ärmchen um den Hals. »Erst im Frühjahr kommen sie heraus …«

      »Im Frühjahr oder in Australien …«, warf Jessica ein und sorgte damit wieder für ausgelassene Stimmung.

      Über den Besuch ihrer Eltern freuten sich die beiden Schwestern sehr. In Hamburg hatte sich die Familie regelmäßig getroffen und Zeit miteinander verbracht. Seit ihrem Umzug vor gut vier Monaten waren sie nicht mehr zusammengekommen, was bei einer Entfernung von guten 800 Kilometern auch nicht verwunderlich war. Auch Wolfgang hatte von Anfang an zur Familie gehört, war herzlich in ihren engen Kreis mit aufgenommen worden und wurde von ihren Eltern wie ein drittes Kind geliebt. Der Verlust ihres Schwiegersohns hatte auch Elfi und Herbert Grothe schwer getroffen.

      Als ehemaliger Kriminalhauptkommissar war Jessicas Vater erschüttert über den Mord an einem Kollegen. Obwohl er seit guten fünf Jahren im Ruhestand war, nahmen ihn solche Schreckensmeldungen nach wie vor unheimlich mit und er wollte über den Stand der Ermittlungen ausführlichst unterrichtet werden. Dass er, genau wie seine Tochter, keinen Hinweis auf den Mörder sehen und finden konnte, nahm ihn beinahe genauso mit wie der eigentliche Verlust seines geliebten Schwiegersohnes. Herbert Grothe war Kriminalbeamter mit Herz und Seele. Seine Beliebtheit im Revier und seine immer professionelle Arbeit machten es Jessica nicht leicht, in seine Fußstapfen zu treten. Dennoch musste sie zugeben, dass wohl vor allem der gute Name und die empfehlenden Worte ihres Vaters ihren eigenen raschen Karriereaufstieg gefördert hatten. Mit 29 Jahren bereits zur leitenden Hauptkommissarin ernannt zu werden, war selten und ungewöhnlich. Nicht wenige ihrer Kollegen beneideten sie damals, doch sie strafte alle Zweifler Lügen, indem sie genau wie ihr Vater sauber, präzise und erfolgreich arbeitete.

      Ihr Vater hatte ihren Ausstieg aus dem Polizeidienst nicht gutgeheißen. Für ihn war ihre Aufgabe ein Zeichen von Schwäche und entsprach in keiner Weise seinem persönlichen Lebensmotto. Jessicas Vater war der Meinung, dass nur sehr wenige Menschen tief in ihrer Seele so gut waren, dass sie sich in ihrem Leben nicht anstrengen mussten, um auf dem rechten Weg zu bleiben. Die meisten Menschen hatten dunkle Flecken auf der Seele und mussten sich tagaus, tagein bemühen, ihre schlechte Seite zu unterdrücken, um wirklich gut zu bleiben.

      Und Jessica hatte mit ihrem Ausstieg aus dem Polizeidienst einen Schritt in die falsche Richtung getan. Sie sah an den enttäuschten Augen ihres Vaters und seinem durchdringenden Blick, dass sie seiner Meinung nach den größten Fehler ihres Lebens gemacht hatte. Doch gesagt hatte er nie etwas. Rein äußerlich hatte er ohne Murren ihre Fehlentscheidung scheinbar respektiert.

      »Guck mal, Opa«, plapperte Svenja weiter, die ihren Großvater durch die Terrassentür in den kleinen Garten gezogen hatte und jetzt mit ihm vor dem dunklen und leeren Beet am Gartenzaun stand, »hier schlafen die kleinen Tulpen.« Dann sah sie ihren Opa mit großen runden Kinderaugen an und lächelte ihm entgegen. »Und da hinten soll die Sandkiste für mich und Tobi stehen.« Sie deutete mit ihrem kleinen Zeigefinger an den Rand der gefliesten Terrasse und erinnerte ihren Opa an das Versprechen, das er ihr noch in Hamburg gegeben hatte.

      Herbert Grothe brach in schallendes Gelächter aus. »Das hast du also nicht vergessen!«, polterte er, hob seine Enkeltochter hoch in die Luft und drückte sie dann fest an sich. »Gleich morgen gehen wir in den Baumarkt und kaufen dir und deinem Bruder die versprochene Sandkiste. Ihr müsst mir aber helfen, sie aufzubauen, okay?«

      »Klar, Opa. Das machen wir.«

      Klaus Vollmer verließ als einer der letzten den Baumarkt, in