Schattenklamm. Mia C. Brunner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mia C. Brunner
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839249604
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Forster beugte sich nach vorn, verschränkte seine Arme vor sich auf dem Tisch und stützte seinen Körper auf die Ellenbogen, dann legte er seinen Kopf leicht schräg und lächelte verstohlen, bevor er seinen Blick abwandte und aus dem Fenster sah. Der Kommissar hatte ein markantes Profil, eine gerade Nase, einen leichten Ansatz von Bart und dunkle Augen mit für einen Mann sehr langen Wimpern. Seine Haare waren beinahe schwarz, im Nacken kurz geschnitten, doch ansonsten recht lang und leicht gewellt. Jessica schätzte ihn auf Mitte 30, aber nicht nach seinem Aussehen, sondern mehr nach der Tatsache, dass er bereits Hauptkommissar war. Rein äußerlich sah er jünger aus.

      »Ich habe Sie falsch eingeschätzt«, ergriff Herr Forster schließlich das Wort und sah ihr jetzt direkt in die Augen. Jessica hielt seinem Blick stand. »Ich kann Menschen eigentlich ganz gut beurteilen. Bei Ihnen habe ich mich geirrt, Frau Hauptkommissarin Grothe.« Jetzt grinste er und zeigte eine ganze Reihe ebenmäßiger und weißer Zähne. Dann biss er sich auf die Unterlippe und wartete gespannt auf Jessicas Reaktion.

      »Sie haben also recherchiert«, stellte sie zaghaft lächelnd fest. »Die Spur in Richtung Hamburg ist also doch nicht so unbedeutend.«

      »Wer weiß das schon«, erwiderte Florian Forster leise und starrte sie weiterhin an. Er wollte jetzt nicht über die Arbeit sprechen. Viel lieber wollte er, dass sie weiterredete. Ihre Stimme war einfach großartig, melodisch mit einem leicht erotischen Unterton, der ihn faszinierte und fesselte zugleich. Warum war ihm ihre Stimme beim letzten Gespräch nicht aufgefallen? Außerdem liebte er, wie ihre Lippen sich bewegten, wenn sie sprach. »Ich jedenfalls muss mich bei Ihnen entschuldigen«, sagte er schließlich, als von ihr nichts kam.

      »Wofür?«

      Viel zu kurze Frage.

      »Für meine beweismangelnde Einschätzung«, gab er zu und überlegte fieberhaft, wie er sie zum Reden bringen konnte, denn sie schwieg. Zurzeit sah es fast so aus, als würde das Gespräch gleich zu Ende sein.

      Die Bedienung brachte die Getränke.

      »Wieso haben Sie Ihren Beruf aufgegeben?«, fragte er und sah im gleichen Moment in ihrem Gesicht, dass genau das die falsche Frage war. Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen und sie kniff fest ihren Mund zusammen. Dann verschränkte sie die Arme vor der Brust und schaute jetzt ihrerseits aus dem Fenster.

      »Ich hatte meine Gründe und das ist privat«, erklärte sie nüchtern, dann griff sie nach dem Wasserglas und trank es in einem einzigen Zug leer. »Ich geh dann jetzt mal …«

      Noch bevor sie sich erheben konnte, griff Florian Forster nach ihrem Arm und schüttelte den Kopf.

      »Bitte bleiben Sie«, flüsterte er, ließ sie aber schnell wieder los und legte seine Hand zurück auf den Tisch. »Ich …«

      Jessica entspannte sich etwas, lehnte sich langsam in ihrem Stuhl zurück, überschlug ihre Beine, legte beide Hände auf ihr Knie und wartete geduldig.

      Florian Forster starrte sie an und suchte nach den richtigen Worten.

      »Ich …«, begann er erneut und rieb sich dann beruhigend mit Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand über seinen Nasenrücken. »Um ehrlich zu sein«, gab er schließlich zu und konnte nicht umhin, wieder breit zu grinsen, allerdings schwang dieses Mal ein Hauch von Schüchternheit in dieser Geste mit, »ich wollte Sie eigentlich einfach nur wiedersehen.«

      Sein Geständnis verschlug Jessica die Sprache. Mit leicht geöffnetem Mund starrte sie den Kommissar verwundert an, fing sich schließlich und schüttelte zaghaft den Kopf.

      »Also«, sagte sie schließlich verblüfft, »das hätte ich jetzt nicht erwartet.«

      »Und? Wo ist er?« Neugierig schaute Susanne links und rechts an ihrer Schwester vorbei, als diese am Morgen aus ihrem Zimmer im Keller kam und müde die Treppe hinaufschlurfte. Sie hatte sehr lange wach gelegen und ihr Kopf schmerzte höllisch aufgrund des Schlafmangels und der unermüdlichen Gedanken über den gestrigen Abend.

      »Oh Mann, Susanne! Du verbreitest eine Hektik«, stöhnte Jessica, schob ihre Schwester mit einem Arm beiseite und ging durch den kleinen Flur in die Küche. »Wo sind die Aspirin?«

      Susanne tanzte aufgeregt um sie herum.

      »Hast du Kopfweh?«, fragte sie eher belustigt als bedauernd und zeigte dann auf den Hängeschrank über der Küchenzeile.

      Jessica öffnete den Schrank, kramte in den diversen Medizinverpackungen herum und fand schließlich die Schmerztabletten. Sie drückte gleich zwei aus der Verpackung und wollte gerade ein Glas aus dem Schrank daneben holen, als ihre Schwester ihr schon eine mit Wasser gefüllte Tasse unter die Nase hielt.

      »Und jetzt erzähl«, bestimmte sie aufgeregt. »Ist er noch da?«

      »Wer ist noch da?« Genervt schluckte Jessica die Pillen und verzog angewidert das Gesicht. »Was ist denn mit dir los?«

      Triumphierend lächelnd lehnte sich Susanne an den Rand der Spüle, presste ihre Handflächen vor ihrer Brust zusammen und tippte beschwörend die Zeigefinger aneinander, eine Eigenart, die sie immer hatte, wenn sie besonders aufgeregt war.

      »Ich war gestern noch wach, als du nach Hause gekommen bist. Übrigens viel früher als erwartet, aber das ist jetzt egal«, plapperte sie wild drauflos und Jessica war es in diesem Moment ein Rätsel, wie ihre Schwester als Anwältin jemals ein vernünftiges Plädoyer zustande brachte. »Und ich habe dich reden und lachen gehört.« Jetzt nickte sie bestimmend und wartete auf eine Erklärung.

      »Ach so«, sagte Jessica müde, rieb sich mit der Faust über ihr Auge und gähnte herzhaft. »Das meinst du. Ich habe telefoniert«, erklärte sie und wollte die Küche wieder verlassen, doch Susanne versperrte ihr den Weg.

      »Nee, so leicht kommst du nicht davon. Mit wem hast du denn telefoniert? Gib’s zu, es war ein Mann!«

      »Oh Mann, Susanne!«, stöhnte Jessica erneut. »Ja, es war ein Mann. Ich habe mit Martin aus Hamburg gesprochen, nur mal so. Seit er vor kurzem hier in Kempten war, ruft er ab und zu mal an. War ja auch schade, dass er sich davor so lange nicht gemeldet hat. Er gehörte schließlich fast schon zur Familie.«

      Enttäuscht trat Susanne beiseite und ließ ihre Schwester endlich aus der Küche und aus ihren Fängen. »Und ich dachte, du hättest endlich mal jemanden abgeschleppt«, brummte sie fast tonlos vor sich hin. »Da arbeitest du schon in einer Kneipe und lernst trotzdem keinen Mann kennen.«

      Doch dann änderte sich urplötzlich ihre Stimmung und sie strahlte übers ganze Gesicht.

      »Wie geht’s denn Martin? Was hat er erzählt? Kommt er mal wieder nach Kempten?«

      Jessica berichtete ausführlich über ihr Telefonat mit Martin und erwähnte ganz kurz, dass die Polizei in Hamburg im Mordfall Wolfgang Reuter immer noch im Dunkeln tappte. Sie wollte ihre Schwester nicht beunruhigen oder gar traurig machen, weil man den Mörder ihres Ehemannes nun vermutlich gar nicht mehr überführen würde. Der Mord war jetzt beinahe ein Jahr her und war von Anfang an undurchsichtig und mehr als rätselhaft gewesen. Es gab von Beginn an wenig Hoffnung auf eine Klärung, deshalb lohnte es kaum, sich weiter den Kopf darüber zu zerbrechen. Jessica selbst allerdings dachte fast täglich über diesen Fall nach, obwohl sie bereits seit Monaten nicht mehr auf dem Laufenden gewesen war. Immer und immer wieder überlegte sie, ob sie etwas vergessen oder etwas übersehen hatte, doch sie konnte keinen Fehler finden.

      »Hier in Kempten kommen sie scheinbar mit dem Baumarktmörder auch nicht voran«, sagte Jessica schließlich, mehr, um vom Thema Wolfgang abzulenken, als das Gespräch weiter aufrechtzuerhalten. Am liebsten hätte sie sich jetzt verabschiedet und die nächsten Minuten unter der heißen Dusche verbracht, um ihren Kopf frei zu bekommen und endlich richtig wach zu werden. »Florian hat erzählt, dass der Fall sehr zäh ist und wenig Hinweise aufwirft. Sie tappen scheinbar auch im Dunkeln.«

      Susanne, die neues Futter für ihr heutiges Lieblingsthema witterte, lächelte zufrieden.

      »Florian?«, fragte sie amüsiert. »Du hast den Hauptkommissar noch einmal gesprochen? Interessant.«