Schattenklamm. Mia C. Brunner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mia C. Brunner
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839249604
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nur ein dummer Zufall. Auch die Telefonverbindungen in Wolfgangs Handy und die seines Festnetzanschlusses waren im letzten Jahr überprüft worden. Jessica musste, obwohl es ihr gänzlich widerstrebte, auch kurzzeitig wegen eventuellen Korruptionsverdachts ermitteln, doch wie Jessica bereits vermutete, bestätigte sich dieser Verdacht nicht. Ihr Schwager hatte absolut keine ungewöhnlichen Verbindungen aufrechterhalten. Auch Anrufe nach Süddeutschland hatte er in den letzten zwei Jahren seines Lebens nicht geführt. Die Beamten, die speziell für die Überprüfung der Telefondaten abgestellt worden waren, hatten keine derartigen Unregelmäßigkeiten oder unerklärlichen Fernverbindungen festgestellt. Hauptwachtmeister Reuter blieb auch nach seinem Tod ein angesehener und korrekter Beamter, der niemandem etwas schuldig geblieben war.

      Wenige Minuten später joggte Jessica über die kleine Rasenfläche vor dem Endreihenhaus, bog um den großen Lorbeerbusch und verlangsamte ihr Tempo erst kurz vor der Kelleraußentreppe. Sie stieg die Stufen hinunter, schloss die schwere Metalltür auf und trat in den Kellergang und in das rechts angrenzende Badezimmer.

      Als sie um Punkt 10 Uhr frisch geduscht und dick eingepackt in ihren alten grünen Frotteebademantel das Wohnzimmer betrat, traf sie nur auf ihren Vater. Er saß auf dem beigen Ledersofa, die Beine lässig übereinandergeschlagen und Kopf und Oberkörper hinter einer Zeitung verborgen.

      »Guten Morgen, Jessica«, dröhnte sein tiefer Bass hinter der Tageszeitung hervor. »Dein Frühstück steht noch auf dem Tisch. Warst du Laufen?« Er klappte umständlich die viel zu große Zeitung zusammen und kam herüber, um sich gemeinsam mit seiner Tochter an den Esstisch zu setzen.

      »Guten Morgen, Paps.« Jessica gab ihrem Vater einen Kuss auf die Wange. »Laufen beruhigt mich«, sagte sie nur, setzte sich und griff nach der Thermoskanne mit dem heißen Wasser. »Möchtest du auch noch einen Tee?«

      »Gern.« Ohne Jessica aus den Augen zu lassen, schob er ihr eine leere Tasse entgegen und stützte dann seine Ellenbogen auf den Tisch und sein Gesicht in seine Hände. »Deine Mutter ist mit deiner Schwester zu diesem Hauptkommissar Forster gefahren, um ihre Aussage zu machen. Sie gehen im Anschluss noch durch die Stadt ein wenig Bummeln«, erklärte Herbert Grothe seiner Tochter, als diese sich fragend im Wohnzimmer umsah. Jessica lächelte. Ihr Vater hatte die erschreckend fantastische Gabe, Gedanken zu lesen. Zumindest hatte man als sein Gesprächspartner oft dieses Gefühl. Dabei besaß er einzig und allein eine ausgezeichnete Menschenkenntnis und das Talent, Gesten richtig zu deuten.

      »Worum geht es denn eigentlich?«, fragte er schließlich, griff nach dem kleinen silbernen Löffel neben seiner Tasse und rührte fast gedankenverloren in dem heißen Teewasser herum. Der Faden des Teebeutels in seiner Tasse wickelte sich dabei immer mehr um den kreisenden Löffel, doch Herbert Grothe störte sich nicht daran.

      Jessica berichtete ausführlich von den wenigen Erkenntnissen zu dem Baumarktmord, als würde sie wie in alten Zeiten einen eigenen Fall mit ihrem Vater besprechen und auf seinen Rat oder eine zündende Idee hoffen. Doch mit ihren schwammigen und ungenauen Angaben konnte auch der Hauptkommissar A. D. nichts anfangen.

      »Scheint ein interessanter Fall zu sein«, grübelte Jessicas Vater mehr für sich. »Und wenn die Beamten solchen Kleinsthinweisen wie Telefonnummern im Handy nachgehen, dann haben sie vermutlich nicht gerade viele Hinweise am Tatort gefunden. Vielleicht erfahren die anderen später mehr.« Mit den »anderen« meinte er seine jüngere Tochter Susanne und seine Frau. Auch Jessica brannte bereits gespannt darauf, mehr zu erfahren. Vielleicht war dieser Hauptkommissar Forster bei ihrer Schwester etwas zugänglicher und rückte endlich mit mehr Informationen heraus. Gestern noch hatte sich Jessica ganz fürchterlich über diesen arroganten Schnösel von Kriminalbeamten geärgert. Der glaubte doch tatsächlich, er wäre etwas Besseres und er könne sie behandeln, wie es ihm beliebte. Doch jetzt schmunzelte sie beinahe über dieses steinzeitlich männliche Verhalten ihres Allgäuer Kollegen. Immerhin hatte er mit seiner überheblichen Art genau das erreicht, was er erreichen wollte, und dabei nur die nötigsten Informationen preisgegeben. Er war zwar unausstehlich, aber scheinbar wirklich ein Profi.

      Dem geballten mädchenhaft schüchternen Charme ihrer Schwester allerdings würde er kaum etwas entgegenzusetzen haben. Soweit sich Jessica erinnerte, gelang es ihrer Schwester bisher immer mühelos, jeden Mann in ihren Bann zu ziehen, um den Finger zu wickeln und schließlich mit dieser komplett gegensätzlichen Vorgehensweise genau wie Florian Forster alle Informationen zu bekommen, die sie haben wollte.

      »Susi macht das schon«, bestimmte Jessica schließlich und zwinkerte ihrem Vater wissend zu. Herbert Grothe brach in schallendes Gelächter aus.

      Während der wenigen letzten Tage des Besuches ihrer Eltern war der Mordfall immer noch Hauptgesprächsthema und wurde erst ad acta gelegt, als Elfriede Grothe wütend mit der Faust auf den Tisch schlug und verkündete, dass sie von dieser Sache jetzt wirklich genug hätte. Natürlich schlug sie nur verbal und auch das sehr gesittet, denn Elfriede Grothe widerstrebte jede Art von Kontrollverlust gänzlich, sodass lediglich ihre Augen sich zu schmalen Schlitzen verengten und ihre Worte streng, aber gewählt und bedächtig klangen. Und Jessicas Mutter hatte recht. Weitere Ermittlungen hatten ergeben, dass im Handy des Mordopfers die Rufnummernunterdrückung eingeschaltet war und niemals vom Festnetzanschluss der Familie Reuter ein Gespräch zu diesem Mobiltelefon getätigt wurde. Es gab also offensichtlich keine Verbindung ihrer Familie zu diesem armen Herrn Vollmer.

      Wie Jessica bereits vermutet hatte, war ihre Schwester Susanne nach ihrem Termin im Polizeirevier mit einigen neuen Erkenntnissen zur Sachlage nach Hause gekommen und hatte gänzlich Freude daran gehabt, Jessica und ihren Vater mit den neuen Informationen zu füttern.

      Klaus Vollmer war demnach auf dem Weg von seiner Arbeitsstelle nach Hause gewesen. Er hatte also im Baumarkt gearbeitet, war scheinbar nicht sonderlich reich gewesen und hinterließ eine Frau und drei kleine Kinder. Einen wirklichen Grund für die Tat konnten die Beamten bisher noch nicht ausmachen. Sie vermuteten eine Eifersuchtstat, doch seine Frau hatte ein Alibi und es gab auch keine Hinweise auf eine mögliche Geliebte. Geldsorgen waren bei dieser Familie das einzig erkennbare Problem und schlossen somit auch Mord aus Habgier und einen Raubüberfall aus. Trotz der Redseligkeit des Kommissars bekam Susanne leider keine Auskünfte über mögliche Spuren am Tatort oder Informationen über den Freundes- und Bekanntenkreis des Opfers, wie sie bedauernd, doch schelmisch grinsend ihren wissenshungrigen Angehörigen mitteilte. Susanne hatte, wie nicht anders erwartet, einen hervorragenden Job gemacht, als sie all diese Informationen mit wenigen charmanten Augenaufschlägen dem Hauptkommissar aus den Rippen geleiert hatte.

      Schließlich reisten ihre Eltern nach zehn Tagen wieder ab und im Reihenhaus Grothe kehrte der Alltagstrott zurück.

      Susanne arbeitete wieder vormittags in der Kanzlei, die Kinder besuchten Schule und Kindergarten und Jessica verbrachte ihre Abende in der Kneipe und bediente mehr oder weniger betrunkene und mehr oder weniger sympathische Menschen, wobei das eine nicht unbedingt etwas mit dem anderen zu tun hatte.

      Der Mordfall Vollmer geriet mehr und mehr in Vergessenheit und auch die regionale Presse verlor merklich das Interesse an diesem Verbrechen. Die anfänglich dramatischen Schlagzeilen wurden abgelöst von banalen Alltagsinformationen über bevorstehende Herbstbasare oder die Rede des Bürgermeisters zur Einweihung des neuen Gemeindezentrums.

      In Kempten kehrte wieder Ruhe ein.

      So richtig wohl fühlte sich Martin hier auf dem Bauernhof nicht. Seine Kollegin Renate hatte ihm die kleine Ferienwohnung auf dem Hof ihrer Schwiegereltern günstig vermittelt und er selbst hatte das Gefühl, er müsste unbedingt mal raus, unbedingt einmal weit weg von Hamburg Urlaub machen, so dass er dankbar das Angebot annahm. Jetzt allerdings bereute er diese Entscheidung. Die beiden älteren Verwandten von Renate belegten ihn fortwährend mit Beschlag und scheuchten ihn auf dem Hof herum, als wäre er ihr Angestellter. Vermutlich dachten sie, wenn er schon so günstig wohnte, könne er ein wenig bei der Hofarbeit helfen, um die Unmengen an Nebenkosten, die er durch seine Anwesenheit verursachte, abzuarbeiten. Das Frühstück allerdings war gut, deftig und mehr als ausreichend. Er köpfte sein Frühstücksei, das auf den Punkt genau richtig gekocht war und hervorragend schmeckte, und streute etwas Salz darauf.

      Das Treffen mit Jessica vor ein paar Tagen war