Sorcha konnte sich um solche Dinge keine Gedanken machen. Tief im Inneren tat es ihr weh, Menschen nicht zu helfen. Sie hatte das Gefühl, dass alles Teil ihrer Gabe war, und es gab kein Entrinnen. Jeder in ihrer Familie hatte etwas Besonderes an sich. Bei ihr war es, anderen zu helfen, und das Verständnis ihrer Emotionen war der erste Schritt, um sie von innen und außen zu heilen. Sie würde das Risiko eingehen, als Hexe bezeichnet zu werden, weil die Alternative ihr den Magen umdrehte. Eine Krankheit zu ignorieren, könnte mit einem sicheren Tod enden, und sie konnte nicht mit dieser Möglichkeit leben.
Sie hielt an, um etwas Rosenwurz am Rand der Klippe zu sammeln und steckte sie in ihre Schürzentasche. Die Pflanze wuchs dort und half bei bestimmten Krankheiten. Um ehrlich zu sein, war sie sich nicht ganz sicher, wie sie funktionierte, aber manchmal, wenn bestimmte Wunden hell und rot entzündet waren, konnte die Rosenwurz verwendet werden, um sie zu heilen.
Lachlan kicherte und rannte über das Feld hinter ihr. Sie drehte sich um und schirmte ihre Augen ab, damit sie ihn besser sehen konnte. Der Junge stolperte über seine Füße und stürzte einen kleinen Hügel hinunter. Er setzte sich auf, schüttelte den Kopf und rannte dann wieder los.
»Och, Junge«, sagte sie und lachte dann. »Du wirst noch mein Ende sein.«
Es gab keine Kräuter mehr zu sammeln, und es war an der Zeit, wieder reinzugehen. Sie hatte am Tag zuvor eine Inventur gemacht, und die meisten Kräuter waren alle auf Lager. Sorcha brauchte nur ein paar Dinge, und sie konnte später in die Stadt gehen, um sie den Kassen des Ladens hinzuzufügen.
»Ma«, rief er ihr zu. »Fang mich.«
Es war ein Spiel, das sie oft spielten, und sie gab nach, wann immer es möglich war. Sie jagte ihm hinterher, als sein Lachen im Wind widerhallte. Lachlan rannte so schnell, wie es seine kleinen Beine zuließen. Er war ein kleiner Junge von fünf Jahren, und er war vom ersten Tag an ein glückliches Kind gewesen. Sorcha hatte ein schönes Leben, und ihr Sohn war ihre größte Freude. Sie würde alles für ihn tun.
Sorcha hob ihre Röcke an und rannte schneller. Sie erreichte Lachlan und lehnte sich herunter, um ihn in ihre Arme zu nehmen. »Da ist ein braver Junge«, sagte sie und küsste dann seine Wangen. »Es ist Zeit für ein Nickerchen.«
»Nein«, sagte er und verzog seine Lippe zu einem schmalen Schmollmund.
»Doch«, sagte sie ihm. »Kleine Jungs brauchen eine angemessene Ruhepause, damit sie zu starken Männern werden.« Sie kuschelte sich an ihn. Sein Unmut überkam sie. Lachlans Traurigkeit wurde lange genug ein Teil von ihr, sodass sie sie lindern konnte. Bald war sein Lächeln wieder breit auf seinem Gesicht und seine fröhliche Stimmung schien durch. »Das ist mein Junge. Bist du bereit zu gehen?«
Er nickte. »In Ordnung, Mama.«
Sie trug ihn zurück zu ihrem Ferienhaus am Meer. Sie brauchten nicht viel, und sie kümmerte sich ohne Hilfe um das Haus. Sie war mit Dienern aufgewachsen, denn ihr Vater war ein großer Lord in der Gegend gewesen. Ihre Familie war schon immer ein Teil der Dalais-Baronie gewesen. Ihr Bruder, Niall, war nun der Baron, da ihr Vater vor einigen Jahren gestorben war. Sie hatte eine Schwester, Caitrìona, die mit dem städtischen Schmied verheiratet war. Sie hätten wahrscheinlich eine bessere Partie für sie einrichten können, aber Liebe zu finden, war wichtiger als Status. Ihre Familie war nicht gut, ohne dass eine starke Emotion sie zusammenbrachte.
Sie näherten sich der Hütte, und Sorcha runzelte die Stirn, als sie bemerkte, dass jemand davor stand und verzweifelt auf und ab ging. Als sie näher kam, erkannte sie den Pfarrer Tamhas Gall. Er war groß, schlaksig und hatte ein nervöses Zucken. Sein braunes Haar war genauso glanzlos wie seine schlammig braunen Augen. Er drehte seinen Hut in seinen Händen, während er darauf wartete, dass sie sich näherten.
Etwas an dem Pfarrer war ihr schon immer missfallen, aber sie hatte das für sich behalten. Er hatte eine liebe Frau, die sein voreingenommenes Temperament wieder gutmachte.
»Guten Tag«, begrüßte Sorcha ihn. Sie setzte sich zu Lachlan und fragte: »Wie geht es Ihnen?«
»Mir geht es gut«, sagte der Pfarrer. »Im Dorf sagt man sich, dass Sie Kenntnisse über Medizin haben.«
Das war ein schmaler Grat. Sie sollte nicht offen ihre Affinität zu ihren Kräuterkenntnissen zugeben. Das allein könnte sie wegen Hexerei vor Gericht bringen. Die meisten Leute fragten sie nicht gleich geradeheraus. Sie wollten nicht die einzige Person verlieren, die in der Lage war, ihr bei ihren Beschwerden zu helfen. Der Pfarrer hätte jedoch kein Problem damit, sie einem Hexenjäger zu übergeben.
»Wer hat Geschichten über mich erzählt?«, fragte sie vorsichtig.
»Bitte«, flehte er, als er nach vorne trat. Pein vermischt mit Angst hallte in diesem einen Wort nach. »Meine Frau ist in ihrem Kindbett. Es ist schon Stunden her, und ich fürchte um sie und das Kind.«
Mehr brauchte Sorcha nicht zu hören. Beitris Gall brauchte sie, und sie würde alles tun, was sie konnte, um sie zu retten. »Ich muss Lachlan zum Dalais-Anwesen bringen, bevor ich zu Ihrer Frau komme.«
»Wir können ihn auf dem Weg mitnehmen«, sagte er, als er auf seine nahegelegene Kutsche zusteuerte. »Sie müssen sich beeilen. Ich …«
»Sagen Sie nichts mehr«, hielt Sorcha ihn auf. »Sie können es auf der Fahrt erklären.« Sie hatte den ganzen Morgen Kräuter gesammelt. Die meisten von ihnen würden Beitris’ Zustand nicht helfen, aber sie wollte keine Zeit mit dem Sortieren von den Dingen in ihrem Korb verschwenden. Es war einfacher, das ganze Zeug mitzunehmen und das, was sie brauchte, im Haus des Pfarrers zu sortieren.
Sorcha hob Lachlan hoch und setzte ihn auf den Kutschensitz, dann schloss sie sich ihm an. Der Pfarrer wartete nicht darauf, dass sie mehr sagte und sprang auch schnell auf. Er packte die Zügel und ließ sie knallen, damit sich die Pferde in Bewegung setzten. Die Kutsche ruckte vorwärts und holperte auf dem Weg zum Dalais-Anwesen über jeden Unebenheit auf der Straße.
Es war nicht weit von Sorchas Hütte, sodass sie nicht lange brauchten, um es zu erreichen. Das herrschaftliche Anwesen war seit Generationen im Besitz ihrer Familie, war aber im Vergleich zu den meisten Baronshöfen bescheiden. Es gab keinen großen Ballsaal, aber einen schönen Speisesaal. Sie konnten keine großen Partys feiern, aber sie konnten mehrere Gäste zum Abendessen einladen. Die kleine Bibliothek, die auch als Nialls Arbeitszimmer fungierte, war eines ihrer Lieblingszimmer gewesen. Ihr Wissensdurst war durch das Lesen dieser begrenzten Menge an Büchern gewachsen. Sie hatten keine große Familie und mussten keine Schlafräume teilen. Sie hatten sogar ein paar zusätzliche Schlafräume für den gelegentlichen Gast zur Verfügung. Es war zwar luxuriös, aber nicht obszön.
Der Wagen kam vor dem Anwesen zum Stehen. Sorcha trat herunter und griff dann nach Lachlan. »Es wird nur einen Moment dauern«, sagte sie dem Pfarrer und ging dann hinein.
Ailis, die Frau ihres Bruders, begrüßte sie, als sie eintrat. »Sorcha«, sagte sie überrascht. »Wir haben dich nicht erwartet.«
»Es ist die Frau des Pfarrers«, sagte sie. »Das Kind kommt, und es ist schwierig. Werdet ihr auf Lachlan aufpassen, während ich nach ihr sehe?"
Ailis kaute auf ihrer Unterlippe und rieb sich ihren vorstehenden Bauch. Sie erwartete ihr erstes Kind mit Niall. Sie waren selbst nervös, dass ihr eigenes Kind in wenigen Monaten zur Welt kommen würde. »Oh je«, sagte sie. »Ich hoffe, es geht ihr gut.«
»Es wird ihr gut gehen, aber ich muss gehen«, sagte Sorcha. »Lachlan, sei ein braver Junge für deine Tante.«
Lachlan umarmte Sorcha an den Beinen. »Mit Ma gehen«, verlangte er.
Sorcha lehnte sich herunter und küsste seine Pausbacke. »Es ist Schlafenszeit. Du weißt doch noch, was ich über Nickerchen gesagt habe, oder?«
»Stark werden«, sagte er.
»Das ist mein großer Junge«, antwortete sie und fuhr durch sein Haar. »Tante Ailis wird dich ins Kinderzimmer bringen.«
Ailis