Der neue Sonnenwinkel 79 – Familienroman. Michaela Dornberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michaela Dornberg
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Sonnenwinkel
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740965563
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ection> Der neue Sonnenwinkel – 79 –

      Manchmal spielte sich etwas bei einem ab, geschahen Dinge, die man an sich nicht kannte, für die man keine Erklärung hatte und die dennoch geschahen. Eine solche Erfahrung machte gerade Werner Auerbach, der weltbekannte, geschätzte und manchmal auch ein wenig überheblich wirkende Herr Professor.

      Werner gehörte überhaupt nicht zu den Menschen, die sofort zur Hilfe eilten, die immer zur Stelle waren, auch wenn nur ein welkes Blatt vom Baum fiel.

      Werner hatte wirklich keine Ahnung, warum ausgerechnet er Heinz Rückert gesagt hatte, dass sie schnell zur Unfallstelle laufen sollten, um ihre Hilfe anzubieten. Ja, das hatte er tatsächlich gesagt. Das konnte doch nicht er sein! Darüber nachzudenken, lohnte sich nicht, und es drängte ihn wirklich zu dem Ort, an dem sich jetzt immer mehr Gaffer einfanden, die sich nichts entgehen lassen wollten, die am liebsten sofort fotografierten, um die Fotos dann auch gleich ins Internet zu stellen. Werner hasste das, und nun wollte er sich zu diesen Menschen gesellen, die er abgrundtief verachtete. Warum? Darauf hatte auch er keine Erklärung.

      Er und Heinz hatten die Unfallstelle erreicht. Heinz bahnte sich resolut einen Weg durch die Menschentraube, die sich angesammelt hatte. Werner war froh darüber, fühlte sich aber dennoch deplatziert. Er war ein Wissenschaftler, für den nur Fakten zählten, alles, was bewiesen werden konnte oder was bewiesen werden sollte. Jemand wie er glaubte nicht an Vorahnungen, an innere Stimmen. Das war Unsinn!

      Und warum war er dennoch hier?

      Er wusste es nicht. Ein furchtbar zertrümmerter PKW war offensichtlich gegen die Pfosten des Wartehäuschens für den Bus gefahren. Wie es aussah, war der Fahrer des Wagens wegen überhöhter Geschwindigkeit dagegen geprallt, hatte die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren.

      Was konnten sie hier eigentlich tun?

      Gemeinsam einen Kaffee zu trinken, in aller Ruhe miteinander zu reden, wäre gescheiter gewesen. Die Polizei sicherte den Unfallort, Ärzte und Sanitäter wuselten herum.

      Es war verrückt gewesen, herzukommen. Was war bloß in ihn gefahren?

      Schon wollte er Heinz bitten, mit ihm umzukehren, als der plötzlich ganz aufgeregt wirkte. Eine Person wurde auf eine Krankenbahre gelegt. Das war schlimm, aber so etwas sah man leider immer wieder. Und solange die Menschen nicht zu Verstand kamen, würde es auch nicht aufhören angesichts der Raserei im Straßenverkehr.

      Warum also war Heinz plötzlich so durch den Wind?

      Heinz packte Werner am Arm, ziemlich heftig, es tat richtig weh.

      »Werner …«, er deutete auf die Trage, »das ist …, da liegt … Pamela.«

      Was redete Heinz für einen Unsinn. Das konnte doch nicht wahr sein.

      Werner war oftmals das, was man einen zerstreuten Professor nannte, doch jetzt war er hellwach, er merkte, dass er eine Gänsehaut bekam, er merkte, wie sein Herz anfing wie wild zu schlagen. Auf der Liege war …, nein, das konnte doch nicht wahr sein …, aber es war wahr!

      Die Verletzte, um die man sich­ bemühte, war seine jüngste Tochter Pamela.

      Hatte es ihn deswegen wie magisch hergezogen?

      Er hatte keine Zeit, darüber jetzt nachzudenken. Er wollte zu seinem Kind!

      Pamela lag dort, blass, mit geschlossenen Augen.

      War sie etwa …?

      Nein!

      Sie war nicht tot, denn Unfalltote transportierte man nicht mit dem Krankenwagen ab, für die gab es ein anderes Fahrzeug, und um Tote kümmerte man sich auf gänzlich andere Weise, um ihnen ihre Würde zu lassen, um sie vor den Augen der Neugierigen zu schützen.

      Er wollte zu Pamela eilen, ein Polizist hielt ihn gewaltsam zurück, es gelang Werner nicht, sich loszureißen.

      »Lassen Sie mich los«, schrie er aufgebracht und verzweifelt zugleich, »das da ist mein Kind.«

      Betroffen trat der Polizist beiseite, ließ Werner durch, Heinz folgte ihm.

      Er wollte sich auf die Knie fallen lassen, ganz dicht neben Pamela sein, aber ein Arzt, es konnte auch ein Rettungssanitäter sein, der alles mitbekommen hatte, hielt ihn zurück. »Wir bringen Ihre Tochter jetzt ins Krankenhaus, wenn Sie wollen, dann fahren Sie direkt mit.«

      »Was … was fehlt ihr?« wollte Werner wissen, seine Stimme war voller Angst.

      »Das kann ich Ihnen nicht sagen, das werden erst die genauen Untersuchungen zeigen, also bitte, lassen Sie uns unsere Arbeit tun.«

      »Das stimmt, Werner«, sagte Heinz, »die Hauptsache ist doch, dass Pamela lebt. Soll ich mitkommen? Oder soll ich dich im Krankenhaus später abholen? In deiner Verfassung kannst du dich doch nicht selbst ans Steuer setzen.«

      Schon wollte Werner zustimmen, als sein Blick auf und über die Menge fiel, er bekam gerade noch mit, wie eine Frau sich ganz eilig entfernte. Er hatte sie erkannt, Inge hatte ihn einmal auf diese Frau aufmerksam gemacht, die im ganzen Sonnenwinkel als die Morgenpost verschrien war, nicht nur das, sondern dass man sich vor ihr in Acht nehmen musste, weil sie die Tatsachen verdrehte, um wichtig zu erscheinen, um Sensationen zu verkünden, die eigentlich keine waren. Sie wollte immer nur prahlen, wichtig sein. Und ausgerechnet diese Person hatte alles mit angesehen.

      Nicht auszudenken, wenn diese Frau zu Inge gehen würde, und das würde sie tun, daran zweifelte Werner nicht einen Augenblick, sie würde Inge zu Tode erschrecken, denn nach deren Schilderungen würde Pamela eigentlich fast schon gestorben sein.

      So war es zwar nicht, aber dennoch blieb Werner alarmiert, denn innere Verletzungen konnten sehr schlimm sein.

      Rasch erzählte er Heinz von seiner Beobachtung.

      »Heinz, du musst unbedingt vor dieser Person bei Inge sein, erzähl ihr bitte, was geschehen ist, berichte ihr schonend von dem Unfall. Ich melde mich dann, wenn ich Genaueres erfahre, ich werde auf jeden Fall bei Pamela bleiben. Also bitte, Heinz, spute dich, laufe zu deinem Wagen.«

      Heinz schüttelte den Kopf.

      »Das dauert viel zu lange, sieh mal, Werner, dort drüben ist ein Taxistand, ich fahr mit dem Taxi, das geht am schnellsten, und ich werde dem Fahrer sagen, dass ich bereit bin, jeden Preis zu zahlen, wenn er nur ordentlich aufs Gas drückt.«

      Insgeheim atmete Werner auf, ein klein wenig nur, denn noch wusste man nicht, wie schlimm es um Pamela stand, die jetzt in den Krankenwagen verfrachtet wurde. Wollte er mitfahren, musste er jetzt einsteigen.

      »Danke, Heinz, das ist eine ganz großartige Idee, und bitte, bleib ein wenig bei Inge, muntere sie auf, oder besser noch, schick ihr Rosmarie, die beiden Frauen können es ja ganz hervorragend miteinander.«

      Ein Mann kam auf sie zu.

      »Wenn Sie jetzt nicht einsteigen, dann fahren wir ohne Sie los.«

      Oh Gott, nur das nicht!

      Werner klopfte Heinz auf die Schulter, sagte noch mal: »Danke, Kumpel«, dann stieg er in den Krankenwagen, und Heinz rannte mit erstaunlicher Geschwindigkeit auf die andere Straßenseite, ließ sich in das Taxi fallen, und er musste dem Fahrer ein bemerkenswertes Angebot gemacht haben, denn das Taxi raste sofort los, und das vor den Augen der Polizei, doch die war noch immer mit der Sicherung des Unfallortes beschäftigt, sie hatte das Taxi nicht im Visier.

      *

      Inge war mit sich zufrieden. Heute war ihr alles schnell von der Hand gegangen, es war nicht einmal mehr Bügelwäsche im Korb. Das Essen stand auf dem Herd, Pamela und Werner konnten kommen. So entspannt wie jetzt war Inge lange schon nicht mehr gewesen. Sie hatte es sich mit einem Buch gemütlich gemacht, das sich seit einiger Zeit in ihrem Besitz befand, was sie aber noch nicht hatte lesen können, weil einfach die Zeit dazu gefehlt hatte. Dabei war es spannend, der Buchhändler, bei dem sie sich immer gern beraten ließ, hatte ihr nicht zu viel versprochen. Man konnte sich auf das, was er sagte, hundertprozentig verlassen. Er übte seinen Beruf voller Leidenschaft und Hingabe aus. Er kannte die Inhalte der meisten Bücher, die zu seinem Aufgabenbereich gehörten, las nicht nur den Klappentext, las die Bücher zumindest