Inhalt
Parker und
das Gespenst von der Yacht
Roman von Günter Dönges
Butler Josuah Parker hatte sich ausgerüstet, als müsse er an einem kriegerischen Landeunternehmen teilnehmen.
Selbstverständlich war er wie üblich gekleidet: Er trug auf dem Kopf die unvermeidliche Melone in schwarzer Farbe, den schwarzen Covercoat, schwarze Schuhe und natürlich auch die schwarzen Zwirnhandschuhe.
Er trug allerdings noch viel mehr.
Er hatte eine Schwimmweste angelegt, die sich malerisch um seinen Hals schlang. Da sie leider eine graue Farbe aufwies, störte das den Gesamteindruck erheblich. In der linken Hand schleppte der Butler einen riesigen Koffer mit, der, wie konnte es anders sein, natürlich ebenfalls diskret schwarz abgepinselt war. In der rechten Hand hielt er ein zusammengerolltes Schlauchboot, das beim Gehen recht hinderlich war.
Unter dem Arm hatte Josuah Parker sich das »Handbuch zur Rettung Schiffbrüchiger« geklemmt, einen beachtlich dicken Band, der sein Gewicht haben mußte. Unter dem linken Arm befand sich, in einer etwas dünneren Ausgabe, eine »Anleitung zur behelfsmäßigen Navigation« sowie ein ausführlicher Leitfaden über das »Erlernen des Schwimmens im Selbsttraining«.
Nicht sichtbar, aber dennoch vorhanden, waren ein »Schnellkurs zum provisorischen Bau von Flößen und Kanus« sowie eine bebilderte Ausgabe über »Umgang mit Haien und deren Artgenossen«. Ganz zu schweigen von handlichen Broschüren, die spezielle Themen vom Leben auf hoher See abhandelten.
Josuah Parker ging nicht zu seinem Privatvergnügen an Bord der »Sulla«, einer beachtlichen Motoryacht, die im Hafen von Cienfuegos an der Südseite Kubas festgemacht hatte. Parker haßte Hafenstädte dieser Art, die nach außen hin romantisch wirkten, in Wirklichkeit aber für seine Begriffe nichts anderes waren als eine Anhäufung von lastender Hitze, Dreck, Gestank, aufdringlichen Tagedieben und Langeweile. Gerade hier in Cienfuegos vermißte er die britische Ordnung, Klarheit und Zielstrebigkeit. Nun, Josuah Parker durfte man diesen Standpunkt nicht sonderlich übelnehmen. Er war Engländer mit Leib und Seele. Er verkörperte darüber hinaus die Tradition des englischen Butlers, wie er heute noch in großen Landsitzen und Schlössern des Hochadels zu finden ist.
Sein Leitmotiv war die Würde um jeden Preis, wenn sie auch auf andere Menschen oft lächerlich, zumindest aber skurril wirkte. Das drückte sich äußerlich in seiner Kleidung aus, die er selbst in den Tropen bei der verrücktesten Hitze niemals ablegte. Er schwitzte lieber, als daß man ihm nachsagen könnte, er habe gegen die Etikette verstoßen.
Wie gesagt, Josuah Parker war nicht zu seinem Privatvergnügen nach Cienfuegos gekommen, um an Bord der »Sulla« zu gehen. Mike Rander, ein bekannter Strafverteidiger und Amateurdetektiv aus Chikago, hatte ihn hierher beordert, ein Ruf, dem Parker selbstverständlich sofort gefolgt war. Parker arbeitete bereits seit Jahren für Rander. Er führte ihm das Haus in Chikago und bemühte sich bisher ohne jeden Erfolg darum, aus seinem Chef einen Engländer zu machen. Im Lauf der Zeit hatte er sich zu einem erstklassigen Detektiv entwickelt, den Rander um keinen Preis der Welt je wieder hätte missen wollen.
»Um Gottes willen, Parker, was schleppen Sie denn da alles mit?« fragte Mike Rander entsetzt, der ihn an Bord empfing. »Der Südpol ist bereits erschlossen worden, man hat den Mount Everest erstiegen und auch die weißen Flecke in Brasilien grün gefärbt.«
»Sir«, erwiderte Parker voller Würde. »Sie wissen, wie ich das Wasser in jeder Form hasse. Ich habe mir erlaubt, gewisse Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Heute erst las ich in der Zeitung von einem Schiffsuntergang. Man kritisierte die mangelnde Ausrüstung an Rettungsbooten.«
»Einen zusammenlegbaren Hubschrauber haben Sie hoffentlich nicht mitgebracht«, erwiderte Rander grinsend. »Schwitzen Sie eigentlich nicht in diesem Aufzug …? Ich habe eben erfahren, daß wir rund 40 Grad haben …«
»Ich erlaube mir nicht zu schwitzen«, erwiderte Parker feierlich, »wenngleich ich nicht verhehlen möchte, daß mir jetzt ein Glas Eiswasser munden würde …«
»Das ist ja ein beachtliches Eingeständnis Ihrer menschlichen Schwäche«, sagte Rander lächelnd. »Kommen Sie mit unter Deck – dort läßt es sich einigermaßen aushalten. Ich werde Ihnen dann auch zeigen, wo Sie Ihre Beiladung ablegen können … Wie gefällt Ihnen die Yacht?«
»Ich muß zugeben, daß sie gut in Farbe ist«, antwortete Parker und zerrte das Schlauchboot von der Reling los, »wenngleich mir die beiden Seeleute oben auf der Brücke recht unordentlich vorkamen.«
»Ich bin gespannt, wann auch Sie nur noch in Shorts und Hemd herumlaufen werden«, erwiderte Mike Rander, ein mittelgroßer, schlanker Mann, der etwa 38 Jahre alt sein mochte. Er wirkte wie ein netter, großer Junge, was durch sein braunes Haar und seine braunen Augen noch zusätzlich unterstrichen wurde.
Rander übernahm die Führung und brachte seinen Butler unter Deck. Am Ende eines Ganges, der durch eine Stahltür abgeschlossen wurde, befand sich Parkers Kabine, die selbstverständlich auch mit einem kleinen Wasch- und Duschraum ausgestattet war.
Rander setzte sich auf das Bett und zündete sich eine Zigarette an. Er sah zu, wie Parker mit gemessenen Bewegungen seine Ausrüstung verstaute.
»Werden Sie gegen die guten Sitten und Formen verstoßen, wenn Sie diesen scheußlichen Covercoat ablegen?« fragte Rander.
»Ich glaube, mir diese Erleichterung gestatten zu dürfen«, antwortete der Butler nach kurzem Überlegen. »Sir, ich möchte natürlich um keinen Preis der Welt irgendwie neugierig wirken oder Sie drängen, aber läßt es sich von Ihnen aus ermöglichen, mir zu berichten, was sich hier an Bord der ›Sulla‹ abgespielt hat?«
»Meiner Schätzung nach Mord«, erwiderte Rander. »Aber bevor ich darauf zu sprechen komme, will ich Ihnen erst einmal sagen, wer sich an Bord der ›Sulla‹ befindet. Sie wissen dann wenigstens, mit welchen Personen Sie es in Zukunft zu tun haben werden.«
»Sir, haben Sie etwas dagegen, wenn ich mir einige Notizen mache?« erkundigte sich der Butler »Sie wissen, ich bevorzuge ein methodisches Vorgehen.«
»Nichts dagegen einzuwenden. Karteikarten brauchen Sie aber nicht gerade anzulegen.«
Butler Parker ließ sich jedoch nicht in seinen Vorbereitungen stören. Er packte ein umfangreiches Notizbuch aus und förderte Bleistift und Spitzer zutage. Behutsam spitzte er den Bleistift nach und sah dann Rander erwartungsvoll an.
»Die ›Sulla‹«, begann Rander, »gehört Mister Clark Strander, der Ihnen als Ölmagnat bekannt sein dürfte. Er hatte diese Ferienreise für Freunde und Bekannte arrangiert. Sie wissen, ich bin vor etwa vierzehn Tagen in Miami zugestoßen. Wir fuhren zuerst nach Haiti, dann hinüber zu den Kleinen Antillen. Auf der Rückreise legten wir zuerst in Puerto Rico an, und dann nahmen wir Kurs auf Jamaica und Cienfuegos. Zwischen Montego auf Jamaica und Cienfuegos ereignete sich dieser angebliche Unfall, den ich als Mord betrachte.«
»Darf ich mir die Freiheit erlauben, Sir, jetzt nach den Namen der Gäste zu fragen?« sagte Parker und senkte die Bleistiftspitze auf das Papier.
»Natürlich, also halten Sie folgendes fest: Zuerst erwähne ich das Personal an Bord … Strander hat sich damit sehr gut ausgerüstet. Es gibt sechs Seeleute, zwei Stewards, zwei Köche, den Kapitän und den Steuermann, der gleichzeitig als Erster Offizier fungiert. Haben Sie das?«
»Bereits notiert«, erwiderte Parker gelassen.
»Schön,