Onkel Wanja. Szenen aus dem Landleben in vier Akten. Anton Tschechow. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anton Tschechow
Издательство: Bookwire
Серия: Reclams Universal-Bibliothek
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783159617091
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      Anton Tschechow

      Onkel Wanja

      Szenen aus dem Landleben in vier Akten

      Übersetzung und Nachwort von Hans Walter Poll

      Reclam

      2020 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

      Die Aufführungs- und Senderechte für Bühne, Hörfunk, Film und Fernsehen vergibt Felix Bloch Erben, Hardenbergstraße 6, 10623 Berlin

      Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

      Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

      Made in Germany 2020

      RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

      ISBN 978-3-15-961709-1

      ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014006-2

       www.reclam.de

      Inhalt

        Personen

        Erster Akt

        Zweiter Akt

        Dritter Akt

        Vierter Akt

        Zu dieser Ausgabe

        Nachwort

      [5]Personen

      ALEXANDER WLADÍMIROWITSCH SEREBRJAKÓW, Professor im Ruhestand

      JELÉNA ANDRÉJEWNA, seine Frau, 27 Jahre alt

      SOFJA ALEXÁNDROWNA (SONJA), seine Tochter aus erster Ehe

      MARÍJA WASSÍLJEWNA WOJNÍZKAJA, Witwe eines Geheimrats, Mutter der ersten Frau des Professors

      IWÁN PETRÓWITSCH WOJNÍZKIJ, ihr Sohn

      MICHAÍL LWÓWITSCH ÁSTROW, Arzt

      ILJÁ ILJÍTSCH TELÉGIN, verarmter Gutsbesitzer

      MARÍNA, die alte Kinderfrau (Njánja)

      EIN KNECHT

      Ort der Handlung: Das Gut Serebrjakows

      [7]Erster Akt

       Der Park. Man sieht einen Teil des Hauses mit der Terrasse. In der Allee unter einer alten Pappel ein zum Tee gedeckter Tisch. Bänke, Stühle, auf einer der Bänke liegt eine Gitarre. Nicht weit vom Tisch eine Schaukel. – Gegen drei Uhr nachmittags. Trübes Wetter.

       Marina (eine schwammige, schwerfällige alte Frau, sitzt am Samowar und strickt an einem Strumpf) und Astrow (geht neben ihr auf und ab).

      MARINA (schenkt ein Glas ein). Trink mal, Bátjuschka.

      ASTROW (nimmt widerwillig das Glas). Eigentlich möchte ich nicht.

      MARINA. Vielleicht trinkst du einen kleinen Wodka?

      ASTROW. Nein. Ich trinke nicht jeden Tag Wodka. Und es ist auch so schwül.

       (Pause.)

       Njánka, wie lange kennen wir uns wohl schon?

      MARINA (denkt nach). Wie lange? Gott, laß mich mal nachdenken … Du bist hierhergekommen, in diese Gegend … wann? … da lebte Wéra Petrówna noch, Sónetschkas Mutter. Zu ihrer Zeit, zwei Winter lang, hast du uns oft besucht … also, das ist wohl elf Jahre her. (Sie überlegt.) Aber vielleicht auch länger …

      ASTROW. Sehr verändert habe ich mich seitdem?

      MARINA. Sehr. Damals warst du jung und hübsch, und nun bist du alt geworden. Und so hübsch siehst du auch nicht mehr aus. Und, das muß man sagen – du trinkst.

      ASTROW. Ja … in den zehn Jahren bin ich ein anderer Mensch geworden. Und aus welchem Grund? Ich habe [8]mich überarbeitet, Njanka. Immer auf den Beinen, von früh bis spät. Keine Ruhe habe ich gekannt. Und nachts liegst du unter der Decke und hast Angst, daß sie dich zu einem Kranken schleppen. Die ganze Zeit, seit wir beide uns kennen, habe ich keinen einzigen freien Tag gehabt. Wie soll man da nicht altern? Und das Leben an sich schon ist langweilig, dumm, schmutzig … Es zieht sich hin, dies Leben. Und um dich herum nur verschrobene Leute, alles seltsame Menschen. Mit denen lebst du zwei, drei Jahre zusammen, und allmählich, ohne daß du es bemerkst, wirst du selbst auch ein komischer Kerl. Ein unvermeidliches Schicksal. (Er zwirbelt seinen langen Schnurrbart.) Sieh mal, ein gewaltiger Schnauzbart ist mir gewachsen … ein blöder Bart. Ein sonderbarer Kauz bin ich geworden, Njanka … Ganz verblödet bin ich, Gott sei Dank, ja noch nicht, der Grips ist noch da, aber die Gefühle sind irgendwie abgestumpft. Nichts will ich mehr, nichts brauche ich, niemanden mag ich … Nur dich habe ich vielleicht noch gern. (Er küßt sie auf den Kopf.) Als Kind hatte ich genauso eine Kinderfrau.

      MARINA. Möchtest du vielleicht etwas essen?

      ASTROW. Nein. In der Fastenzeit, in der dritten Woche, bin ich nach Málizkoje gefahren wegen einer Epidemie … Flecktyphus … Das Volk in den Bauernkaten wie hingeworfen … Dreck, Gestank, Qualm, die Kälber auf dem Fußboden, mit den Kranken zusammen … und die Ferkel mitten dazwischen … den ganzen Tag beschäftigt, konnte mich nicht mal hinsetzen, keinen Bissen zu mir nehmen. Schließlich kam ich nach Hause, man ließ mir keine Ruhe – sie brachten mir von der Eisenbahn den Weichensteller an. Den legte ich auf den Tisch, um [9]ihn zu operieren, und schon stirbt er mir unterm Chloroform. Und da, ganz unnötig, erwachten Gefühle in mir, und mein Gewissen war bedrückt, als hätte ich ihn vorsätzlich getötet … Da setzte ich mich hin, machte die Augen zu – so – und dachte: Werden wohl die Menschen, die hundert oder zweihundert Jahre nach uns leben und für die wir jetzt den Weg bahnen, mit einem guten Wort an uns denken? Njanka, gar nicht werden sie an uns denken!

      MARINA. Die Menschen nicht, dafür wird Gott an uns denken.

      ASTROW. Vielen Dank. Schön hast du das gesagt.

       (Wojnizkij kommt.)

      WOJNIZKIJ (kommt aus dem Haus; er hat sich nach dem Frühstück ausgeschlafen und sieht zerknautscht aus; er setzt sich auf eine Bank, zieht seine modische Krawatte zurecht).

       Ja …

       (Pause.)

       Ja …

      ASTROW. Ausgeschlafen?

      WOJNIZKIJ. Ja … sehr gut. (Gähnt.) Seit hier der Professor mit seiner Gattin wohnt, ist das Leben aus dem Gleis geraten … Ich schlafe nicht mehr zur rechten Zeit, esse zu den Mahlzeiten die verschiedensten scharfen Saucen, trinke Wein … ungesund ist das! Früher hatte ich keine freie Minute. Ich und Sonja haben gearbeitet – alle Achtung, jetzt aber arbeitet nur Sonja noch, und ich schlafe, esse, trinke … Das ist nicht gut!

      MARINA (schüttelt den Kopf). Zustände sind das! Der Professor steht um zwölf Uhr auf, aber der Samowar dampft [10]vom frühen Morgen an und wartet nur auf ihn. Ohne die da wurde immer um ein Uhr gegessen, wie bei den Leuten überall, bei denen aber erst um sieben. Nachts liest der Professor und schreibt, und plötzlich um zwei Uhr geht die Klingel … Lieber Gott, was ist los? Tee! Weck also seinetwegen das Volk auf, stell den Samowar auf … Zustände!

      ASTROW. Werden die denn noch lange hier