Dr. Sonntag 13 – Arztroman. Peik Volmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peik Volmer
Издательство: Bookwire
Серия: Dr. Sonntag
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740955090
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Dr. Sonntag – 13 –

      Kleines Vorwort

      Tja, da halten Sie ihn nun in Händen, sehr verehrte Leserin, sehr geehrter Leser – den Band 13! Schauen wir mal, ob die 13 nun eine Glücks- oder eine Unglückszahl ist. Sind Sie abergläubisch? Können Sie unter Leitern hindurchgehen? Spiegel zerbrechen? Salz verschütten? Oder den Weg fortsetzen, den soeben eine schwarze Katze gekreuzt hat?

      Doch, oder? Wenn die Sache mit dem Glück so einfach wäre! Egidius sagt das auch oft. »Wenn’s leicht wäre, könnte es ja jeder!« Recht hat er!

      So. Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, richtig. Chris bekommt einen Anruf. Frau Doktor Schickenreuth macht sich locker, um das mal in der Sprache der Jungen zu formulieren. Schade, dass es dafür eine Erkrankung braucht. Aber wenn man all sein Vertrauen in andere und das Zutrauen zu sich selbst verloren hat, dann ist das wohl so. Immerhin hat sie jetzt begriffen, dass niemand ihr etwas Böses will. Ich bin nur gespannt, für wen sie sich entscheiden wird. Irgendwie ist Andreas Stehr ja spektakulärer, finden Sie nicht? Im Gegensatz zu dem eher zurückhaltenden Michael Barbrack.

      Und Herr Rechtsanwalt Sebastian Schickenreuth? Dieser verknöcherte, bösartige Mann? Was will er von Theres? Also, das mit dem Alter stört mich überhaupt nicht. Aber ich mag Theres. Sie ist schwierig, aber wie sie mit Lukas umgeht, kann ich gut leiden. Und den Herrn Rechtsanwalt mag ich nicht. Das kann ja heiter werden!

      Und diese Geschichte zwischen Karin und Kilian – ich schätze, Karin heißt bald wieder ›Frau Fürstenrieder‹. Na, ich bitte Sie! Der Kerl benimmt sich doch wie ein verzogenes Kind! Erst hebt er sie in den Himmel, und wenn es irgendwo knarrt, dann ist sie schuld! Das habe ich gerade gern! Anderen die Schuld zu geben! Nein, so was ärgert mich. Und ich mag Karin. Bitte. Sie hat längst Feierabend und sitzt immer noch in der Klinik. Warum ist sie noch nicht – zu Hause, wollte ich gerade schreiben. Bei Ludwig, wäre wohl richtiger. Ach so! Ist heute nicht der Tag von Kilians Operation?

      Fast Zwölf

      Erstaunlich, wie lange Operationen dauern können, dachte Karin Kreuzeder. Oder kam es ihr nur so vor? Sie hasste es, sich in den Vordergrund zu drängen. Schon gar nicht, wie man es manchmal in Filmen oder Fernsehserien sah, durch Seufzen, Stöhnen, unechte Tränen. Diese nervigen Menschen, die auf jede Schwester, die durch die Tür mit der Aufschrift ›OP-Bereich! Zutritt verboten!‹ kam, zustürmten, um sie mit aufdringlichen Fragen zu behelligen. ›Wird mein Mann noch operiert? Wie läuft es denn? Geht es ihm gut?‹ Ja, mein Gott, woher sollte denn die Schwester das wissen? Auf diese Fragen gibt es ja auch nur die beiden Standard-Antworten. ›Ja, die Operation läuft noch, aber fragen Sie bitte einen Arzt!‹ und ›Den Umständen entsprechend.‹ Na wunderbar. Worte, die nichts bedeuten. Sinnentleerte Erzeugung von Schallwellen. Aber irgendwie schien so etwas notwendig zu sein. Man wusste nur nicht so genau, warum.

      Aber in ihrem Fall war das auch gar nicht nötig. Egidius höchstselbst wusste, dass sie vor der Tür wartete. Und so eilte er direkt vom OP-Tisch zu ihr.

      »Es ist alles gut gegangen, liebe Frau Kreuzeder. Ihr Gatte hat sich vorbildlich benommen. Ich nehme ihn sicherheitshalber für eine Nacht auf die Intensivstation, morgen können wir gemeinsam Visite auf der Normalstation machen, wenn Sie einverstanden sind!«

      Er war ein wunderbarer Mann. Er sagte vermutlich immer das Richtige. Also – ihr Chef. Professor Egidius Sonntag. Nicht ihr Mann, Kilian Kreuzeder, seines Zeichens Redakteur bei der Miesbacher Zeitung. Zuständig für Anzeigen. Das hatte sie ja erst vor Kurzem erlebt. Als er Ihr Vorwürfe machte, wegen seiner Mutter. Als ob die Unterbringung im Pflegeheim für Demenz-Erkrankte zu dem Infarkt geführt hatte. Und als ob sie schuld war an dieser Unterbringung.

      Na gut. Sie hatte damals erklärt, dass sie nicht bereit sei, für die alte Dame als kostenlose, weil angeheiratete, Pflegekraft zur Verfügung zu stehen. Die Entscheidungen aber, die daraufhin getroffen wurden, hatte Kilian allein zu verantworten.

      Sie war ziemlich sicher, dass das schlechte Gewissen ihn plagte. Dazu kam noch die Belastung durch seine Erkrankung. So etwas konnte schon mal zu einer Ungerechtigkeit führen, oder?

      Danke für Ludwig, wirklich. Nachdem sie aus dem Haus gestürzt war, hatte er sie aufgenommen. Liebevoll, beinahe. Wie ein Sohn seine Mutter. Ohne viel Aufhebens davon zu machen. Als müsste es so sein. Denn etwas war zerbrochen zwischen Kilian und ihr. Das Seil war zerrissen. Und es würde nie mehr so sein wie vorher.

      Er hatte zwei Gesichter. Das schöne, liebevolle hatte er zum Zeitpunkt ihrer Eheschließung gezeigt. Als er sich das mit dem Kleid oder besser, mit den Kleidern ausgedacht hatte. Wie stolz und glücklich er gewesen war! Wie er gestrahlt hatte angesichts ihrer Überraschung und Freude! Und nun war alles entwertet worden durch seine schroffe Ablehnung und seine Ungerechtigkeit.

      Man würde ja sehen. Fest stand, dass er sie brauchte. Sie lächelte, weil ein Satz aus ihrem Volkshochschulkursus ›Englisch‹ ihr im Ohr klang. Napoleonische Kriege, Schlacht von Trafalgar, Lord Nelson. »England expects that every man will do his duty!«, hatte der olle Admiral als Tagesparole ausgegeben. England erwartet von jedem Mann, dass er seine Pflicht tut. Die Stimme ihres Dozenten tönte in ihrem Ohr. Er hatte genau vor ihr gestanden, und sie so angesehen, mit diesem besonderen Blick, als gäbe es gerade nur ihn und sie. Fast wäre sie aufgesprungen. Ja, sie wollte ihre Pflicht tun, so war sie erzogen. Sie erfüllte immer ihre Pflicht, und mehr als das. Aber der Einzige, dem das aufzufallen schien – und der immer dankbar dafür war, war Dr. Sonntag. Alle anderen schienen das, was sie für sie tat, entweder unzureichend oder selbstverständlich zu finden.

      Nun – auch diesmal wieder würde sie ihrer Pflicht Genüge tun. Sie fühlte sich als Ehefrau dazu verpflichtet. Ihr Mann brauchte sie. Nicht einen Moment lang hatte sie daran gezweifelt, dass in Zeiten wie diesen ihr Platz an seiner Seite war. Nie wäre ihr eingefallen, sich abzuwenden, ›England expects …‹ Nun, vielleicht nicht England. Sie musste lächeln. Aber alle, die sie kannten. Und ihr inneres Gesetz, nach dem sie angetreten war und nach dem sie funktionierte.

      Es war beinahe 12 Uhr. Die Tür zum OP-Trakt glitt zur Seite, und eingerahmt von Grün gewandetem Personal, das einige Infusionen und Perfusoren trug, wurde ihr Mann zur Intensivstation eskortiert. Sie trat ans Bett, die kleine Prozession legte ihr zuliebe eine kurze Pause ein.

      »Kilian! Wie geht es dir? Ist alles in Ordnung?«

      »Das solltest du lieber deinen Chef fragen, Karin. Mit geht es blendend. Wenn ich nicht wüsste, dass diese unheimliche Maschine in mir herumgefuchtelt hat, könnte ich annehmen, dass ich ein paar Stunden in einem Liegestuhl am Pool meines Hotels auf Gran Canaria verbracht habe!«

      Karin schaute Frau Dr. Pahlhaus erstaunt an.

      »Wieso ist mein Mann schon so wach? Früher waren die Leute, die man aus den Narkosen weckte, schlaftrunken und desorientiert!«

      »Sehen Sie, Frau Kreuzeder? Überraschenderweise hat auch die Medizin sich ein wenig weiterentwickelt! Wissen Sie, wenn er wollte, könnte ihr Gatte jetzt eine kleine Mittagsmahlzeit zu sich nehmen!«

      Sie lachte herzlich, währen Karin kopfschüttelnd den hellwachen Ehemann betrachtete.

      »Unglaublich. Wirklich. Absolut unfassbar! Ich erinnere mich noch, als mir als Kind der Blinddarm entfernt wurde, hatte ich bei der Narkoseeinleitung diesen gräßlichen Geschmack nach altem Knoblauch im Mund. Und ich durfte bist zum anderen Tag nichts trinken!«

      »Das ist wohl schon etwas länger her, dass Sie Kind waren, mein Liebe?«, kicherte die Chefin der Anästhesieabteilung.

      »Das können Sie laut sagen!« Karin zwinkerte ihr zu.

      In diesem Moment stürmte Egidius aus dem OP, das Handy am Ohr. Man hatte ihn bereits gehört, bevor man ihn sah.

      »Ja, aber – wie konnte das passieren? Das kann doch nicht möglich sein, dass eine komplette Charge eines Molkereiprodukts mit Salmonella typhi – Moment, bitte! Ich rufe gleich noch einmal an!«

      Er hatte seine Sekretärin am Bett ihres Mannes entdeckt und blieb stehen.

      »Ließ sich prima machen«, freute er sich. »Keine Probleme. Nur 200 ml intraoperativer Blutverlust. Sicherheitshalber haben wir ihm zur Infektprophylaxe ein Single-Shot-Antibiotikum gegeben. Ende der Woche geht es nach Hause!«