Ludwig Ganghofer
Der Klosterjaeger
Roman aus dem XIV. Jahrhundert
Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2021
EAN 4064066114039
Inhaltsverzeichnis
1.
Frühling im Bergwald! Er kennt die Blumen nicht, die der Lenz über die Wiesen des Tales streut, kennt nicht die linden Lüfte, die spielend durch blühende Hecken streichen, und nicht das liebliche Gezwitscher der heimgekehrten Schwalben, die unter gastlichem Dach ihre Nester bauen. Frühling im Bergwald! Das ist Brausen und Sausen, Toben und Donnern, Sturm und Tod. Über dem Bergwald liegt der Winter wie ein grauenhafter Riese, und der Frühling, der ihn scheuchen will, muß kommen als ein gewaltiger Held, muß töten und zerstören, bevor er bauen kann und neues Leben wecken aus eisigem Schlaf.
Hoch in den steilen Felsen krachen ohne Unterlaß die stürzenden Lawinen, über die Halden fährt der stürmende Föhn mit dumpfem Sausen, mit seinem heißen Atem schnaubt er über den schwindenden Schnee, im Walde packt er die alten mächtigen Fichten und rüttelt sie, daß sie erbeben in ihrem Mark. Und was sie tragen an morschem Gezweig, das bricht er ab von ihnen und führt es davon in jagendem Wirbel. Ein Rieseln und Gurgeln, immer und überall, auf jedem Hange bildet sich ein springender Bach, über alle Felsen plätschern die Wasser, zu denen der Schnee zerschmolzen, alle Wurzeln umspülen sie und sammeln sich zum tobenden Gießbach, der den Bergwald säubert von allem Unrat, jeden kranken, schwachen Baum zerschmettert und nur bestehen läßt, was stark ist und gesund. Die Felsklötze, die der Winterfrost von der Steinwand sprengte, kommen ins Wandern, wenn der Schnee zerrinnt; sie stürzen und sausen nieder durch den Bergwald in dröhnenden Sprüngen, mit Krachen und Schmettern, und wo sie im Sturz die Erde treffen, da pflügen sie den Grund, damit der überwinterte Same, den der Lenzwind ausweht, im Boden die frische Narbe fände.
In diesem Rauschen und Brausen, inmitten dieses Frühlingskampfes gegen den Winter, wandert ein einsamer Mensch.
Rüstigen Ganges, mit halblauter Stimme ein Lied singend, schreitet er über den vom Schnee schon halb entblößten Almenhang: eine schlanke, knochenfeste Gestalt; ein junges Antlitz mit blitzenden Augen und einem lachenden Mund, den der Flaum des blonden Bartes umkräuselt. In eisenbeschlagenen Bundschuhen stecken die nackten Füße; Strümpfe aus ungegerbtem Rehfell, die Haare nach innen gewendet, umschließen die Waden; aus der kurzen, verwitterten Lederhose ragen die nackten Knie hervor, die aus braunem Erz gegossen scheinen. Ein grobes Hemd und ein aus zottigem Loden geschnittenes Wams umhüllen den straffen Körper. Über dem krausen Blondhaar trägt er die pelzverbrämte Lederkappe mit der Adlerfeder, am Gürtel ein kurzes Weidmesser und den kleinen Bolzenköcher, hinter dem Rücken die plumpe Armbrust mit fingerdicker Sehne, und in den Händen führt er das lange, ‚Griesbeil‘: den mit scharfem Stachel und eisernem Haken versehenen Bergstock. Es ist Haymo, der Klosterjäger, der dem Propste Heinrich von Berchtesgaden die Hirsche, Gemsen und Steinböcke hütet.
Vor Wochen schon, da der Schnee noch tief lag und im Marsche kaum zu überwinden war, hatte Haymo die Jägerhütte bezogen, hoch über dem grünen Königssee, in einem weiten Felstal, dem die roten Marmorwände, die es rings umschließen, den Namen gaben: ‚In der Röt‘.
Vom Morgen bis zum Abend, täglich, machte Haymo seinen Hegergang; das war für ihn eine harte Zeit; er durfte keine Stunde rasten, mußte die Augen offen halten den ganzen langen Tag. Der strenge Winter hat das Wild vertraut und zahm gemacht, und die Raubschützen haben leichte Arbeit; in großen Rudeln ziehen die Hirsche schon früh am Abend auf die offenen Almen und erst am späten Morgen wieder zu Holz; die Gemsen stehen tief im Bergwald, und sogar die scheuen Steinböcke trieb der Winter aus ihren unwegsamen Felsrevieren in die Nähe der verlassenen Almhütten. Da galt es, unermüdlich