Verwundetes Herz
Barbara Cartland
Barbara Cartland E-Books Ltd.
Vorliegende Ausgabe ©2017
Copyright Cartland Promotions 1985
Gestaltung M-Y Books
1. ~ 1793
Der Wind rüttelte an den Fensterläden und blies unter den Türen hindurch, so daß der Herr, der im Privatraum am Feuer saß, vor Kälte zitterte.
Es war im Januar immer mit Stürmen im Kanal zu rechnen und die Überfahrt nach England würde in den nächsten vierundzwanzig Stunden unmöglich sein.
Sheldon Harcourt wußte, daß er sich glücklich schätzen konnte, eine komfortable Unterkunft mit einem Privatzimmer im Hotel d’Angleterre in Calais bekommen zu haben.
Monsieur Dessin, der Besitzer des Hotels, konnte über einen Mangel an Besuchern nicht klagen; die meisten von ihnen waren Engländer, die es eilig hatten, Frankreich zu verlassen und so schnell wie möglich in ihr eigenes Land zurückzukehren.
Die Nachricht von der Hinrichtung des französischen Königs Ludwig XVI. war wie ein Blitz bei den Engländern eingeschlagen.
In London hatte man diese Nachricht zuerst ungläubig, dann jedoch mit Entsetzen und einem Sturm der Entrüstung aufgenommen.
Unter den Touristen in Frankreich, die bereits zu glauben begannen, daß sich das Land langsam beruhigen würde, breitete sich die Angst vor Internierung aus.
Selbst den einfältigsten Reisenden war klar, daß England Frankreich den Krieg erklären würde.
Sheldon Harcourt hatte sich nur widerstrebend in das Unausweichliche gefügt und, wie er es ausdrückte, die „Flucht zurück über den Kanal“ angetreten.
Seine Freunde hatten ihn jedoch davon überzeugt, daß dies die einzige Alternative war.
Das Massaker unter den Aristokraten, Bischöfen und Priestern im vergangenen August und die Greueltaten der „Septembriseurs“ hatten aus Paris einen Ort des Entsetzens gemacht.
Manchmal glaubte Sheldon Harcourt, daß er nie wieder die Schreie der Menschen würde vergessen können, die aus ihren Häusern gezerrt und in die Gefängnisse geworfen wurden, um dann dem Mob zum Opfer zu fallen.
Jetzt saß er vor dem Feuer im Armsessel, unverkennbar ein Engländer, und war froh, dieses Land verlassen zu können, in dem er die letzten fünf Jahre verbracht hatte und das er auch schon als sein Zuhause betrachtet hatte.
Es war schwer, sich vorzustellen, daß es einen Mann gab, der noch schöner war und eleganter gekleidet als er.
Obwohl er gerade eine anstrengende dreitägige Reise auf schmutzigen und vernachlässigten Straßen hinter sich hatte, sah er doch aus, als würde er zu einem Empfang gehen.
Er trug seine perfekt sitzende Kleidung mit der den Engländern eigenen lässigen Eleganz. Während er jetzt ins Feuer sah, waren seine blauen Augen sehr ernst, die jedoch meistens ein trotziges Zwinkern dem Leben gegenüber zeigten. Sein zynisches Lächeln ließ die Linien zwischen Mund und Nase schärfer werden.
Seine Gedanken wurden unterbrochen, als Monsieur Dessin mit einem Tablett eintrat, auf dem eine Flasche Wein und ein Glas standen.
„Darf ich annehmen, daß Sie sich wohlfühlen, Mylord?“ fragte er.
Für ihn waren alle Engländer adlig, so wie alle Fremden für die Engländer von niederer Herkunft und meistenteils Dummköpfe waren.
„Ich fühle mich sehr wohl“, erwiderte Sheldon Harcourt. „Aber ich hoffe, daß das Dinner nicht allzu lange auf sich warten läßt.“
„Bestimmt nicht, Mylord. Meine Frau bereitet gerade einige spezielle Gerichte nach Ihrem Geschmack vor. Gleichzeitig erbitten wir jedoch ein wenig Geduld von Ihnen, da das Hotel überfüllt ist.“
„Zu ihrem Vorteil!“ bemerkte Sheldon Harcourt.
Monsieur Dessin zuckte bedeutungsvoll die Schultern.
„Der Speisesaal ist voll von Reisenden, die unaufhörlich schwätzen, sich dauernd beklagen und wenig trinken.“
„Außerdem sind sie ausgesprochen laut“, fügte Sheldon Harcourt hinzu.
Durch die Tür konnte er die lauten Stimmen, das Gelächter und das ständige Rufen hören: „Garçon! Garçon!“
Monsieur Dessin füllte das Glas mit Wein und reichte es auf dem Tablett Sheldon Harcourt.
Dieser nahm einen kleinen Schluck, ließ ihn über die Zunge gleiten und nickte dann mit dem Kopf.
„Ausgezeichnet!“
„Er ist vom Besten, Mylord, ich würde nicht wagen, Ihnen etwas anderes anzubieten.“
„Sie sind sehr klug“, bemerkte Sheldon Harcourt.
Eine leise Warnung klang in seiner Stimme mit.
Monsieur Dessin zögerte.
„Mylord, ich möchte sie um eine Gefälligkeit bitten.“
Es entstand eine Pause und Sheldon Harcourt zog die Brauen in die Höhe.
„Eine Gefälligkeit?“ wiederholte er.
„Der Speisesaal ist voll und sowieso kein angemessener Ort für eine Dame von Rang, wie Sie wohl sicher verstehen werden.“
Er warf dem Engländer einen besorgten Blick zu, bevor er fortfuhr: „Würden Sie, Mylord, die Güte haben und eine Dame von hohem Rang einladen, mit Ihnen zu dinieren? Ich habe keine andere Möglichkeit, sie unterzubringen, absolut keine Möglichkeit.“
„Ich habe diesen Raum für meinen privaten Gebrauch gemietet“, antwortete Sheldon Harcourt.
„Ich weiß, Mylord, aber diese Dame ist jung und schön, und sie würde eine Menge Unannehmlichkeiten erleiden müssen, wenn sie gezwungen wäre, das Abendessen im überfüllten Speisesaal einzunehmen. Und ihr Schlafzimmer, Mylord, ist kalt, wenn Sie verstehen!“
Sheldon Harcourt warf Monsieur Dessin einen scharfen Blick zu, bevor er sagte: „Jung und schön? Sind Sie sicher?“
„Mais certainement, Mylord! Ich schwöre, Sie werden nicht enttäuscht sein. Madame ist schön - sehr schön!“
Als wolle er seine Worte unterstreichen, küßte Monsieur Dessin seine Fingerspitzen und machte eine altbekannte Geste, die mehr als alle Worte sagte.
„Nun gut“, sagte Sheldon Harcourt resignierend. „Sagen Sie der schönen Dame, daß es mir eine Ehre sein wird, mit ihr zusammen zu speisen. Sollte sich jedoch herausstellen, daß sie eine häßliche, pockennarbige alte Schalte ist, werde ich Sie erwürgen, Sie alter Schurke. Das verspreche ich Ihnen!“
„Mylord können mir vertrauen“, versicherte Monsieur Dessin und fügte dann mit einer Verbeugung hinzu: „Sie sind sehr großzügig.“
Mit einem breiten Lächeln verließ er den Raum und ließ Sheldon Harcourt in der Überzeugung zurück, seinen Willen von Anfang an durchgesetzt zu haben.
„Verdammt!“ dachte der Engländer bedauernd. „Und ich wollte einen ruhigen Abend alleine verbringen.“
Seit er Paris verlassen hatte, war er mit seinen Gedanken beschäftigt gewesen, konnte jedoch zu keiner Entscheidung gelangen, was seine Zukunft anbetraf. Nun sagte er sich, daß die Einsamkeit heute abend vielleicht wirklich nicht das Beste gewesen wäre, ihm aus seiner Depression zu helfen.
Einige Minuten später wurde die Tür geöffnet. Er drehte sich erwartungsvoll um. Zu seiner Überraschung erschien jedoch keine Dame, sondern ein kleiner schwarzer Junge, der ein Seidenkissen trug, das beinahe größer war als er selbst.
Er war mit einem Brokatmantel gekleidet, der ihm bis zu den Fußgelenken reichte und auf seiner Brust mit goldenen Knöpfen geschlossen wurde.
Auf