Die Herrin und ihr Knecht. Georg Engel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Georg Engel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066113469
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gelungen war, das verstummte Glockenspiel der Sebaldus-Kirche zu neuem klingenden Leben zu erwecken. Das hatte dem damals im kräftigsten Mannesalter stehenden Künstler tausend preußische Reichstaler eingetragen. Und wozu hatte er diese große, diese überschwengliche Summe verwendet?

      Wozu?

      Kein Mensch konnte darüber etwas Genaues angeben. Man hörte nur aus den wütend hingeworfenen Angaben seines stotternden Gehilfen Leiser Bienchen, eines phantastisch armen Judenjungen, der von den Wohltaten seines Meisters lebte, alle alten Kleidungsstücke des Uhrmachers bis zum Zerbröckeln auftrug und trotzdem, aus künstlerischen Gründen, beständig im heftigsten Streit mit seinem zahnlosen Prinzipal lebte, man vernahm nur in Augenblicken zitternder Wut von jenem menschenscheuen Gehilfen, daß es sich um eine Erfindung handele, die einmal Millionen einbringen müßte. Tief unten in einem triefend feuchten Keller, und immer nur in den Frühstunden, wurde von den beiden Adepten an dieser merkwürdigen Maschinerie gearbeitet. Und der letzte Bursche des Leutnants, der sich einmal bis in den schwarzen Abgrund hinunter verirrte, er hatte entdeckt, daß bei jenen beglückenden Ideen zweifellos auch ein starkes Uhrwerk im Spiel sein müsse:

      »Denn in dem Keller, Herr Leutnant, macht es immerfort tick-tack, tick-tack. Es stinkt mordsmäßig dort unten. Nach Schwefel und Säuren und all solchem Zeug. Und wenn mich der verfluchte Judenbengel nicht einen Fußtritt gerade vor den Magen versetzt hätte, Herr Leutnant, ich hätte die Beiden bei der Teufelsbeschwörung überrascht. Denn um so was handelt es sich, um nichts anderes!«

      Als Fritz Harder die eine der von ihm gemieteten Stuben in dem Pfefferkuchenhäuschen betrat, stand sein Bursche, ein derber, vierschrötiger Ostpreuße gerade an dem ovalen Tisch, um eine billige weiße Petroleumlampe zu entzünden. Er machte sofort vor seinem Leutnant stramm und nahm ihm die Mütze ab, die ihm Fritz herüberreichte.

      »Na, Reddemann,« begrüßte ihn der Offizier, während er sich ein wenig ermüdet auf einen Korbsessel dicht an dem schmalen Fenster niederließ, »hast du mir die Sachen besorgt?«

      »Zu Befehl, Herr Leutnant, das Frühlingslied von Mendelssohn. Sehr schön.«

      »Aha, du hast wohl wieder darin herumgenascht?«

      »Zu Befehl. Herr Leutnant wissen ja, daß wir zu Haus einen Gesangverein haben.«

       Der am Fenster Sitzende öffnete sich ein wenig den Uniformrock.

      »Na, ob ich das weiß,« warf er gutmütig hin, »du heulst ja manchmal, mein Junge, daß ich glaubte, Bienchens räudiger Pudel hätte Leibschmerzen bekommen.«

      Allein trotz dieser etwas derben Charakterisierung seiner Gesangskunst reckte sich der stämmige Bursche und sah sehr befriedigt aus.

      »Herr Leutnant,« verteidigte er sich, »dann übe ich bloß. Aber bei uns zu Hause in Pillkallen sagen die Leute, ich hätte die stärkste Stimme.«

      »Jawohl,« lächelte der Leutnant, »das sage ich auch. Und nun, Reddemann, schwirre mal in das Kasino ab und hole mir meine Menage. Aber die Tischordonnanz soll alles hübsch warm geben, verstanden?«

      »Zu Befehl, Herr Leutnant. Sonst noch etwas?«

      »Jawohl, bringe mir von nebenan ein paar Zigarren mit, von der billigen Sorte.«

      »Zu Befehl, Herr Leutnant.«

      Der Ostpreuße bedeckte sich mit seiner Mütze, fuhr noch einmal ordnend auf dem Tisch herum und stolperte auf die Diele heraus. Gleich darauf sah ihn sein Gebieter die enge Gasse im Trab durcheilen. Mehrfach noch wandte sich das plumpe Antlitz aufmerksam zurück, ob auch sein Herr diese beschleunigte Gangart wahrnehme.

      Fritz Harder jedoch verweilte noch längere Zeit am Fenster und stützte nachdenklich den feinen Kopf mit den dunklen Haaren auf die Hand. Und wie schon so oft, überkam ihn, wenn er den Eindruck des ungeheuer niedrigen, fast kahlen Stübchens mit der verblaßten Blumentapete auf sich wirken ließ, jenes überwältigende, niederdrückende Einsamkeitsgefühl. Auch die enge Gasse, durch die kein Wagen fahren durfte, mutete ihn an, als ob eine Riesenfaust sie zusammengepreßt hätte, damit jede Spur einer frischen reinen Luft aus ihr entwiche. Dumpf und feucht wie aus einem Kellerloch wehte es zu ihm herein. Herrgott, hier lebte man wirklich wie in den Kasematten der Festung, durch hohe Mauern abgesperrt von allem Glanz des Tages. Und dann das trostlose Einerlei seiner Tätigkeit. Wie ihn das mit einem ängstlichen Schauer erfüllte, wenn er sich all diese gleichgültigen und dennoch, wie er zugeben mußte, notwendigen Dinge zurückrief. Heute und morgen und übermorgen das Rekruten-Einexerzieren, die ewig geübten und wiederholten Instruktionsstunden, die anstrengenden Märsche bis weit über das Glacis der ehemaligen Festung, wo er jeden Baum, jeden Strauch, jeden Hügel und jeden Graben kannte und beschrieben hatte. Und dazu die Aussicht, die Aussicht in weiter Ferne, unwahrscheinlich und unerreichbar, jemals sich in dem wissenschaftlichen und kunstgemäßen Untergrund des Dienstes betätigen zu dürfen. Denn ach, wie jede praktische Beschäftigung auf Erden, so war ja auch sein Beruf auf festen Quadern einer historischen, sowie einer technischen Wissenskunde aufgebaut. Aber in dieses strenge, wohlverschlossene, geheimnisvolle Haus fanden fast ausschließlich die Mitglieder einer bevorzugten Kaste Einlaß, und selbst jene harrten wieder vergeblich vor den innersten Kammern, in denen, wie in dem pochenden Herzen des gewaltigen Körpers, alle feinsten Adern und Verästelungen zusammenliefen. Wie sollte da der Sohn eines auf sein schmales Gehalt angewiesenen ostpreußischen Oberförsters hoffen dürfen? Umsonst blieben die verborgen angesponnenen Versuche, die sein heiß aufbegehrender Arbeitswille hie und da unternommen. Sie vergilbten in der Schublade des wackligen Fichtentischchens dort in der Ecke, ja, ihr Vorhandensein sogar wurde von den fröhlicheren Kameraden – mit Recht – verspottet. Oh, wenn nur der Drang und die Sucht nicht gewesen wären, sich aus diesen umklammernden Beängstigungen vor der Zukunft zu befreien. Da gab es nur ein Mittel. Und der Blick des Nachdenklichen schweifte zu dem geborgten Flügel hinüber, der in seinem schwarzen Glanz fast die Hälfte des Zimmers ausfüllte. Leuchtend spiegelten sich die Strahlen des Lämpchens auf der fein polierten Platte. Ja, dort wob sich ein Zaubernetz, in das er sich träumend strecken konnte, und das dann von klingenden Genien emporgehoben wurde weit fort über die kleine handeltreibende Stadt, fort von den zechenden, hasardierenden Kameraden mit ihrer absichtlich zur Schau getragenen Verachtung alles höheren Bildungsstrebens, weit fort von Armut und Beschränkung. Aber nein – –

      Und der Nachdenkliche am Fenster zuckte zusammen und vergrub jetzt sein Haupt, auf dem es plötzlich wie in Glut und Feuer aufflammte, in beide Hände. Vergessen und Beseligung, sie wurden dem Glücklichen noch von anderer Seite gespendet. Hier wuchs Trost, Erbauung, Andacht, tiefe Demut vor der göttergebildeten Schönheit, und die verzehrende auflösende Sehnsucht, sich in ein anderes prangendes Dasein hinüber zu retten, wie es wohl nur ein Künstler in seinen Träumen fühlen konnte. Das schöne, gnadenspendende Weib stand lächelnd und reizvoll, zu immer neuen Gaben bereit, vor den geschlossenen Augen des Kämpfenden, bis sich sein jugendstarker Körper unter einem fröstelnden Schauer wand. Und doch, wie entsetzlich, auch hier die Unsicherheit, die sein Leben so wehrlos machte. In Stunden aufschießender Erkenntnis, empfand er da nicht unumstößlich gewiß, wie das Beste in ihm, trotz der glückverlangenden, spielerischen, lustdurchzitterten Zeit um ihn herum, nach Dauer, nach Reinheit und nach Sicherem verlangte? Ein Begehren, das ihn bei seinen forschen Kameraden in den Ruf eines sonderbaren Heiligen gebracht. Nein, das ließ sich nicht wegschwatzen und fortdisputieren. Jene starke Sehnsucht haftete ihm von dem kleinen beschränkten Elternhause an, von jener Stätte des Friedens, die dem früh Herausgetretenen stets in einem rührenden Lichte der Innigkeit und des Behagens herüberleuchtete. Und lebte diese beruhigende Sicherheit etwa in der schönen, strahlenden Marianne, die wie eine dunkle Verlockung aus einem orientalischen Märchen in sein Leben getreten war?

      Mitten in seinen Gedanken griff der Träumende um sich, hierhin und dorthin, als ob er einen Halt suche. Etwas Festes, woran sich ein Wankender aufrichten konnte. Allein die aufgestörten Bilder seiner Phantasie rissen ihm Stab und Stütze aus den Händen und jagten ihn weiter. Nein, sein scharfer Verstand, das Erbteil seiner rechnenden Mutter, bewies es ihm klar und deutlich, daß dasjenige, was ihm als etwas Hohes und Heiliges vorschwebte, immer und immer wieder zu einem Spiel entwürdigt wurde. Zu einem lockenden Haschen und Entflattern,