Die Herrin und ihr Knecht. Georg Engel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Georg Engel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066113469
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völlig ihre Geduld verloren. Hochauf reckte sich die kräftige Gestalt, die Hüften spannten sich, als ob es einen Gewaltstreich auszuführen gelte, und im nächsten Augenblick bereits schoß der weißblonde Pole, einem Zug der in feinem Glacéleder steckenden Frauenhand folgend, vom Bock. Jetzt schrien die beiden anderen Mädchen auf. Der rasche Angriff, sowie das Herbeieilen einiger fremder Menschen empörte sie. Die Herrin von Maritzken aber wandte sich nach ihnen um, und in diesem Augenblick zeigte ihr Antlitz wieder jene Marmorblässe, die Konsul Bark, als ein gewählter Frauenkenner, überall so hervorhob.

      »Ihr geht in das Gastzimmer,« herrschte die Älteste die Schwestern an, als gäbe es gegen ihren Entscheid keinerlei Widerspruch. »Ich habe es nicht gern, wenn wir hier so in Massen auftreten. Und diesem Bengel möchte ich das Gespann doch nicht unbeaufsichtigt überlassen. Nun dalli, Ihr erwartet mich drin. Ich möchte nachher noch einen Gang machen.«

      »Einen Gang?« fragte die brünette Marianne, die zwar erheblich jünger war wie ihre befehlshaberische Schwester, ihr aber dennoch im Alter am nächsten kam. »Einen Gang?« forschte sie mit der matten Lässigkeit ihrer Bewegungen, in denen so viel gefährlicher Reiz wirken konnte, »du willst dich gewiß mit Konsul Bark treffen, nicht wahr, Hans?«

      Die Große verzog ein wenig die Stirn, denn das vertrauliche Lächeln des Einverständnisses, das die Jüngeren wieder untereinander tauschten, gefiel ihr nicht. Laut aber ließ sie nur mit ihrer dunklen Stimme fallen:

      »Ich treffe mich nicht mit ihm, sondern ich suche ihn in seinem Geschäft auf.«

      »Ah,« echoten die anderen.

      Und der Rotkopf von ihnen, Isa, ein siebzehnjähriges geschmeidiges Kätzchen, das der mütterlichen Schwester soviel Schwierigkeiten bei der Erziehung bereitete, sie raschelte auffällig mit ihrem rosa Kleid, verzog den Mund und kniff spitzbübisch die großen braunen Augen zu. Die dunkle Marianne aber legte ihren vollen Arm um die schlanke Hüfte der Kleinen und sagte in ihrer müden Art, die gerade wegen ihrer Leidenschaftslosigkeit häufig so sehr zum Zorn zu reizen vermochte:

      »Dann wirst du wohl auch nichts dagegen haben, liebster Hans, wenn ich mich drüben in der Konditorei von Klinkowström auf ein paar Minuten mit Fritz Harder treffe. Ich habe es ihm versprochen, denn er ist heute nachmittag dienstfrei.«

      Damit faßten sich die beiden jüngeren Grothe-Marjellen entschlossen unter den Arm und schritten langsam und furchtlos dem Ausgang zu. Allein sie gelangten nur bis zu dem kurzen runden Prellstein, vor dem ihr hochragender Wächter sich aufgepflanzt hatte. Es fiel eigentlich kein lautes Wort, kein Verbot wurde ausgesprochen und keine hastige Entgegnung vernommen, und doch – die langjährige Gewohnheit des Sichfügens, wenn es auch ungern und widerwillig geschah, die Furcht vor der zufahrenden Härte und dem aufflammenden Zorn der Großen erstickte all die leichten, flatterhaften Mädchenwünsche im Keim. Ohne daß die Jüngeren recht begriffen, wie es so schnell geschah, hielten sie allerlei Decken und Schirme in den Händen, die ihnen von der großen Blonden energisch übergeben waren, und wie von selbst traten sie mürrisch und bezwungen den Rückzug durch die dunkle Einfahrt an, um noch auf den drei ausgetretenen Steinstufen, die zu dem inneren Flur hinaufleiteten, aufzufangen, wie die ältere Schwester laut und unbekümmert hinter Marianne herrief:

      »Es paßt sich nicht, daß du dich jetzt schon mit dem jungen Offizier triffst, so weit halten wir noch nicht. Aber wenn ich zurückkomme, dann werden wir mehr wissen. Und nun benehmt euch dort drinnen nicht zu ausgelassen.«

      »Ja, ja, wir werden uns Mühe geben,« erwiderte die dunkelhaarige Marianne achselzuckend; und dann verschwanden die Grothe-Fräulein hinter der Glastür des Gasthauses, ohne der Ältesten noch einen besonderen Gruß gegönnt zu haben.

      Johanna aber wartete ruhig ab, bis der halbwüchsige Kutscher die beiden Rappen ausgespannt und in den Stall geführt hatte. Und erst, nachdem sie noch angeordnet, welche Zehrung der Junge zu sich nehmen solle und aus welchen Geschäften Pakete eintreffen würden, da schritt sie endlich mit ihrem festen, sicheren Gang quer über den Marktplatz herüber. Das edle griechische Haupt mit den harten, blauen Augen trug sie wieder hoch aufgerichtet, und unter dem dünnen Schleier leuchtete die weiße Haut, als ob wirklich ein altes Götterbild auf den Einfall geraten wäre, hier auf dem ostpreußischen, schlecht gepflasterten Marktplatz majestätisch dahinzuwandeln. So stolz und selbstsicher mutete das Bild an, daß selbst ein paar schlanke Gymnasiasten, die auf dem Platz eine wichtige Besprechung abhielten, hochachtungsvoll an ihren hellblauen Mützen rückten, um untereinander zu tuscheln:

      »Das ist die Älteste von Maritzken, ein feines Weib! Kuck, sie geht in den Goldenen Becher zu Konsul Bark. Donnerwetter, wenn man doch auch – –«

      Und dann kam die Hochgewachsene ganz nahe, und die Jungen dienerten und schwenkten ihre Kappen.

      In dem großen Gewölbe des Goldenen Bechers brannten bereits die Gasflammen. Sie verlöschten niemals unter den gotischen Bogen. Denn obwohl über der alten Stadt das Leuchten und Schimmern eines wolkenlosen Sommertages lag, hier drinnen in den niedrigen Gewölben der ehemaligen Probstei herrschte eine beständige kühle Dämmerung. In dem Raum selbst aber schwirrte und summte und knirschte es durcheinander. Achtzehn junge Leute, alle mit sauberen grünen Schürzen angetan, bedienten die sich drängenden Kunden, und alle Augenblicke sah man das schneeige Weiß des aufgeschütteten Salzes blitzen, graue Staubwolken von Mehl schwebten dahin, der Zucker knirschte, stark gebrannter Kaffee verbreitete seinen aromatischen Duft, aber auch Weinflaschen verließen ihr stauberfülltes Lager und ganze Berge von blechernen Konservenbüchsen verschwanden in den mächtigen Körben der Einholenden. Auf der anderen Seite des hochgewölbten Torweges, dicht vor den tief zurückliegenden dunklen Fensterscheiben, die mit dicken Eisenstäben so eng vergittert waren, als ob es sich um Gefangenenzellen handele, da hielten auf dem Marktplatz eisenklirrende Rollwagen, über deren herabgelassene Leiterbäume blaue Petroleumfässer heruntergewälzt wurden. Daneben standen gewaltige Plangefährte. Unausgesetzt trugen riesige Männer mit Lederschürzen viereckige, mit Sackleinwand und Eisenblech verschnürte Ballen heraus. Ein feiner Teegeruch verbreitete sich, als Johanna Grothe dort vorüberschritt. Und an den kleinen, buntgeschirrten Pferdchen mit den gewaltigen Messingkummeten um den Hals erkannte ihr geübter Blick, wie diese Wagen erst vor kurzem von der nahen russischen Grenze angelangt seien. Denn Konsul Bark war der größte Teeimporteur dieser östlichen Provinz, und die kleinen roten Päckchen mit dem goldenen Becher als Aufdruck galten durch das ganze Reich als eine Delikatesse.

      Durch den Schwarm der unbekümmert weiterschaffenden Lederschürzen hindurch trat Johanna Grothe durch den grob gepflasterten Flur, bis sie an der rechten Rundwand ein paar ausgetretene grüne Marmorstufen erreicht hatte. Auf der obersten zogen sich altersverwitterte Bronzebuchstaben hin, die durch ihren griechischen Text die stolze Angabe des Hausherrn bekräftigten, daß diese Steine aus einem alten moskowitischen Kloster einstmals von der siegreichen Hanse dem residierenden Probst der Handelsstadt zum Geschenk gemacht worden seien. Vor grauen Zeiten leiteten jene Quadern auch wirklich in das Refektorium der Probstei. Heute jedoch hatte der Konsul sein Privatkontor hier aufgeschlagen; es war ein gewaltiger Raum, von schweren flämischen Möbeln umstellt, während die weißen, splitternden Dielen von einem einzigen orientalischen Teppich in dunkelbrauner Grundfärbung überspannt waren. Einen seltsamen Eindruck rief es auf alle hervor, die zuerst hier eintraten, sobald aus den eingebuchteten Mauerwölbungen immer noch die bunten Mosaikgebilde der Evangelisten in verdämmerten Farben herausleuchteten. Einen förmlichen Schrecken aber verursachte es dem Unvorbereiteten, wenn hinter dem umfangreichen Schreibtisch des Großkaufmanns, nur von dem elektrischen Licht der grünbeschirmten Arbeitslampe getroffen, die überlebensgroße, riesenhafte Holzstatue des Apostelfürsten Petrus mit blauem Mantel und goldenem Heiligenschein auftauchte, genau so, wie sie einstmals an dieser Stelle das Ziel für die Verehrung unzähliger Frommer gebildet hatte. Die Holzstatue aber ragte auf ihrem Marmorquader auf, als wolle sie gegen die neue Zeit und gegen alles, was sie in ihr erblicken mußte, Verwahrung einlegen. Den goldenen Hirtenstab, der unten abgebrochen war, hielt sie gegen das zornige, volkstümliche Herz gepreßt und ihren mächtigen verrosteten Eisenschlüssel streckte sie weit von sich, voll Abscheu und grobem Eifer.

      Und der Heilige hatte manchen Grund zu seinem Verhalten. Denn obwohl der neue Besitzer der Probstei ein gewisses feinsinniges