Die Herrin und ihr Knecht. Georg Engel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Georg Engel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066113469
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hatte, daß jede Gefahr der Mitwisserschaft beseitigt, da raffte sich Fritz Harder zusammen, um mit einem raschen Entschluß seinen Besuch aus der seltsamen Einkerkerung zu befreien. Und wie heftig ihm auch das Herz schlug wegen der unwürdigen Rolle, zu der sie beide durch diese Heimlichkeit verurteilt waren, – das Bild, das sich ihm hinter der kleinen Tapetentür darbot, schimmerte in solch bestrickendem Reiz, daß all die Vorwürfe, die er gegen sich und die Geliebte im stillen erhob, vor ihm versanken. Da stand Marianne dicht an der Schwelle, das Haupt mit dem breitrandigen Rosenhut lauschend vorgebeugt, und die Wangen von Neugierde und Unruhe dunkel überflammt. Die Dämmerung des Alkovens umgab die matt beleuchtete, weiße Gestalt gleich einem schweren Ebenholzrahmen. Aufatmend und mit jener Lässigkeit, die den jungen Offizier schon so häufig betört hatte, trat sie in das helle Wohnzimmer und knöpfte sich eifriger als sonst die langen weißen Seidenhandschuhe zu. Offenbar wurde das Mädchen nur von der einen Sucht beherrscht, ihren Aufbruch so schnell und so unbemerkt als möglich zu vollziehen.

      »Adieu, Fritzchen,« schnitt sie ihm bereits das erste Wort ab, denn sie fühlte mit Unbehagen, wie ihr aus den Augen des Gefährten schon wieder allerlei unbequeme Fragen entgegendrohten, »adieu, mein Liebling. – Nein, nein, um Gottes willen, rühre mich nicht an, solche ungeschickten Männerhände sind ja sofort wahrnehmbar. Und Johanna ist der mißtrauischste Polizist, den du dir denken kannst. Nein, ganz still, ganz artig« – und sie preßte ihm rasch die Rechte auf die Lippen, die sich schon zum Widerspruch oder zu einem Vorwurf geöffnet hatten. »Aber wenn du recht folgsam bist, komme ich vielleicht einmal auf ein Viertelstündchen wieder. Adieu, Fritzchen, adieu!«

      Geschickt schmiegte sie sich durch den schmalen Türritz hindurch, allein jenseits der Schwelle wandte sie sich und warf noch einmal einen lachenden Blick zurück. Das Geschirr auf dem Tisch schien ihre Aufmerksamkeit zu fesseln.

      »Wie drollig sich deine Wirtschaft ausnimmt,« flüsterte sie hinein, hob jedoch sogleich den Finger warnend gegen den Mund, damit er sie nicht durch eine laute Antwort verriete, »wie schade, daß du mich nicht bewirten konntest! Warum kommt dir eigentlich niemals solch ein hübscher Einfall? Überhaupt, du verdienst die große Bevorzugung und auch die Gefahr nicht, der ich mich deinetwegen aussetze. Sst, – ganz still, Fritzchen, hier hast du noch eine Kußhand, so – und nun schlaf wohl, mein Schatz.«

      Fritz Harder hatte seine karge Mahlzeit kaum berührt. Ruhelos schritt er in der engen Stube auf und nieder, und seine verzogene Stirn deutete darauf hin, wie sehr er sich bemühte, der widerstrebenden Gedanken Herr zu werden. Zweimal schon hatte er sich an den Flügel gesetzt, allein unter seinen geübten Händen waren nur ein paar mißtönende Dissonanzen aufgeschrillt. Und durch einen heftigen Schlag auf die Tasten wurde das regellose Spiel beendigt.

      Nein, das ging nicht. Er mußte sich sammeln und Klarheit gewinnen. Ungeduldig riß er die Schublade des roten Fichtentischchens auf und warf ein blaues Heft auf die Platte. Dies war seine Arbeit, von der er sich einmal Erfolg versprochen. Jetzt blieben seine Augen wirr auf einer sauber gezeichneten Terrainkarte haften, und er versuchte sich zu besinnen, warum er mit roter und grüner Tinte verschiedene sich kreuzende Linien hineingemalt hatte.

      Alles vergeblich. Der bohrende Gram, die innere Unzufriedenheit mit sich selbst, sie warfen sein Auffassungsvermögen um, sie schlugen den stärkeren Menschen in ihm nieder.

      Nein, es war genug. Törichter Hochmut, sich für besser zu halten und würdiger als seine Kameraden sich gaben. Und dann – er lachte bitter auf, bedeckte sich mit der blauen Mütze, und nach ein paar Minuten schon klirrte sein metallener Säbel über das Trottoir der menschenleeren Rosenkranzgasse.

      »Ah, Fritz Harder,« rief der lange Janick, als sein Freund das Spielzimmer des Kasinos betrat; und damit erhob sich der Oberleutnant, lebhaft winkend, von seinem Sitz, »kommen Sie, Beethoven, hier ist eine große Neuigkeit eingetroffen. Schieberamsch mit Pauken und Trommeln. Das müssen Sie lernen, Fritzchen, setzen Sie sich neben mich, so etwas Anregendes haben wir schon lange nicht erlebt. Prost, Musikante – prost.«

      Dunkelheit senkte sich bereits über die Stadt. Aus dem Portal des Goldenen Bechers trat, dicht in einen schwarzen Hängemantel gehüllt, der bewegliche Kammerdiener des Konsuls Bark heraus, in der Hand ein ziemlich umfangreiches Briefkuvert, das er im Auftrage seines Herrn dem Leutnant Fritz Harder in sein Quartier überbringen sollte. Der weiße Umschlag leuchtete durch die Nacht, als Pawlowitsch achtlos schlenkernd über den Marktplatz schritt. Noch war der Diener nicht weit gekommen, als seinen auch jetzt rastlos umherspähenden Äuglein die Umrisse eines Jagdwagens auffielen, der, mit drei winzigen Pferdchen bespannt, dicht vor der Einfahrt des zweiten großen Gasthofes der Stadt »Zum russischen Großfürsten« wartete. Interessiert und auf unhörbaren Sohlen tänzelte Pawlowitsch näher. Aus der Dunkelheit tauchten zwei Gestalten auf, die sich augenscheinlich an dem Hinterrad des Gefährts zu schaffen machten. Ein paar derbe Flüche in russischer Sprache wurden laut, und der Kammerdiener erkannte sofort das dröhnende Organ des Grenzoffiziers, der vor ein paar Stunden seinem Herrn die Ehre seines Besuches geschenkt hatte.

      »Dummes Vieh,« hörte der regungslos Verharrende den Rittmeister Sassin auf seinen Rosselenker einschimpfen, »hab' ich dir nicht zehnmal gesagt, daß das Rad quietscht wie eine kranke Katze? Du Hundesohn hast wieder verschlafen, Fett auf die Achse zu schmieren. Ich schneide dir noch einmal in Wahrheit beide Ohren ab. Gleich holst du dir von diesen Deutschen etwas von dem Zeug heraus. Hast du verstanden?«

      Der zusammengekrümmte Kutscher zog seine hohe Schirmmütze. »Jawohl, guter Herr,« murmelte er demütig und verschränkte seine Arme über der Brust. »Euer Gnaden, ich gehorche.«

      »Zum Teufel, dann mach, daß du fortkommst! Und wenn du fertig bist, dann holst du mich dort drüben aus der Konditorei ab. Hast du begriffen?«

      »Ich gehorche, Euer Gnaden.«

      Der Kutscher trottete in die Einfahrt zurück, und der Rittmeister schlenderte säbelklirrend über das rauhe Pflaster, bis er plötzlich vor der schweigenden Gestalt des Lauschers zurückschreckte.

      »Was ist?« rief er drohend.

      »Oh nichts, Euer Gnaden,« erwiderte Pawlowitsch sich tief verbeugend, »ich bin es nur, der Diener des Herrn Konsul Bark.«

      »Aha – aha – Diener – Diener von ausgezeichnetem Freund Rudolf Bark,« lenkte der Russe ganz widerspruchsvoll ein, und dabei versetzte er dem zierlichen Männchen einen wohlwollenden Faustschlag auf die Schulter, so daß der Überraschte, der eine solche Gunstbezeugung wohl kaum erwartet haben mochte, ein wenig vornüber taumelte.

      »Heilige Mutter!« stöhnte der Getroffene leise.

      Der Russe jedoch ließ von seiner Zärtlichkeit nicht ab, ja, er beugte seine mächtige Gestalt sogar noch etwas tiefer zu dem Unentschlossenen herab, als sei es für ihn überaus interessant zu konstatieren, was für einen weißen Zettel der Diener des ausgezeichneten Rudolf Bark in den Händen trüge.

      »Pawlowitsch, guter Junge,« rief er wohlgelaunt, und dabei zupfte er nach russischer Sitte dem weißhaarigen Kerlchen sanft an dem Ohrlappen herum, »bist fleißigstes Geschöpf, das ich kenne in dieser fleißigen Stadt! Toujours en vedette, früh und spät. Weißt du auch, daß ich dich deinem Herrn schon längst ausmieten wollte? Sieh einmal, du trägst Brief, Pawlowitsch!«

      »Oh,« erwiderte der Hausmeister, der einen Augenblick zögerte, bis er dann doch die Aufschrift des Kuverts nach oben kehrte, »an den Leutnant Fritz Harder«.

      »Leutnant Fritz Harder,« wiederholte der Dragoner in beglücktem Ton, »ach, sieh einmal, wirklich an lieben Fritz Harder.« Und nach einer Weile des Nachdenkens, während deren sich der Russe rasch den blonden Kinnbart strich, setzte er hinzu: »Mir ist, als ob junger Herr bei der Festungskommandantur beschäftigt wäre?«

      »Ja,« pflichtete Pawlowitsch immer langsamer bei, indem er den Brief vorsichtig unter dem herabwallenden Hängemantel vergrub, »der Herr Leutnant ist seit kurzem dazu kommandiert.«

      »Nun, will nicht aufhalten,« sagte der Russe freundlich, »besorge Auftrag, Pawlowitsch. Aber warte, – sollte ich heute nicht vergessen haben, dir dein gewohntes Trinkgeld zu überreichen?«

      Jetzt